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„Clinton hat unter Eid gelogen“Bericht an das Repräsentantenhaus nach Abschnitt 28, Paragraph 595c des Kodex der USA, vorgelegt vom Büro des Sonderermittlers, 9. September 1998

■ Gemäß § 595c, Abs. 28 des Kodex der Vereinigten Staaten legt das Büro des Sonderermittlers (OIC) hiermit erhebliche und glaubwürdige Information vor, daß Präsident William Jefferson Clinton Handlungen begangen hat, die Gründe für ein Amtsenthebungsverfahren sein könnten.

Die Information enthüllt, daß Präsident Clinton:

– bei einem Zivilverfahren, während er Angeklagter in einem Prozeß wegen sexueller Belästigung war, unter Eid log;

– vor einer Grand Jury unter Eid log;

– versuchte, die Aussage einer möglichen Zeugin zu beeinflussen, die direkte Kenntnis von Tatsachen hatte, die die Falschheit seiner Aussage enthüllen würden;

– versuchte, die Justiz zu behindern, indem er den Plan einer Zeugin förderte, sich einer Vorladung zu verweigern;

– versuchte, die Justiz zu behindern, indem er eine Zeugin ermunterte, eine eidesstattliche Erklärung zu hinterlegen, von der der Präsident wußte, daß sie falsch war, und dann diese eidesstattliche Erklärung bei seiner eigenen Aussage verwendete;

– gegenüber potentiellen Zeugen der Grand Jury log, im Bewußtsein, daß sie diese Lügen vor der Grand Jury wiederholen würden; und

– ein Verhaltensmuster einschlug, das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur treuen Vollstreckung des Gesetzes nicht übereinstimmte.

Das Beweismaterial zeigt, daß diese und andere Handlungen Teil eines Musters waren, das als Versuch begann, die Preisgabe von Information über die Beziehung des Präsidenten mit einer früheren Praktikantin und Angestellten des Weißen Hauses, Monica S. Lewinsky, zu verhindern, und als Versuch weiterging, die Preisgabe dieser Information in einer andauernden strafrechtlichen Untersuchung zu verhindern.

Hintergrund der Tatsachen

Im Mai 1994 reichte Paula Corbin Jones beim US-Bezirksgericht für Ost-Arkansas Klage gegen William Jefferson Clinton ein. Frau Jones warf Präsident Clinton vor, daß er, während er Gouverneur von Arkansas war, sie während eines Vorfalls in einem Hotelzimmer in Little Rock sexuell belästigt habe. Präsident Clinton wies die Vorwürfe zurück. Er hinterfragte auch die Fähigkeit eines privaten Klägers, gegen einen amtierenden Präsidenten zu prozessieren. Im Mai 1997 wies das Oberste Gericht das juristische Argument des Präsidenten einstimmig zurück. Das Gericht schloß, daß Frau Jones, „wie jeder andere Bürger, der sich korrekt auf die Rechtsprechung (des Bezirksgerichts) beruft,... ein Recht auf ordentliche Behandlung seiner Ansprüche hat, und daß Frau Jones daher berechtigt war, ihren Anspruch zu verfolgen, während der Präsident im Amt war.“ Wenige Monate später begann das Ermittlungsverfahren.

Ein heftig umstrittener Punkt in der Jones-Klage war das Ausmaß, zu dem der Präsident verpflichtet sein würde, Informationen über sexuelle Beziehungen preiszugeben, die er mit „andere Frauen“ gehabt haben könnte. Frau Jones' Anwälte verlangten die Preisgabe dieser Information und argumentierten, es sei relevant, um zu beweisen, daß der Präsident Frau Jones einen Antrag gemacht hatte. Der Präsident widersetzte sich der Ermittlungsforderung und argumentierte, Beweismaterial über Beziehungen mit anderen Frauen (wenn es solche gab) sei irrelevant.

