Comeback der Rockband Royal Trux: Die Neunziger haben nie aufgehört
Das beste, das kaputteste Rockduo der Welt ist auferstanden: Royal Trux. Mit einem neuen Album und einem Deutschlandkonzert.
Der französische Schriftsteller Charles Baudelaire beschrieb Mitte des 19. Jahrhunderts ein „Ungeheuer“, das so „hässlich und gemein“ sei wie kein anderes: „Die Langeweile ist’s.“
Gut 100 Jahre später, in den 1950ern, trieb Baudelaires Ungeheuer junge Menschen schon nicht mehr in Weltkriege, sondern in Scharen dazu, aus Überdruss die freudvollsten Erfindungen zu machen. Eine davon: das Riff. Es besteht aus wenigen, in der Regel auf einer elektrischen Gitarre gespielten Akkorden.
Bevor wir also zu dieser wegweisenden Band aus Washington D. C. kommen, von der noch die Rede sein wird, müssen wir Umwege gehen. Durch die britischen 60er zum Beispiel. Da machten die Kinks das E-Gitarren-Riff mit „You Really Got Me“ und „All of the Day and All of the Night“ unsterblich. The Who griffen es wenig später in ihren unwiderstehlichen Uptempo-Songs „I Can’t Explain“ und „My Generation“ wieder auf.
Doch in den siebziger Jahren fühlten sich Gitarristen durch die Frauen gestört, welche sich immer häufiger öffentlich, ganz selbstverständlich – und sogar ohne Gitarre! – zu Wort meldeten. Männer zeigten sich von diesem Elan einigermaßen überfordert. Um den viel zu präsenten Frauen nicht länger zuhören zu müssen, zogen manche aufs Land, um in ungestörten Einöden Kommunen zu gründen. Andere nahmen noch mehr und noch härtere Drogen, um sich so durcheinanderzubringen, dass sie die einfachsten Sätze von Frauen nicht mehr verstehen konnten. Aber auch Männer, die in Städten wohnten, fanden Mittel, um Frauen weiter von sich fernzuhalten.
Derweil hatten das Riff und das Solo einige Änderungen vollzogen: Ein Solo konnte auf der Gitarre so lang dauern, dass es wie eine musikalische Entsprechung zu den rechthaberischen, endlosen Monologen wirkte, die Väter am Esstisch ihren konsternierten, nur noch psychologisch unterlegenen, bürgerlichen Kleinfamilien hielten.
Ein bedrohliches, düsteres Riff wie das von „Smoke on the Water“ von der britischen Hardrockband Deep Purple klang nun wie die Verneinung von vermeintlich sittenlos herumschlawinernden Melodien. Männern gefiel das schon deshalb, weil das Riff im Gegensatz zu Frauen ganz ohne Worte auskam.
Langeweile und Porno
Ihre größte Errungenschaft gelang den Riff-Produzenten aus ihrer Sicht bei der Umwertung der bis dahin noch bekämpften Langeweile. Denn sie argumentierten nun, dass die wiederholte Wiederholung weniger Töne gewissen Bewegungen von Menschen entspräche, die sich körperlich näherkommen. Ein Riff anzuhören ähnele dem Anschauen eines Porno-Films und erziele auf ähnliche Weise seine erprobte Wirkung.
Es brauchte fast bis zum Ende des Jahrzehnts, bevor diese nur vermeintlich geile Langeweile als „großer Rock-’n’-Roll-Schwindel“, wie ihn die Sex Pistols nannten, durch Punk aufflog.
Danach, in den achtziger Jahren, fühlten sich nicht mehr bloß Riff-Produzenten bedroht. Beträchtliche Teile der Menschheit sahen sich in Abwehrkämpfe verstrickt. Sie wollten Wälder retten und Robbenbabys schützen, sie wollten Häuser vor dem Abriss bewahren und das drohende nukleare Ende der Welt hinausschieben.
