■ Daumenkino: Comfort Farm
Flora Poste ist 19. Mit 50 will sie einen Roman schreiben. So gut wie „Persuasion“, aber „in modernisierter Form natürlich“. Bis dahin will sie erleben, damit es was zu schreiben gibt, dann später im Alter.
Als plötzlich ihre Eltern sterben und sie zu Verwandten ziehen muß (wir sind im England der 30er Jahre), scheint sich dazu endlich Gelegenheit zu ergeben. Das neue Domizil wird nach dem zu erwartenden Erlebnisfaktor ausgewählt, und da fällt die Wahl auf die Starkadders, ein verlottertes Familieninferno, das sich seit Generationen auf der zerfallenden Cold Comfort Farm eingerichtet hat.
Die sehr wunderbare Flora Poste, die von Kate Beckinsale sehr wunderbar gegeben wird, hat es naturgemäß zu Anfang nicht recht leicht mit ihren bäuerlichen Verwandten, die der erlebnissüchtigen Großstadtcousine mit erhöhtem Mißtrauen begegnen. Erstens könnte es sein, daß sie Ordnung machen möchte, was aus alter Familientradition entschieden abzulehnen ist, zweitens will sie womöglich gleich die ganze Farm übernehmen, auch davor gilt es, auf der Hut zu sein. Doch Flore will nur erleben und – Glück bringen.
John Schlesinger geht mit den zahllosen Vorgaben englischer Landhausidyllen sehr souverän um. Es ist ja nicht leicht, ein Gleichgewicht zu finden, das genau bis zu dem Grade ironisch ist, daß alles Pathos vertrieben wird und trotzdem „das Romantische“ am Ende nicht ganz zerstört ist. Den letzten Moment vor der Verkitschung sozusagen abzupassen und genau da abzuspringen.
Da findet man es richtig nett, daß Flora Poste, die als feenartiges Wesen das Chaos und die schmutzige Arbeitswelt der Cold Comfort Farm betritt, um im Erleben Stoff für den großen Roman zu finden, vielmehr alle anderen Farmbewohner zum Leben, zum Erleben bringt, einen jeden nach einer geheimen Vorbestimmung.
Das führt die tyrannische Großmutter zum Beispiel ins mondäne Paris, die wahnsinnige Mutter zu einem von ihr entzückten Psychologen nach Wien, den kinobegeisterten Sohn als Schauspieler nach Hollywood, den vom finalen Fegefeuer schwärmenden Familienvater als Wanderprediger nach Amerika und was weiß ich, wo die verschiedenen Starkadders noch alle hingezaubert werden.
Daß Flore für sich selbst lediglich den reichlich langweiligen angehenden Pastor Charles Fairford als kommendes Lebensglück herbeizaubert, ist allerdings eine kleine Enttäuschung am Ende (obwohl ihre Liebeserklärung – „Sie haben wundervolle Zähne, Charles“ – auch mit diesem Ausgang fast versöhnt), denn um den Roman, ich meine, was dafür alles noch erlebt werden muß, damit er so gut wird wie „Persuasion“, darum macht man sich dann doch ein wenig Sorgen. Volker Weidermann
„Cold Comfort Farm“. Regie: John Schlesinger
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