Clubkultur während des Ukrainekriegs: Tanzen, wenn Krieg ist?

Der Ukrainekrieg fällt zusammen mit der Wiederauferstehung der Partynacht. Plötzlich ist das Anstehen vorm Club beladen mit Bedenken und Diskussionen. Wie damit umgehen?

Demo vor der russischen Botschaft in Berlin am 22. Februar 2022, kurz vor Kriegsbeginn, ein junger Mensch mit Maske schwingt eine Ukraine-Flagge

Demo vor der russischen Botschaft in Berlin am 22. Februar 2022, kurz vor Kriegsbeginn Foto: Piotr Pietrus

Von RUTH FUENTES

taz FUTURZWEI, 23.06.22 | Wer in einem guten Berliner Club tanzen gehen will, kommt um die Warteschlange nicht herum. Selbst dann nicht, wenn dir Tesla gehört, und ganz sicher nicht, wenn es noch nicht so lange her ist, dass die Diskotheken der Stadt endlich wieder öffnen durften. Doch die Bedeutung der Warteschlange ist nicht zu unterschätzen.

Sie bietet Zeit, nochmal eine zu rauchen, jemanden zum Späti zu schicken, um ein Bier zu holen, etwas zu früh einzuwerfen, weil man die Wartezeit unterschätzt oder die vor oder hinter einem (je nach Sympathie) in ein Gespräch zu verwickeln. Die Warteschlange ist ein Ort emotionaler Anspannung, selbst wenn man noch nicht drauf ist. Sie führt zum Moment der Entscheidung: Werde ich reinkommen oder nicht? Doch heute drängt sich, je näher wir der Tür kommen, eine weitere Frage auf: Darf ich überhaupt reingehen oder nicht?

Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Fuentes, 28, ist Redakteurin des taz lab 2023

Sie wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Boks, 26, wird gefördert von der taz Panter Stiftung.

Er wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

»Digga, die werfen da Bomben«

Ein Angriffskrieg auf europäischem Terrain fällt zusammen mit der Wiederauferstehung der Partynacht. Natürlich fühlen wir uns angemessen schlecht, haben schon Geld ans Rote Kreuz gespendet und unsere Hausapotheke an der Sammelstelle am Ring-Center abgegeben.

»Digga, die werfen da grad' Bomben und wir gehen tanzen. Die ukrainische Grenze ist ja mega nah, sogar näher als Paris von hier aus …«

»Ach, da fallen auch Bomben, wenn wir nicht tanzen gehen …«

Ein Recht auf Eskapismus?

Das Gespräch der Gruppe vor uns lässt das schlechte Gefühl wieder aufkommen, das wir heute Morgen entschieden hatten, zu verdrängen. Überzeugt hatte uns schließlich das Argument, dass sich durch Tanz-Verzicht auch nichts ändern lässt, was Kriege, Kapitalismus und Klimakrise angeht. Dass ein gewisser, kurzfristiger »Hang zur Flucht aus der Wirklichkeit, Zerstreuungs- und Vergnügungssucht sowie eine neurotische Abwehr von unerfreulichen Aspekten und Anforderungen der Realität« – kurz: Eskapismus – deswegen erlaubt sei, ja sogar wichtig für die psychologische Gesundheit. Salutogenetisch sozusagen. Unsere Schnelltests sind negativ und der Club spendet einen Anteil des Eintritts an Hilfsorganisationen in der Ukraine. Wir haben also unseren Teil getan.

»Wenn hier Krieg wäre, wollte ich doch auch nicht, dass die Leute in Frankreich abends nur in ihrer Wohnung sitzen und mitfühlen …«, mische ich mich in das Gespräch vor uns ein.

»Naja, es geht ja erst mal um Solidarität und Respekt, nicht?«, sagt eine Frau aus der Gruppe. Ich erkenne ein kleines Tattoo an ihrer Hand, es ist ein Peace-Symbol.

»Finite pool of information«

Der Typ vor ihr dreht sich nun auch zu uns um: »Jetzt plötzlich, was? Jemen, Syrien, Afghanistan, das interessiert euch alles ein Scheiß … aber sobald es um andere weiße Menschen geht, dann zeigt ihr Solidarität!«

»Das nennt man finite pool of information …«, sagt die Peace-Frau.

»Ne, das nennt man Rassismus«, antwortet der Typ und dreht sich wieder weg, bereit, aus antirassistischen Gründen tanzen zu gehen.

»Also, wenn Leute an die ukrainische Grenze fahren, um zu helfen, das finde ich schon krass«, sagt jetzt die Freundin der Frau mit dem Peace-Zeichen.

»Ja, das würde ich auch gerne mal machen, aber gerade …«, antwortet sie.

Schlechtes Gewissen auf den letzten Metern

Die Leute neben mir in der Schlange nicken. Ich überlege, das Thema zu wechseln, aber, weil alle um mich herum über den russischen Krieg reden, kann ich irgendwie nur an die fossile Abhängigkeit Europas denken. Aber dann erinnere ich mich daran, dass mir letztens vorgeworfen wurde, wie zynisch das sei, dass man jetzt so viel »darüber« spreche.

Und dann auch noch den Krieg als Chance zu missbrauchen, um unsere Energieversorgung zu hinterfragen. Dass man jetzt auch mal einen kalten Winter durchstehen könne, wo doch andere um ihr Leben fürchten müssen. Auch habe ich keine Lust, nochmal zu betonen, wie sehr auch ich den Krieg verurteile. Also öffne ich mir einfach noch ein Bier, obwohl wir nur noch wenige Meter vor der Tür stehen.

»Dir geht’s doch nur um dich selbst«

»Boah, Leute, ich bin grad' ernsthaft am Überlegen, ob ich wirklich reingehen sollte«, sagt plötzlich der Kumpel der Peace-Tattoo-Frau. Ein gelb-blauer Anstecker hebt sich von seinen schwarzen Klamotten ab. Ich muss daran denken, wie mich letztens jemand angeschnauzt hatte, dass ich mein Profilbild bei Facebook noch nicht in Ukraine-Farben getaucht hätte.

»Und du denkst, die Nacht auf Twitter zu verbringen, hilft mehr? Dir geht’s doch nur um dich selbst, dein eigenes Gewissen zu beruhigen«, knurrt die Peace-Tattoo-Frau.

Der Vorwurf seiner Freundin bleibt unbeantwortet als wir an der Tür ankommen. Der Typ mit dem Ukraine-Pin ist wortlos gegangen. Wir anderen geblieben. Und blicken jetzt dem Türsteher erwartungsvoll an. Wenn ich reinkomme, verpasse ich safe die Demo morgen, denke ich noch. Und der Krieg wird am nächsten Nachmittag immer noch da sein, genauso wie mein Entsetzen darüber und den abwechselnd aufkommenden Drang, mich zu engagieren, mich durch Social Media zu doomscrollen und mich im Beat der Musik zu verlieren.

Dieser Beitrag ist im Juni 2022 in taz FUTURZWEI N°21 erschienen.

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