■ „Christus lebt!“: Gnadenlose Gläubige
„Der Papst redet in 33 Sprachen, doch verstehen kann er nur Polnisch!“
Als ich es zum erstenmal hörte, war dieses leicht bissige Aperçu ofenfrisch. Das war im Herbst 1978, und ich befand mich in Warschau, genauer gesagt, als Besucher in der Kantine des Jüdischen Theaters am Grzybowski-Platz 12, zu dessen Ensemble dank der Pirouetten des Exils ein Freund von mir, ein chilenisch-jüdischer Schauspieler, gehörte. Zusammen mit anderen Akteuren saßen wir am Tisch und überbrückten die Zeit bis zum Beginn der Abendvorstellung mit einem faden, doch bestimmt koscheren Glas Tee und einem Sonderprogramm des damals heidnischen polnischen Staatsfernsehens über ein sozusagen göttliches Ereignis. Auf dem schwarzweißen Bildschirm sowjetischen Fabrikats konnten wir verfolgen, wie sich eine milchige, jüngferliche Rauchfahne über dem Sankt-Peters-Platz mit dem herrlichen römischen Oktoberhimmel paarte, und die bebende Stimme des greisen Konklavesekretärs vernehmen, der vor einer jubelnden Menge endlich die jahrhundertealte Formel aussprach: „Annuntio vobis magnum gaudium: Papam habemus!“ – vulgo „Ich verkünde euch eine große Freude: Wir haben einen Papst“. Darauf folgte der Name des Auserwählten: „Ioannis Paulus II.“
Ein frohes, unendliches Kirchenglockenläuten erschallte und breitete sich wie ein Lauffeuer durch alle katholischen Provinzen der Welt aus, die polnischen freilich zuallererst. Und just in jenem Moment ließ irgendeiner aus der Runde das erwähnte Bonmot auf den Tisch fallen. In Jiddisch, natürlich. Jedoch möchte ich an dieser Stelle keineswegs behaupten, daß dieser hintersinnige Witz über die anerkannten Sprachbegabungen und die angeblichen Perzeptionsschwierigkeiten des Karol Wojtyla jüdischen Ursprungs sei. Mit aller Sicherheit handelte es sich hier lediglich um die postmoderne Version eines schon vorhandenen, älteren Gassengemunkels.
Nicht nur aus Übersetzungsgründen dauerte es eine Weile, bis ich mich zu einem höflichen, heuchlerischen Lächeln zwang. Leider Gottes gehöre ich nicht zu den Glücklichen, die von der erlösenden Lebenskraft des Glaubens an ihn oder an eine ähnliche Größe gezeichnet wurden, deshalb wähnte ich zu der Zeit irrtümlicherweise, das ganze sei ein rein theologischer Jux gewesen. Nur für Kenner. Erst viele Jahre später begann ich, die wahren Dimensionen jener Pointe zu erahnen. Sie bezieht sich weder auf die Herkunft des jetzigen Pontifex maximus noch auf seine strittige, jedoch transistorische Rolle in der vatikanischen Verwaltung von Hoffnungen und noch viel weniger auf die bunte, von ihm so stramm geführte Herde. Beim sorgfältigen Betrachten unserer zeitgenössisch-historischen Umgebung schöpfte ich Verdacht, daß das Witzwort vielleicht nicht so sehr auf die Person von Johannes Paul II., sondern eher auf die zunehmende Arroganz des Christozentrismus anderen Glaubenssystemen und Denkrichtungen gegenüber aufmerksam machen wollte. Es mehren sich die Zeichen, die dafür sprechen.
Im Okzident zum Beispiel sehen die selbstgetauften christlichen Parteien und nicht wenige ihrer führenden Häupter im Scheitern des sozialistischen Versuchs auch einen Sieg des Gottesglaubens. Demzufolge sollte die politische Weltwende durch eine spirituelle vervollkommnet werden. Das faßte ein kleiner deutscher Minister im Jahre 1990 im noch polnischen Gdansk in einem etwas primitiven, jedoch sehr aufschlußreichen Exorzistenruf zusammen: „Marx ist tot! Christus lebt!“ Aber auch die antibuddhistischen Eskapaden des jetzigen Nachfolgers von Petrus oder die offenkundige Intention, die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz – die von jungen Berliner Christunionisten pietätvoll in „Auschwitz-Festwoche“ umbenannt wurden – zu „christianisieren“, gehören dazu wie auch die strikte Ablehnung des islamischen Religionsunterrichts in deutschen Schulen seitens einiger demokratischer Volksvertreter.
Gewiß ist die Versuchung, das Diesseits nach den eigenen, alleingültigen moralischen Mustern zu gestalten, in der Geschichte aller monotheistischen Religionen nicht neu. Jede von ihnen beansprucht für ihren Gott das einzig absolute Existenzrecht. Und ausgerechnet die gesamtchristliche Kirche hat in ihrem irdischen, keineswegs sanften Umgang mit diesem Sujet eine 2.000jährige reiche politische, mitunter blutige Erfahrung gemacht, die bis tief in unser Jahrhundert reicht. Deshalb entbehrt dies nicht einer pharisäischen Komik, wenn heutzutage im westlichen Teil unserer gemeinsamen Welt das Feindbild des „Fundamentalismus“ – des islamischen, versteht sich, denn einen anderen gibt es offensichtlich nicht – inbrünstig hochgehalten wird.
Wieder beeilen sich die christlichen Ritter neueren Typus, Alarm gegen die alte Gefahr aus dem Orient zu schlagen und zur offensiven Verteidigung des wahren Glaubens aufzurufen. Im Diskurs der westlichen Politiker über die konfliktreiche, eigensinnige, ökonomische, politische, soziale und nicht immer gewaltlose Entwicklung in einigen muslimischen Regionen vibriert erneut derselbe herrschsüchtige Ton, der die Synode von Clermont vor 900 Jahren dominiert haben muß, als Papst Urban II. die Christenheit zum Heiligen Krieg aufrief. Auch dieselbe Ignoranz ist nicht zu überhören. Heute noch bleibt der Islam im hochzivilisierten Abendland überwiegend ein nebulöses, beängstigendes Götzenbild, das als Machtinstrument politischer Interessen gehandhabt werden kann. Daher ist es nicht allzu schwer zu verstehen, warum die hiesige vielgepriesene religiöse Toleranz im Alltag einer Einbahnstraße gleicht – einer mit der strengen Geometrie des Kreuzes.
Wie bei der großen Mehrheit aller Staatsverfassungen, die das Zusammenleben der Menschen zu regeln versuchen, ist auch in der Präambel des aufgeklärten bundesdeutschen Grundgesetzes von Gott die Rede. Aus purer Neugierde wäre es interessant, ja unter Umständen sogar amüsant zu wissen, von welchem. Omar Saavedra Santis 1995
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