Spät in 1997 wurde das Thema US-Bezirksrichterin Susan Webber Wright zur Klärung vorgelegt. Richterin Wrights Entscheidung war unzweideutig. Zum Zwecke der Ermittlungen war Präsident Clinton verpflichtet, gewisse Informationen über die ihm vorgeworfenen Beziehungen zu anderen Frauen zu liefern. In einem Beschluß vom 11. Dezember 1997 zum Beispiel sagte Richterin Wright: „Das Gericht findet daher, daß der Kläger berechtigt ist, Informationen über alle Individuen zu erhalten, mit denen der Präsident sexuellen Verkehr hatte oder verlangte und die in der relevanten Zeit Bundes- oder Staatsangestellte waren.“ Richterin Wright verschob die Frage auf später, ob Informationen dieser Art zulässig wären, sollte der Fall vor Gericht kommen. Aber das Bezirksgericht entschied, daß der Präsident für den Zweck der Beantwortung schriftlicher Fragen an den Präsidenten und der Beantwortung von Fragen bei einem Zeugenauftritt antworten muß.

Mitte Dezember 1997 beantwortete der Präsident eine der schriftlichen Fragen, die Frau Jones zu diesem Thema gestellt hatte. Gefragt, alle Frauen zu identifizieren, die Bundes- oder Staatsangestellte waren und mit denen er seit 1986 „sexuellen Verkehr“ hatte, antwortete der Präsident unter Eid: „Keine.“ Zum Zwecke dieser Befragung wurde der Begriff „sexueller Verkehr“ nicht definiert.

Am 17. Januar 1997 wurde Präsident Clinton unter Eid über seine Beziehungen zu anderen Frauen an seinem Arbeitsplatz befragt, dieses Mal bei einem Zeugenauftritt. Richterin Wright war Vorsitzende bei diesem Zeugenauftritt. Dem Präsidenten wurden viele Fragen über seine Beziehung zu Monica Lewinsky gestellt, damals eine 24jährige ehemalige Praktikantin des Weißen Hauses, Angestellte des Weißen Hauses und Angestellte des Pentagon. Unter Eid, in Anwesenheit von Richterin Wright, verneinte der Präsident, daß er eine „sexuelle Affäre“, eine „sexuelle Beziehung“ oder „sexuellen Verkehr“ mit Frau Lewinsky gehabt hatte. Der Präsident gab auch an, er habe keine genaue Erinnerung daran, mit Frau Lewinsky allein gewesen zu sein, er erinnere sich an wenige Einzelheiten möglicherweise ausgetauschter Geschenke und wies darauf hin, daß niemand außer seinen Anwälten ihn von Frau Lewinskys Status als potentieller Zeuge im Jones-Verfahren informiert hatte.

Die Untersuchung

Am 12. Januar erhielt dieses Büro Informationen, wonach Monica Lewinsky versuche, die Aussage einer der Zeugen in der Jones-Klage zu beeinflussen, und daß Frau Lewinsky selber bereit sei, in diesem Verfahren falsche Informationen unter Eid zu liefern. Das OIC wurde auch informiert, daß Frau Lewinsky mit dem Präsidenten und dem engen Freund des Präsidenten, Vernon Jordan, über die Vorladung als Zeugin im Jones-Verfahren gesprochen hatte, und daß Vernon Jordan und andere ihr halfen, Arbeit zu finden. Die Vorwürfe in bezug auf Herr Jordan und die Arbeitssuche ähnelten Vorwürfen, die in der laufenden Whitewater-Untersuchung bereits untersucht wurden.

Nachdem es vorläufiges Beweismaterial zur Prüfung der Verläßlichkeit des Informanten gesammelt hatte, legte das OIC das Beweismaterial Generalbundesanwältin Janet Reno vor. Auf Grundlage ihrer Untersuchung der Informationen beschloß die Generalbundesanwältin, daß eine weitere Untersuchung durch den Sonderermittler nötig sei.

Am nächsten Tag bat Generalbundesanwältin Reno die Sonderabteilung des Berufungsgerichts des District Columbia, den Zuständigkeitsbereich des Sonderermittlers Kenneth W. Starr zu erweitern. Am 16. Januar 1998 gab die Sonderabteilung in Antwort auf die Bitte der Generalbundesanwältin eine Order heraus, die hauptsächlich folgendes festlegt:

Der Sonderermittler soll die Zuständigkeit und Autorität haben, mit dem maximal erlaubten Ausmaß unter dem Sonderermittlergesetz von 1994 zu untersuchen, ob Monica Lewinsky oder andere einen Meineid veranlaßten, die Justiz behinderten, Zeugen einschüchterten oder in anderer Weise, außer Vergehen der Klassen B und C, bei der Behandlung von Zeugen, potentiellen Zeugen, Anwälten oder anderen im Zivilverfahren Jones gegen Clinton das Bundesgesetz brachen.

