: College-Slipper als Tatwaffe
■ Hochschwangerer Freundin in den Bauch getreten / Baby starb an den Schockschäden
Auch ein College-Slipper ist „Werkzeug“ im juristischen Sinne. Der Tritt mit einem College-Slipper-beschuhten Fuß ist deshalb u.U. bereits „gefährliche Körperverletzung“. „Ich kann Ihnen den Vorwurf der kriminellen Energie nicht ersparen“, sagte Staatsanwalt Horst Nullmeyer auch mit Nachdruck zu dem 31jährigen Angeklagten Hans-Jürgen W. Der Fußtritt gegen den Bauch einer hochschwangeren Frau sei als „äußerst brutal“ einzuschätzen, meinte er . „Die verschuldeten - auch fahrlässig verschuldeten - Folgen der Tat sind zu berücksichtigen, selbst wenn er sie nicht beabsichtigt hat“, plädierte Nullmeyer weiter. W. hätte seine Sinne anspannen müssen in dieser (ihm bekannten) Situation, befand der Staatsanwalt und forderte ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe.
Hans-Jürgen W. hatte in einem Streit seiner hochschwangeren Lebensgefährtin Rosemarie K. in den Bauch getreten. Mit einem Hämatom in Nähe des Bauchnabels und dadurch verursachter Placentaablösung wurde die da
mals 21 Jahre alte, im achten Monat schwangere Frau noch am selben Tag in die Frauenklinik eingeliefert. Knapp eine Stunde später leiteten die Ärzte per Notoperation die Geburt ein. Noch drei Tage lang lebte der kleine Christoph Michel im Brutkasten weiter. Dann starb das - im Prinzip lebensfähige - Kind: laut gerichtsmedizinischem Gutachten an einem „Atemnotsyndrom“ in Folge von Lungenversagen und mit schwer schockgeschädigten Organen.
Zwei Jahre, elf Monate und ein paar Tage hatte die Beziehung von Rosemarie und Hans-Jürgen gedauert. „Es war schön bis schrecklich, spannend und entspannend“ erzählt sie freimütig. Auch, daß es häufiger zu heftigen bis handgreiflichen Streiterein gekommen und deshalb dreimal die Polizei gerufen worden sei, berichtet Rosemarie K., wobei sie auch bekennt: „Ich bin auch kein Engel.“ Immer, wenn sie ihren Freund in Grund und Boden geredet habe, habe er sie an die Wand gedrückt, sei ihr „buchstäblich an den Hals gegangen“, damit sie
endlich ruhig sei.
Fast immer sei es dabei um Geld gegangen: Das Kind hätten sie sich beide gewünscht, doch unglücklicherweise hätten sie von der Schwangerschaft an demselben Tag erfahren, als Hans -Jürgen W. arbeitslos wurde. „Dann ging es los“, sagt Rosemarie K. „Er wurde zusehends aggressiv, zog mit seinen Kumpels durch Diskotheken und Kneipen und hing an Automaten rum.“ Das wenige Geld des arbeitslosen Paares reichte längst nicht mehr. Spielschulden kamen dazu.
Auch am 16.10.88 ging es wieder ums Geld. Als Rosemarie K. ihrem Freund alle Wut entgegenschrie, und die zierliche Frau nach einem hölzernen Frühstücksbrett griff, um sich „aufzuplustern“, wie sie dies heute sieht, fühlte W. sich „angegriffen und bedroht“, versichert sogar, daß sie mit dem Brett „auf ihn eingeschlagen“ habe. In einer Art „Reflexbewegung“ habe er es wegtreten wollen, erzählt W.
Und W.s Verteidiger Herrmann verteidigt: „Die Körperverletzung ist fahrlässig passiert
...zufällig mit dem Fuß - hätte auch mit der Hand...hier wäre nichts draus gekommen, wenn nicht das Kind bedauerlicherweise gestorben wäre... bei den beiden ging es eben ein bißchen anders zu als bei anderen Menschen... außerdem war sie der eigentliche Anlaß“ meint Herrmann und plädiert auf Geldstrafe.
Strafrichter Häfner entscheidet jedoch „wegen der erheblichen Brutalität und tragischen Folge“: 1 Jahr Freiheitsstrafe für den einschlägig vorbestraften W., und zwar für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt und mit der Auflage, baldmöglichst eine feste Arbeit anzunehmen. Außerdem soll W. an die Geschädigte, die sich wenige Wochen nach dem Tod des Kindes von ihm getrennt hatte, ein „angemessenes Schmerzensgeld in angemessenen Monatsraten“ zahlen. Rosemarie K. will in einem Zivilprozeß Schmerzensgeld einklagen. Auch die Krankenkasse hat bereits Akteneinsicht gefordert und wird die Kosten für Krankenhaus und Beerdigung einfordern.
ra
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