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Claudius Prößer über einen besonderen Termin im AbgeordnetenhausBesuch im ungelobten Land

In Raum 113 des Abgeordnetenhauses sieht es am Montagnachmittag etwas anders aus als sonst. Hinten, wo sich meist die Presse drängelt, sind Kabinen für DolmetscherInnen aufgebaut, und vorne, in der Mitte eines Tisch-Karees, stehen große Bildschirme auf dem Boden, die aus allen Richtungen sichtbar sind.

Der Aufwand hat seinen Grund: Auf den Plätzen haben Delegationen aus Jordanien, China, der Mongolei und Namibia Platz genommen – VertreterInnen von Behindertenorganisationen, für die eine Simultanübersetzung ins Arabische, Chinesische und Englische angeboten wird. Außerdem gibt es einen Dolmetscher für arabische Gebärdensprache. Die Übersetzungstechnik hat die Konrad-Adenauer-Stiftung gesponsort.

Die BesucherInnen sind aber nicht nur für einen Besuch des Preußischen Landtags angereist. Sie sind Teilnehmende des Global Disability Summit, der am Mittwoch und Donnerstag stattfindet – ein großes Event mit Dutzenden Panels in der „Station“ am Gleisdreieck. Zur Eröffnungsveranstaltung werden der geschäftsführende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der jordanische König erwartet.

Im Abgeordnetenhaus sollen die Gäste etwas über Konzept und Arbeit des Behindertenparlaments erfahren, ins Leben gerufen vom Aktivist und taz-Autor Christian Specht und getragen von Organisationen wie dem Behindertenverband oder der Landesvereinigung Selbsthilfe.

Specht erzählt, wie er auf die Idee für das Parlament kam, das in diesem Jahr sein fünfjähriges Jubiläum feiert. Thorsten Gutt von der Landesvereinigung Selbsthilfe betont, welche wichtige Rolle das Forum für die Partizipation von Menschen mit Behinderung spielt. Auch wenn es kein formales Mitspracherecht hat: „Sich einmal im Jahr auf Augenhöhe mit den Politikern des Senats im Plenarsaal austauschen zu können, ist von unermesslichem Wert.“

Die Gäste wollen wissen, welche Rolle die Parteien für die Zusammensetzung des Parlaments spielen (Antwort: keine) oder welche Behinderungen zur Teilnahme an dem Gremium berechtigen (Antwort: alle). Dass die deutsche Hauptstadt alles andere als das gelobte Land der Inklusion ist, wird ihnen spätestens klar, als die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Christine Braunert-Rümenapf, spricht, unter anderem über den Berliner Wohnungsmarkt: „Wir wissen weder, wie viele barrierefreie Wohnungen es genau gibt und wo sie liegen, noch, ob sie an Menschen mit Bedarf vermietet werden“, sagt sie. „Das ist die bittere Realität.“

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