Am 28. Januar 1998, nachdem die Vorwürfe über die Beziehung des Präsidenten zu Frau Lewinsky publik wurden, reichte das OIC einen Interventions- und Aufschubantrag im Verfahren Jones gegen Clinton ein. Das OIC argumentierte, daß die zivile Ermittlung angehalten werden sollte, weil sie eine negative Wirkung auf die strafrechtliche Untersuchung habe. Das OIC vertrat gegenüber dem Gericht, daß viele im Jones-Verfahren vorgeladene Individuen, einschließlich Monica Lewinsky, für die Untersuchung des OIC wichtig waren, und daß Gerichte bei diesen Umständen Ermittlungen routinemäßig anhalten.

Am nächsten Tag antwortete Richterin Wright auf den Antrag des OIC. Das Gericht entschied, daß die Ermittlung fortfahren dürfe, außer in dem Ausmaß, daß darin Informationen über Monica Lewinsky gesucht würden. Das Gericht erkannte an, daß „Beweismaterial über Monica Lewinsky zu den Elementen des (Jones-) Verfahrens relevant sein könnte.“ Es schloß jedoch, daß dieses Beweismaterial nicht „wesentlich für die Kernelemente in diesem Verfahren“ war und daß einiges von diesem Beweismaterial „sogar unzulässig sein könnte“. Das Gericht befand, daß die potentielle Verzögerung in der Ermittlung über Frau Lewinsky im Jones- Verfahren den potentiellen Wert dieses Beweismaterials überwog. Das Gericht war auch besorgt, daß die Untersuchung des OIC „beeinträchtigt und beeinflußt werden könnte, sollte das Gericht eine Untersuchung der Lewinsky-Sache durch die Parteien des Zivilverfahrens zulassen“.

Am 9. März 1998 wies Richterin Wright Frau Jones' Antrag auf Überdenkung der Entscheidung über Monica Lewinsky zurück. Die Order stellt fest:

Das Gericht erkennt bereitwillig an, daß Beweismaterial in der Lewinsky-Sache für die Klage relevant hätte sein können und, wie sie argumentiert, daß solches Beweismaterial ihr möglicherweise geholfen hätte, unter anderem Intention, Nichtirrtum, Motiv und Gewohnheit des Präsidenten festzustellen. Nichtsdestotrotz, was für eine Relevanz solches Beweismaterial auch ansonsten haben könnte, ist es einfach nicht wesentlich für die Kernelemente in diesem Fall.

Am 1. April 1998 gab Richterin Wright Präsident Clintons Antrag auf Entscheidung statt und schloß, daß, auch wenn die von Paula Jones vorgeworfenen Tatsachen stimmten, ihre Klage juristisch abgewiesen sei. Frau Jones hat Berufung eingelegt, und zum Datum dieses Berichts bleibt die Sache beim Berufungsgericht des Achten Kreises anhängig.

Nach der Abweisung von Frau Jones' Klage ging die strafrechtliche Untersuchung weiter. Es war (und ist) die Ansicht dieses Büros, daß jeder Versuch, das korrekte Funktionieren des Rechtssystems zu behindern, ganz ohne Anbetracht des zugrundeliegenden Falles, eine ernste Angelegenheit ist, die weitere Untersuchung verdient. Nach sorgfältiger Prüfung allen Beweismaterials ist das OIC zu dem Schluß gekommen, daß die Beweise für Fehlverhalten erheblich und glaubwürdig sind, und daß das Fehlverhalten von ausreichender Schwere ist, um Weiterleitung an den Kongreß zu verdienen.

Die Bedeutung der Beweise

Es ist nicht Aufgabe dieses Büros, festzustellen, ob die Handlungen des Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren durch das (Repräsentanten-)Haus und eine Absetzung durch den Senat verdienen; diese Entscheidungen sind natürlich verfassungsmäßig der Legislative anvertraut. Das Büro ist vielmehr autorisiert, strafrechtliche Untersuchungen anzustellen und strafrechtliche Anklagen in Angelegenheiten innerhalb seines Zuständigkeitsbereiches zu beantragen. Bei seiner Untersuchung hat das Büro jedoch auch die gesetzliche Pflicht, gegenüber dem Kongreß Informationen preiszugeben, die Gründe für ein Amtsenthebungsverfahren darstellen könnten – eine Aufgabe, die zwangsläufig eine Beurteilung der Schwere der im Beweismaterial offenbarten Handlungen erzwingt.

