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Comic „Wilde Ökologie“Aus Lust am Widerstand

Alessandro Pignocchi war Kognitionswissenschaftler, bevor er zum Comic wechselte. Sein Auszug aus der „wilden Ökologie“ ist unwiderstehlich radikal.

Zoologisch akkurat getuschte Blau- und Schwanzmeisen im Gespräch Foto: Alessandro Pignocchi/Golden Press

Sie kommen so zart daher und idyllisch, die Aquarelle von Alessandro Pignocchi. Und doch sind seine Comics radikal bis militant, dabei aber von einem unwiderstehlich dadaistisch-albernen Humor genährt.

Der Bremer Kleinstverlag Golden Press hat in einem dem Original nachempfundenen Lettering eine Auswahl aus Pignocchis gefeiertem dreibändigen „Petit traité d’écologie sauvage“ (2018–2022) herausgebracht, Titel: „Kleiner Auszug aus der wilden Ökologie“. Vielleicht wäre „winziger Auszug“ noch treffender gewesen. Ansonsten aber ist die Übersetzung von Sebastian Stein tadellos.

Pignocchi hat 2012 seine verheißungsvolle akademische Karriere abgebrochen und ist von der Kognitionswissenschaft ins Comic-Fach gewechselt. Auch ist er ein politischer Aktivist – mit anarchistischer Ausrichtung. Im Jahr 2018 war er zu den so genannten ZADisten von Lalande gestoßen, also den Be­set­ze­r*in­nen einer der „zu verteidigenden Zonen“ (Zone à défendre, ZAD), hier: Feuchtwiesen und Weiden, die einem Flughafenbau hätten weichen sollen.

In Frankreich bilden die ZADisten eine schlagkräftige dezentrale Bewegung. Wichtiger als die einzelnen Streitobjekte sei dabei die Lust am Widerstand selbst, hat Motiva­tionsforscher Pignocchi im Interview mit Radio Télévision Suisse kürzlich klargestellt. Ganz ähnlich verortet sich auch das Anliegen seiner Comics noch vor dem im engeren Sinne Politischen. Sie dienen als Experimentierfeld, um den Dualismus von Natur und Kultur zu beseitigen.

Der Comic

Alessandro Pignocchi: „Kleiner Auszug aus der wilden Ökologie“. Bremen, Golden Press 2023, 112 ­Seiten, 16 Euro

Glückliche Welten

Damit schließt er direkt an die anthropologischen Theorien von Phi­lippe Descolas an. Gemeinsam mit dem Collège-de-France-Prof hat Pignocchi die 2019 vom Sender Arte mit dem Essay-Preis ausgezeichnete Schrift „Ethnographies des mondes à venir“ verfasst („Ethnografien der Welten der Zukunft“). In denen wird nicht mehr alles, was existiert, in ­warenförmige Ressourcen und ihre Besitzer eingeteilt. Und diese glücklichen Welten stehen allen klimaängstlichen Endzeitszenarios sehr fern.

Comics verschieben gerne die Grenzen zwischen Menschen und Nichtmenschen. Letztere begabt Pignocchi mit Sprache, erstere mit ­einem animistischen Wirklichkeitsentwurf. Das führt dazu, dass zoo­logisch akkurat getuschte Blau- und Haubenmeisen durch blühende Obstbäume turnend beratschlagen, wie sie bei der kommenden Klimaschutz-Demo sich gegen die Polizei zur Wehr setzen könnten. In anderen Szenen sitzen stark schematisierte Politnasen in Fernsehstudios. TV-Duelle vor der Wahl.

Humorlos erörtern zwei Kontrahenten die Frage, wie ein not­wendiger und ritueller Kannibalismus in Frankreich verpflichtend ­einzuführen wäre. Per Leichenschmaus?

Die groteske Leidenschaftslosigkeit der Debatte unterstreicht Pignocchi durch den Verzicht auf Bewegung. Lange Sequenzen bestreitet er mit einem einzigen, immer wieder kopierten Panel, in dem nur der Text sich jedes Mal ändert. Dieser Bruch mit Comic-Konventionen hat seltsame und komische erzählerische Effekte. Vor allem inszeniert er den scharfen Kontrast zwischen einer erstarrten menschlichen Welt und jener der Vögel, die ständig neue Perspektiven erproben.

Befreit aus dem Käfig der Macht

Pignocchi zeichnet keine Karikaturen. Zwar ähneln die Po­li­ti­ke­r*in­nen vage Angela Merkel, Wladimir Putin, Donald Trump, Emmanuel Macron oder Jean-Luc Mélenchon. Aber darauf kommt es kaum an: Sie treten auf als Repräsentanten jener, die zu sehr ins kapitalistische System verstrickt sind, als dass sie eine Lösung der von ihm verursachten Katastrophen auch nur wollen könnten. Nicht böse sind sie. Aber befangen, gefangen, gelähmt.

Der Comic befreit sie aus diesem Käfig der Macht. Er erlöst sie vom Zwang, zu herrschen: Friedlich werden sie schließlich bei einem etwas speziellen G20-Powwow in einer grünen Mulde zusammenhocken, um ihre Weltflucht zu planen. Und dank einer Gruppe duldsamer Haubentaucher kann dies vielleicht auch gelingen.

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