Als sich fast alle daran gewöhnt hatten, ein Lebensgefühl aus der Defensive zu entwickeln, begannen Männer und Frauen zusammen, mit Gitarren bewaffnet, die Kunst anzugreifen. So zum Beispiel Yoko Ono und John Lennon, Patti Smith und Lenny Kaye, Debbie Harry und Chris Stein, Kim Gordon und Thurston Moore oder Madonna und Stephen Bray.
Lieder aus Blut gemacht
Die Stadt brachte auch den Jugendlichen Neil Hagerty darauf, mit seiner Freundin Jennifer Herrema eine Band zu gründen. Hagerty hatte mit der Band Pussy Galore in Washington D. C. Musik gemacht, die wie ein aus lauter Freude herbeigeführter Autounfall klang.
Herrema sang, als läge ihr eine verrauchte Kneipe auf den Stimmbändern. Sie schrie, als würde sie sich mit dem Vermieter anlegen, wenn der gerade eine Mahnung über ihren Rückstand bei den Mietzahlungen in ihren Briefkasten warf.
Zusammen entdeckten Herrema und Hagerty, dass sich Akkorde durch den Kakao ziehen und mit Füßen treten lassen. Geschmacksverirrungen können leuchten wie ein Licht am Ende eines Tunnels und Lieder werden aus Blut gemacht. Kompressoren, Delays sowie weitere Effektgeräte lassen sich an Gitarren und Keyboards anschließen, um womöglich die Musik, aber auch sich selbst bloßzustellen. So entsteht Lärm mit Rückgrat, Spacerock aus der Graswurzel oder Rockabilly, als wenn Sun Ra ihn spielen würde.
Hagerty und Herrema ging und geht es dabei nicht darum, Riffs zu schreiben. Ihre Musik soll sich vielmehr anhören, als würden Hagerty und Herrema selbst von Riffs gespielt werden. Ihr Schwung steckte schon nach kurzer Zeit andere an. Ihre Debütsingle „Hero/Zero“ etwa lieferte dem Label Drag City 1990 gleich den Anlass, um sich zu gründen: es war dessen allererste Veröffentlichung.
Den Rock ’n’ Roll „dekonstruieren“
Kurz nachdem Royal Trux dort auch ein genial zerstörendes Doppelalbum namens „Twin Infinitives“ veröffentlicht hatten, begannen Menschen zwischen Probe- und Seminarräumen davon zu sprechen, dass sie sowohl den Rock ’n’ Roll als auch so gut wie alles andere „dekonstruieren“ könnten. Ihre Wortwahl erschien wie ein letzter Versuch von Linken, wenigstens in der Kunst Recht zu behalten, wenn es in der Gesellschaft schon nicht gelang.
Royal Trux bestätigten sich Album für Album, dass sie recht behielten, bis schließlich Riffs, Musik und Langeweile für sie dasselbe bedeuteten. Anfang der nuller Jahre lösten sie ihre Band folgerichtig auf und verlegten sich auf andere Sparten. Herrema wurde bildende Künstlerin und Hagerty schrieb tolle Romane, die endlich mal jemand ins Deutsche übersetzen müsste.
Royal Trux: „Platinum Tips & Ice Cream“ (Domino/Good to Go) live: 4. 8. Berlin, Urban Spree
Nun sind sie wieder auferstanden und ihr neues, live eingespieltes Album „Platinum Tips and Ice Cream“ hört sich an, als hätten die neunziger Jahre für Royal Trux nie aufgehört. Was keine Beleidigung ist. Denn einerseits liegt dieser Eindruck nahe, weil es Bühnenversionen von damals im Studio aufgenommenen und auch veröffentlichten Stücken zu hören gibt.
Die „Bananenfrage“ („The Banana Question“) wird immer noch gestellt. Die „Junkie-Krankenschwester“ respektive „Junkie Nurse“ verbessert weiterhin die Stimmung mit Medikamenten. Und 2017, wo Royal Trux etwas überraschend wieder live auf den Bühnen auch dieses Landes zu sehen sind, scheinen sie plötzlich kommerziellen Ehrgeiz zu entwickeln. Auch irgendwie lustig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“