Diese Phase der Untersuchung des OIC ist von Anfang an als ungehörige Untersuchung des persönlichen Verhaltens des Präsidenten kritisiert worden; tatsächlich meinte der Präsident selber, daß spezifische Untersuchungen seines Verhaltens Teil eines Versuches seien, „mein Privatleben zu kriminalisieren“. Die bedauerliche Tatsache, daß die Untersuchung oft Zeugen gezwungen hat, sensible persönliche Dinge zu diskutieren, hat diese Wahrnehmung gefördert.

Alle Amerikaner, einschließlich des Präsidenten, haben das Recht auf Genuß eines privaten Familienlebens frei von Betrachtung durch Öffentlichkeit oder Regierung. Aber die Sorgen um Privatheit, die in diesem Verfahren aufgeworfen werden, unterliegen Grenzen, von denen wir hier drei kurz ausführen:

1. Die erste Grenze wurde gesetzt, als der Präsident vor einem Bundesgericht wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung verklagt wurde. Das Beweismaterial in solchen Verfahren ist oft persönlich, zuweilen sowohl für den Kläger wie auch für den Angeklagten hochgradig peinlich. Nichtsdestotrotz sind Kongreß und Oberstes Gericht zu dem Schluß gekommen, daß Peinlichkeitserwägungen hinter dem höheren Interesse zurückzutreten müssen, der beschwerten Partei die Verfolgung ihrer Klage zu erlauben. Eine Partei, die lügt oder Beweismaterial unterschlägt, auf der Grundlage zu entschuldigen, daß das Beweismaterial nur „persönliches“ oder „privates“ Verhalten betrifft, würde dem Ziel widersprechen, das Kongreß und die Gerichte bei der Vollstreckung und Auslegung der Gesetze über sexuelle Belästigung zu verfolgen versuchen. Dies trifft besonders dann zu, wenn das Verhalten, das verborgen wird – sexuelle Beziehungen zwischen einem hohen Amtsträger und einer jungen untergeordneten Angestellten –, selbst mit diesen Zielen in Konflikt steht.

2. Die zweite Grenze wurde gesetzt, als Richterin Wright die Preisgabe der präzisen Information verlangte, die zum Teil das Thema dieses Berichts darstellt. Mehr als einmal ordnete eine Bundesrichterin den Präsidenten spezifisch an, die beantragte Information über Beziehungen zu anderen Frauen zu liefern, einschließlich Monica Lewinsky. Die Tatsache, daß Richterin Wright später beschloß, daß das Beweismaterial vor Gericht nicht zulässig wäre und daß sie später noch für den Präsidenten urteilte, ändert die gesetzliche Pflicht des Präsidenten zum Zeitpunkt seiner Aussage nicht. Meineid und Versuche, das Sammeln von Beweismaterial zu behindern, kann nie eine akzeptable Antwort auf eine Gerichtsorder sein, was auch immer der eventuelle Verlauf oder der Ausgang der Klage ergibt. Unter Meineid gemachte Aussagen sind eine offensichtliche und flagrante Beleidigung für die Grundbegriffe des Rechtsverfahrens. Effektive Beschränkungen gegen dieses ungeheuerliche Vergehen sind daher unbedingt erforderlich.

3. Die dritte Grenze betrifft allein den Präsidenten. Als Leiter der Exekutive hat der Präsident die verfassungsmäßige Pflicht, „Sorge zu tragen, daß die Gesetze treu vollstreckt werden“. Der Präsident machte seine Aussage im Jones-Verfahren unter Eid und in Anwesenheit eines Bundesrichters, Mitglied eines gleichrangigen Teiles der Regierung; er sagte dann vor einer Bundes-Grand-Jury aus, einr Körperschaft von Bürgern, die selbsthatten, die Wahrheit zu suchen. Angesichts des riesigen Vertrauens und der Verantwortung hat der Präsident eine offensichtliche Pflicht, sicherzustellen, daß sein Verhalten zu allen Zeiten mit dem Gesetz übereinstimmt.

Meineid und Handlungen zur Behinderung der Justiz durch jeden Bürger sind eine tiefernste Angelegenheit. Wenn solche Handlungen vom Präsidenten der Vereinigten Staaten begangen werden, glauben wir, daß diese Handlungen Gründe für ein Amtsenthebungsverfahren ausmachen können.

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