Christian Bahrmann im Gespräch: "Puppenspielen ist ein Knochenjob"

Christian Bahrmann spielte schon immer gern mit Puppen. Ein Gespräch über Kasper, den (gar nicht so) bösen Wolf und die Muskeln, die es fürs Spielen braucht.

Ist auch als Partner des Kikaninchens bekannt: Christian Bahrmann. Bild: dpa

taz: Christian, hast du Kinder?

Christian Bahrmann: Ja, habe ich, drei sogar.

Spielst du auch für die?

Na, die kommen schon regelmäßig, zumindest die Kleinen. Aber zu Hause spiele ich selten Puppentheater für sie. Das ist ja der Fluch des Puppenspielers: Dass man leider selten zu Hause ist, wenn die Kinder zu Hause sind – wegen der Auftritte und Konzerte. Die haben nicht so viel von mir wie andere Kinder von ihren Eltern.

Wie finden die das, wenn du mit Puppen spielst?

Je nach Alter ganz in Ordnung. Der Große ist zehn und kommt schon lange nicht mehr. Der kennt schon alles auswendig, was ich spiele. Der spielt lieber Basketball. Aber die Mittlere ist in der ersten Klasse, genau wie du, die kommt noch sehr gern. Und die Kleinste ist drei und hat neulich ihren ersten Geburtstag im Puppentheater gefeiert.

Der Mensch: Christian Bahrmann, 38, studierte an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Puppenspiel und gründete in der Senefelder Straße sein erstes Puppentheater. 2010 eröffnete er das Puppentheater Prenzlkasper in der Marienburger Straße. Durch seine Auftritte dort und den weiteren auf Kinderfesten, Stadtfesten und Theaterfestivals hat Bahrmann es in den letzten zehn Jahren auf über 3.000 Auftritte gebracht. Außerdem ist Bahrmann als Sänger von Kinderliedern und Moderator mit dem blauen Kikanichen auf dem Kika-Kinderkanal bekannt.

Das Theater: Mit der Eröffnung des Prenzlkaspers - ein gemütlicher Raum mit roten Wänden und goldenen Säulen für bis zu 80 Zuschauer - erfüllte sich Christian Bahrmann einen großen Kindheitstraum: ein eigenes Theater. Seine Stücke "Rotkäppchen", "Das tapfere Schneiderlein" und "Hase und Igel" sind Publikumsrenner - ohne Kartenreservierung geht gar nichts. Vormerken kann man sich die Auftritte Bahrmanns mit "Peter und der Wolf" und "Das tapfere Schneiderlein" nächste Woche vom 21. bis 26. Februar, dieses Wochenende gastiert Marc Hagenbeck in einem magischen Faschingssondergastspiel mit einer Kinder-Mitmach-Zaubershow im Prenzlkasper. Information: prenzelkasper.de

Hab ich auch schon mal!

Ach ja?

Ja! Da bin ich fünf geworden.

Und hat es dir gefallen?

Ja.

Na denn ist ja gut.

Warum spielst du denn so gern mit Puppen?

Weil ich in deinem Alter schon mit dem Puppentheater angefangen habe.

Echt?

Doch! Wirklich. Ich habe von meinem Papa Handpuppen bekommen. Ich hab damals in der Oranienburger Straße gewohnt und hatte so ein dunkles, verbautes Zimmer mit einem Hochbett. Und da hat mein Papa unten ein Kasperletheater reingebaut.

Also hatten Ihre Eltern nicht unbedingt etwas dagegen, dass Sie Puppenspieler werden wollten?

Überhaupt nicht. Sie haben das gemacht, was alle Eltern machen sollten: Sich gefreut, dass ich etwas gefunden habe, was mir Spaß macht.

Und was passierte nach dem Kasperspiel im Kinderzimmer?

Dann wurde ich Stammgast im Puppentheater Firlefanz in der Sophienstraße, bei Harald Preuß. Das wurde 1982 gegründet und existiert bis heute. Ich denke, bei Harald Preuß habe ich das meiste gelernt. Jedenfalls konnte ich dann schon alle Stücke auswendig mitsprechen, so oft war ich da.

Damals gab es noch die DDR.

Genau. Und deshalb habe ich im Kreispionierhaus Bruno Kühn in der AG Puppenspiel mitgemacht, und dann hat es mich eigentlich nie mehr losgelassen. Beim Abitur habe ich im Theaterclub gespielt, während des Abiturs habe ich im Firlefanz angefangen zu arbeiten, als Einlasser, Techniker und bei Tourneen als Roadie.

