Christoph Biermann: In Fußballand
■ Warum aus dem zivilisierten Fußball von heute nicht mehr der Krieg ableitbar ist
Den Ball mit Schwung aus den Gräben Flanderns gekickt, vorwärts ins Feuer der gegnerischen Maschinengewehre. So war es im Ersten Weltkrieg, Dribblings in den Tod. Doch die Soldaten waren schwächlich, schlecht ernährt und kamen untrainiert an die Front. Da durfte sich der Fußball – immer unter dem Verdacht, ein undeutscher Sport zu sein – als Massenertüchtigung profilieren. Zum Besten der Armeen, die sich fit machten für die Feldzüge des Zweiten Weltkriegs.
In der Woche vor Beginn der Angriffe auf Serbien prügelten sich die Hooligans von Roter Stern und Partizan beim Lokalderby in Belgrad. Das tun sie schon seit vielen Jahren, der Kriegsverbrecher Arkan hatte seine ersten Trupps auf den Rängen von Maracana, dem Stadion von Roter Stern, aus Fußballschlägern zusammengestellt. Heute gehört ihm der amtierende jugoslawische Meister FK Obilic, den der FC Bayern München zu Beginn der Saison im Europapokal besiegte. Einige serbische Spieler in den europäischen Ligen würden gerne gegen die Angriffe der Nato in den Streik treten. Einer von ihnen hat angeblich schon seinen Arbeitsplatz beim FC Metz verlassen, um daheim zu kämpfen.
Das Fußballspiel, so hieß es lange Zeit, stelle den Krieg nach. Die Sprachkritiker der 70er Jahre wiesen in diesem Zusammenhang auf den Wortmüll im Fußball hin, auf all die Bomber im Sturm, Kanoniere in der zweiten Reihe und die von Scharfschützen abgefeuerten Granaten. Die Trainer fühlten sich auf ihren Bänken am Spielfeldrand wie Kriegsherren. Daß sich Dettmar Cramer als Napoleon fotografieren ließ, war nicht nur ein guter Witz über seine Körpergröße, sondern drückte auch eine Geistesverwandtschaft aus. Schließlich wollte ein Cramer auf dem mentalen Feldherrenhügel, daß seine Taktik aufging – macht mir den linken Flügel stark. Vor allem aber zählte auf dem Platz der Kampf Mann gegen Mann, und die Leitwölfe sorgten dafür, daß in den Stahlgewittern der Zweikämpfe alle mitheulten – sonst hackt die Hackordnung.
Klaus Theweleit hat mir neulich die Ohren langgezogen, weil ich vor dem letzten Weltmeisterschaftsfinale geschrieben hatte, daß Spieler, die sich „Zizou“, „Lolo“, „Dudu“ und „Titi“ rufen lassen, also wie die Besetzungsliste einer Off-Theateraufführung von „Ein Käfig voller Narren“, nicht Weltmeister werden könnten. Davon abgesehen, daß es anders kam, hat er gesagt: „Gerade!“ – und recht hat Theweleit damit. Gerade in der so besonders schwulenfeindlichen Welt des Fußballs sind alle Risse im Männerbund nur willkommen.
Doch auch ohne rosa Federboa haben die Spieler heute einen großen Teil ihrer soldatischen Aura verloren. Das hat damit zu tun, daß Fußball, auf der Höhe der Zeit betrieben, auch eine Abkehr von Kommandostrukturen bedeutet. Es gibt keine Arbeitsteilung mehr zwischen dem, der die Bälle holt, und dem, der sie danach kunstvoll verteilt. Das Vasallensystem von Macher und Wasserträger ist passé, Männer allein fürs Grobe und welche fürs Feine sind von gestern.
Moderner Fußball bedeutet flache Hierarchien und eine Abkehr von der Vorstellung, daß nur die im Zweikampf aktivierte Aggression zum Erfolg kommt. Auch die Regelgestaltung und ihre Auslegung durch die Schiedsrichter begünstigt eine Zivilisierung des Spiels sowie den Schutz seiner Akteure. Das mag darin begründet liegen, daß sie wertvollere Produktionsmittel geworden sind, tatsächlich ist Fußball dadurch aber weniger stumpf geworden und weniger brutal: Ein Fußballspiel stellt heute keine Schlacht mehr nach.
Für Nationalismen mag Fußball immer noch ein ertragreiches Feld sein, Krieg ist aus dem Geschehen auf dem Spielfeld aber nicht mehr ableitbar. Oder, diese Frage ist unausweichbar, gerade erst recht? Weil es längst ein ganz anderes Konzept von Krieg gibt, dem eine ähnliche Struktur unterliegt wie modernem Fußball?
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