Coetzees Roman "Schande" verfilmt: Gefangene des eigenen Landes
Wie wirkt die Apartheid in den Körpern und Köpfen weiter? "Schande", der Roman von J. M. Coetzee, hat es minutiös erforscht. Steve Jacobs hat ihn jetzt fürs Kino adaptiert.
Wenn die Kamera durch die formvollendet schöne Wohnung des Professors schleicht, sehr langsam, wenn sie später über die knochendürre Hügellandschaft Südafrikas wie ein Schatten kriecht, mit fast angehaltener Langsamkeit, da stellt sich ein Bangen ein. Geht die Verfilmung von "Schande" vor diesem literarischen Meisterwerk an Schlichtheit, Spannung und Intensität aus lauter Ehrfurcht in die Knie? Geschieht die Aufladung, bevor wir Genaueres von dem Unheil wissen? Wie sehr wird die Regie sich lösen können von einem Autor, der vor den Augen seines Lesers mit gleichmütig konzentrierter Verfassung an der schmerzhaftesten Wunde seines Landes operiert?
J. M. Coetzee setzt genau dort an, wo sich die zentrale Frage in ätzender Schärfe herausstellt. Können Menschen, denen sich eine Geschichte aus Grausamkeit und Gewalt tief ins Gehirn gebrannt hat, jemals wieder davon loskommen? Um diese Frage geht es in nahezu all seinen Romanen und Essays, und meistens bezieht sich Coetzee auf die koloniale Geschichte Südafrikas, auf das System von Apartheid und Rassismus, dessen Abschaffung den Hass und die Brutalität weder auflösen noch auslöschen konnte. Vielmehr herrscht das Gesetz der Unterwerfung mit sowohl den alten als auch den neuen Machtverteilungen.
David Lurie (John Malkovich), der als Literaturprofessor der ehemals weißen Oberschicht angehört, nutzt seine Position nicht zum ersten Mal, um eine Studentin zu verführen. Dieses Mal jedoch kommt es ans Licht, und er wird, nachdem er sich weigert, ein öffentliches Reuegeständnis abzugeben, vom Lehrdienst suspendiert. Lurie beschließt, seine Tochter Lucy (Jessica Haines) zu besuchen, die auf dem Land lebt und neben einer kleinen Farm eine Hundepension betreibt.
Lucy lebt allein, seit Helen, ihre Partnerin, nach Johannesburg zurückgezogen ist. Zur Hand geht ihr Petrus (Eriq Ebouaney), ein schwarzer Farmer, der dank finanzieller Unterstützung des Staates auch ein Stück von Lucys Land kaufen konnte. Just als Petrus für ein paar Tage abwesend ist, kommt es zu einem brutalen Überfall durch drei schwarze junge Männer. Lurie wird in die Toilette gezerrt, mit Benzin übergossen und angezündet, während Lucy von den Männern vergewaltigt wird.
Das erste, was Lucy hinterher ergreift, ist das Gewehr, um den in ihren Zwingern eingesperrten und halb tot geschossenen Hunden den Gnadenschuss zu verpassen. Hunde, die noch in etlichen anderen Werken von Coetzee eine Rolle spielen, scheinen die einzig unschuldig leidenden Kreaturen. Während die Menschen ihnen maximal den erlösenden Tod bringen, sind es Hunde, die ihnen einen Begriff von menschlicher Regung beibringen können.
Lurie, der Ästhet, der seinen Verführungsakt, obwohl er einem formalisierten Tötungsakt gleichkommt, mit der Poesie von Byron unterlegt, muss dafür erst wirklich auf den Hund kommen. John Malkovich gelingt diese Veränderung, als sei sie ihm auf den Leib geschnitten. Als ob er sich und seinen berühmten Mund mit seinem leicht überheblichen Zug noch einmal etwas anderes erfahren lassen wollte. Naserümpfend sieht er zuerst auf die Tierärztin Bev (Fiona Press) herab und auf ihre Aufopferung für die kranken Hunde, später bietet er sich an, die Kadaver zum Verbrennungsofen zu fahren, zuletzt ist der öde Innenhof der Tierklinik sein Zufluchtsort.
Die Verfilmung spürt sehr sorgsam der Romanvorlage nach; für die spezielle ausgehöhlte Verfasstheit der Menschen und ihre armselig bindungslosen Beziehungen zeigen sich jedoch die Grenzen in der filmischen Darstellung gegenüber der sprachlichen. Wo der Film im unbefreiten Gleichförmigen der Figuren verharrt, löst im Roman manches messerscharf beschriebene Detail direkte Schockwirkungen aus.
So ist es mit der Beschreibung der Hundekadaver, die auf die Wägelchen der Förderanlage geschmissen werden, um anschließend ins Feuer befördert zu werden. Da die Beine sich häufig verfangen, kommt nicht selten ein Hund schwarz verkohlt und grinsend wieder zurück, weshalb die Arbeiter mit Schaufeln auf ihn einschlagen, um die steifen Glieder zu brechen. Es ist die Situation, in der Lurie zum ersten Mal Mitleid für die Geschöpfe empfindet und die Sache fortan selbst in die Hand nimmt. Die gesamte Situation funktioniert sprachlich, filmisch dagegen kaum.
Was den Film jedoch am stärksten prägt, das ist seine Landschaft, das grelle, unbarmherzige Licht und die hellen Farben. Eine Landschaft, die hügelig ist, und doch eindeutig und unmissverständlich. Diese Landschaft ist auch das Gesicht von Lucy, wenn sie ihrem Vater eindeutig und unmissverständlich erklärt, dass sie weiter hier leben wird, dass sie zu ihrem Schutz die Zweitfrau von Petrus werden wird, und dass sie das Kind, mit dem sie von einem der Vergewaltiger schwanger ist, behalten wird.
Wenn sie sich also unmissverständlich auf der Ebene mit der Wirklichkeit dieses Landes trifft, auf der ihr klar geworden ist, dass sie, solange sie in dieser Landschaft leben will, diese zu ertragen hat, dass sie sich gegenseitig darin ertragen müssen, als Gefangene des eigenen Landes, die nichts anderes ist, als ihre Geschichte. Irgendwann nämlich stellt sich heraus, dass diese Landschaft von menschlicher Natur ist und nicht umgekehrt. Es ist das große Thema, das Coetzee in allen seinen Romanen bewegt, wie sehr die politische Zeit durch die Körper der Menschen zieht und sich auf das Land niederschlägt, wo sie länger als für die Dauer von Generationen benötigt, ehe sie wieder herausgewachsen ist.
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