Das nenne ich mal einen lückenlosen Lebenslauf.

Zwei Jahre lang habe ich mal versucht, was anderes zu machen. Es war eine harte Zeit. Ich wollte Lehrer werden. Hatte aber, wie ich recht schnell feststellen durfte, nach der Schule keine Lust mehr, zu lernen. Zumal sie mir schon im ersten Semester die Freude am Lehren nahmen. Aber das war ja vielleicht auch richtig so, da wurden die Nieten gleich ausgesiebt. Und ich habe mich an der Schauspielschule beworben und wurde auf Anhieb genommen. Zum Glück, denn damals war ich noch nicht so ausdauernd wie heute.

Und hat das dann geklappt mit dem Studium?

Ich bin tatsächlich diplomierter darstellender Künstler Schrägstrich Puppenspieler geworden.

Gab es so eine Ausbildung im Westen auch?

Ja, in Bochum und in Stuttgart. Aber das wissen nicht so viele. Denn die Konzentration von Puppentheatern in der DDR war viel höher, besonders in Ostberlin, dem Mekka der Puppentheater. In der DDR hatte eigentlich jede Bezirksstadt ein Staatstheater und ein staatliches Puppentheater. Das staatliche Puppentheater Ostberlins gibt es übrigens immer noch und wird auch immer noch subventioniert: die Schaubude. Darum haben die Geld für Kunst.

Machen Sie denn keine Kunst?

Ich würde eher sagen: Wir machen Unterhaltung mit der Kunst des Puppentheaters. Denn wir müssen hier eine Miete zahlen.

Seit wann gibt es ihr Theater, den Prenzlkasper?

An diesem Ort seit bald fünf Jahren.

Sie befinden sich sozusagen im Epizentrum des Kinderparadieses Prenzlauer Berg – zwischen Schulen und Kitas, Spielplätzen, Spielzeugläden und Spielcafés.

Ich habe lange nach so einem Raum in so einer Lage gesucht, der noch dazu richtig geschnitten ist, also ein bisschen schlauchförmig, und die richtige Größe hat. 80 Leute, das ist genau richtig für uns – auch wenn wir an manchen Tagen 150 Leute unterbringen könnten und Leute wegschicken müssen.

Der Laden brummt also?

Im Winter schon. Im Sommer allerdings kommt keiner ins Puppentheater. Das Problem ist also, dass wir im ganzen Jahr Miete zahlen müssen. Also haben wir den Laden im Sommer zuerst selbst als Eisdiele genutzt, und als das zu aufwändig wurde, an Gastronomen verpachtet, die hier Eis verkaufen.

Welche von deinen Puppen magst du eigentlich am liebsten?

Mein bester Freund ist der Kasper. In dem steckt ganz viel von mir selber drin. Das Freche, das Neugierige. Aber was mir auch sehr viel Spaß macht, das sind die Bösewichter. Der Wolf im „Rotkäppchen“ zum Beispiel. Oder der Hase in meinem Stück „Hase und Igel“. Als Bösewicht kann man fast noch besser mit den Kindern spielen.

Warum?

Wegen der Lust auf Angst, der Angstlust. Deshalb kommen die Kinder ja.

Warum magst du denn diesen blöden, stinkigen Wolf?

Ich finde es spannend herauszufinden: Warum ist der eigentlich böse? Ist der überhaupt böse? Oder hat der vielleicht einfach nur schlechte Laune? Hat der vielleicht einfach nur Hunger? Oder kann der nur nicht so gut zuhören? Ist der ein bisschen dumm?

Ich glaub, ich mag den Wolf eigentlich auch ganz gern.

(Mit verstellter Stimme) Ich bin der Wolf. (großes Gekicher)

Baust du deine Puppen selber?

Leider nein. Ich kenne kaum gute Puppenspieler, die es auch noch schaffen, ihre Puppen selber zu bauen. Man hat als Puppenspieler so viel allein zu tun – man muss allein fahren, allein aufbauen, allein spielen, allein abbauen. Ein einsamer Beruf, besonders, wenn man eine Familie ernähren will und sich nicht so viele Angestellte leisten kann. Da freut man sich über einen Puppenbauer, mit dem man arbeiten, sich auch mal austauschen kann.

Welche Stücke spielen Sie am liebsten?

Ich habe immer Freude daran, Neues in den alten Märchen zu entdecken. Denn die Kinder kennen die Märchen und können da viel reflektieren, viel drin entdecken. Auch aus ihrem eigenen Leben. Mich selbst interessiert vor allem das Zwischenmenschliche in den Märchen. Da spüre ich dann doch den Lehrer in mir, der ich nie wurde.

Klingt ein wenig nach erhobenem Zeigefinger …

Es ist ja auch so: Man kann wirklich etwas bewirken, wenn man sich einmischt. Reinschreien hilft auch draußen, in der Welt. In Dresden zum Beispiel hätte es dringend mehr Gegendemonstranten gebraucht, die reinschreien. Die Dresdner waren nicht oft genug im Puppentheater.

Spielen Sie neben den Märchen auch Eigenes?

Die Krux als Puppenspieler ist, dass man nur Titel spielen darf, die die Leute kennen. Wenn man sich selbst was Neues ausdenkt, dann kann das Stück so toll und zauberhaft poetisch sein, wie es will: Kein Mensch kommt. Also versuche ich mein Glück über den Umweg der Kaspergeschichten. Kasper und Rotkäppchen, Kasper und der Dinosaurier, Kasper und der Teufel. Die Kinder brauchen den Kasper auch als Hilfestellung. Um mutig zu sein.

Und wie gefällt der Kasper den Erwachsenen, die dabeisitzen?

Das Schönste, was passieren kann, und das macht die Magie des Puppentheaters aus: Wenn man merkt, dass das gerade nur jetzt und hier passiert und nicht noch einmal passieren wird. Vor Kurzem zum Beispiel habe ich „Kasper und der Dinosaurier“ gespielt. Und da gibt es einen Moment, wo der Kasper dem Dinosaurier einen Eierkuchen backt. Und dann frage ich immer aus Spaß: Habt ihr zufällig Eier dabei, und dann sagen sie im Publikum natürlich immer: Nein! Das ist ja auch gut so, sage ich dann immer, denn wir sind ja ein gutes Theater, da muss man keine Eier schmeißen. Diesmal aber sagte eine Mutter: Ja! Da musste ich erst mal einen Moment nachdenken. Dann sagte ich, um Zeit zu gewinnen: Super! Wo denn? Sie dann: Die sind vor der Tür! Im Auto! Ich wieder: Super!

Warum super?

Ich kann ja nicht mit echten Eiern auf der Bühne hantieren. Außerdem ist es für das Stück wichtig, dass der Kasper kurz mal von der Bühne verschwindet, damit der Teufel kommen und Kaspers Pfanne kleinzaubern kann. Also ich zu der Frau: Dann habe ich eine Idee! Du bist ja mein Gast. Also machst du das Auto von hier aus auf, und ich geh raus und hole die Eier. Welche Farbe hat denn dein Auto? Sie: Blau. Ich: Der blaue Porsche mit den Kindersitzen da? Großes Gelächter. Ich konnte mit der Frau und ihrem Einkauf dem Stück noch so viel Eigenes abgewinnen, das war echt toll. Auch für die Großen.

Sie machen also auch Theater für Erwachsene?

Ich spiele Familientheater. Wenn die Erwachsenen nicht wiederkommen, kommen auch die Kinder nicht wieder. Deshalb bin ich auch vor und nach den Vorstellungen oft draußen und rede mit den Leuten. Ich versuche schon ganz genau herauszufinden, wie meine Besucher ticken.

Wie tickt sie denn, die Klientel in Prenzlauer Berg?

Dazu erzähle ich gleich noch eine Anekdote. In einem Stück lasse ich den Kasper sagen, dass er leider nicht einkaufen gehen kann, weil er nur noch einen Taler hat. Sagt ein Mädchen aus dem Publikum: Wir können dir was abgeben. Wir sind sehr reich. Lautes Gelächter. Ich dann: Ach, ist ja interessant. Zeig mal auf deinen Papa. Er: Räuspern. Ich: Wie reich seid ihr denn? Sie: Sehr reich. Ich: Nein? Er: Nein! Ich: Habt ihr ein Auto? Sie: Zwei! Ich: Und eine Dachgeschosswohnung? Sie: Eine große! Ich: Vielleicht kann uns dein Papa ein bisschen Geld geben, damit wir einkaufen können? Sie: Papa, gib mal Geld her! Er: Hab keins dabei. Ich: Dann gib doch deine Karte! – Das sind so Momente, die mir wahnsinnig gut gefallen.

Das Publikum ist also so, wie es über den Prenzlauer Berg heißt: saturiert und langweilig?

Ach was. In der DDR gab es auch immer ein paar, die reicher waren als die anderen. Ich weiß gar nicht, wer sich das ausgedacht hat, diesen ganzen Quatsch mit den Hergezogenen, mit den Schwaben. Ich finde, dieser Kiez hier ist eine Art Inselkette, und auf jeder dieser Inseln leben andere Leute. Darunter sind nach wie vor echte Berliner. Außerdem reisen auch sehr viele Leute von weit her zum Prenzlkasper: Wir haben Leute aus Spandau, Lübars, Hellersdorf, Stammgäste aus Kyritz, Neustrelitz, ganze Kitas aus Biesenthal.

Dabei hilft wahrscheinlich auch Ihr Bekanntheitsgrad?

Ja natürlich. Vor allem wegen meiner Filme für den Kinderkanal. Mit dem Kikaninchen.

Das mag ich so gerne! Aber was ist das eigentlich, dein Kikaninchen? Ist das auch eine Puppe?

Nein, das ist eine Animation. Der Unterschied ist also, dass ich in einer Greenbox gefilmt werde. Erst später packt der Computer das Kikaninchen dazu. Das heißt, dass das Kaninchen beim Dreh noch nicht da ist. Dass ich es mir also vorstellen muss. Genauso wie den Eisbären. Oder die Sockenfressmaschine. Im Grunde ist es also doch ähnlich wie mit den Puppen: Ich muss etwas mit Leben füllen, was eigentlich nicht da ist.

Demnächst erscheint wieder eine CD von Ihnen.

Meine erste Soloplatte. Ich habe gerade bei Warner Music unterschrieben.

Könnte das ein weiteres ökonomisches Standbein für Sie werden?

Das glaube ich kaum. Ich muss mir ja selbst bei Autogrammstunden anhören: Kauf du mal, ich brenne mir die nachher. Selbst von meiner CD mit dem Kikaninchen habe ich nicht sonderlich viele Exemplare verkauft. Wenn man nicht Grönemeyer heißt, kann man als Musiker heute ja nur noch mit Konzerten überleben. Ich mache es also eher um des Spaßes willen. Wie eigentlich das meiste.

Gehst du manchmal noch selber ins Puppentheater?

Schon, wenn Freunde oder Kollegen von mir spielen. Oder auch bei Festivals wie dem Puppentheaterfestival im FEZ. Aber zu mehr fehlt mir die Zeit.

Was machst du eigentlich, wenn du mal mitten in der Vorstellung Pipi machen musst?

Ich geh vorher. Außerdem schwitze ich während der Vorführung dermaßen stark, dass ich wahrscheinlich so oder so nicht aufs Klo müsste.

Warum denn?

Puppenspielen ist eine Hochleistung, ein Knochenjob. Man geht eine halbe Stunde mit dem Arm nach oben. Heb mal deine Arme hoch und du wirst sehen, dass du das wahrscheinlich fünf Minuten lang schaffst. Und du hältst dabei keine Puppen hoch, die bis zu drei oder vier Kilo wiegen können.

Hinterlässt so ein Knochenjob Spuren bei Ihnen?

Drei durchgeschwitzte T-Shirts pro Vorstellung. Und ich bilde Muskeln aus, die es eigentlich gar nicht gibt, die kein normaler Mensch hat. (Zieht seine Ärmel hoch und lässt die Muskeln seiner Unterarme spielen.) Da habe ich wohl so eine Art verrutschten Bizeps. Was andere Leute oben haben, habe ich unten. (lacht)

Gehen Ihnen diese Kinder nicht manchmal auch auf die Nerven? (großes Gekicher)

Pfff. Eigentlich nicht. Na ja. Manchmal, in der Weihnachtszeit, wenn ich 30 Vorstellungen spiele, da kannst du manchmal einfach nicht mehr. Da macht man schon mal vor der Vorstellung kurz: Boah. Jetzt kommen sie schon wieder. Jetzt wird es gleich wieder laut.

Und dann?

In dem Moment, in dem ich hinter der Bühne verschwinde und mit dem Kasper den ersten Kontakt zu den Kindern aufnehme, da ist die Vorfreude aufs Spielen immer sofort wieder da.

Also nie schlechte Laune?

Ich glaube nicht, dass mich je einer mit mieser Laune mit dem Applaus nach dem Spiel hat rauskommen sehen. Die Kinder machen mich glücklich. Auch wenn es manchmal ganz schön anstrengend ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.