Christen in Syrien: Die Franziskaner und die Rebellen
„Wir Christen sind im Krieg neutral geblieben“, sagt die Lehrerin. Bleibt es dabei? Ihr Dorf kontrollieren nun die Rebellen. Unterwegs in der Provinz Idlib.
JAKUBIJA taz | Eine Christin ist die Heldin der Schlacht von Jakubija, eins der ersten überwiegend von Christen bewohnten Dörfer, das die Freie Syrische Armee in der Provinz Idlib erobert hat. Sie heißt Raghda, ist Mutter von drei Töchtern und leitet seit 15 Jahren die Grundschule in dem von Muslimen bewohnten Nachbardorf Hamamja.
Die Lehrerin war es, die ein Blutbad in der Stadt verhindert hat. Sie beschützte die desertierenden Soldaten der Truppen des Regimes Assads und brachte sie mit den Männern der Freien Armee zusammen. Junge Männer, die sie schon als Schulkinder kannte. Denn auf dem Land kommen die Kämpfer der Freien Armee vom Dorf, aus den Dörfern der Gegend.
„Sie sind wie Kinder für mich. Ich kenne ihre Familien, ich habe ihnen lesen und schreiben beigebracht. Wenn sie heute den Koran lesen können, dann dank meiner Arbeit. Darauf bin ich stolz. Als ich sie gesehen habe, habe ich mit ihnen geredet und sie haben mir ihre Sichtweise der Dinge erklärt. Wir Christen sind im Krieg neutral geblieben, ich glaube an die Gewaltlosigkeit, aber ich wollte etwas gegen das Regime unternehmen. Vor allem, nachdem ich erlebt habe, dass Persönlichkeiten wie Pater Paolo dall’Oglio deutlich Stellung gegen das Regime bezogen haben. Ich habe die Aufständischen überreden können zu warten und ein Gespräch mit den Soldaten des Regimes eingefädelt, die ins Dorf gekommen waren. Erst ist einer, dann zwei, schließlich sind sie zu Dutzenden desertiert. Ich habe sie bei mir versteckt und dann haben sie sich der Freien Armee angeschlossen.“
DAMASKUS, 28. März dpa | Mindestens zwölf Menschen sind am Donnerstag nach Angaben des syrischen Staatsfernsehens auf dem Campus der Universität von Damaskus durch Mörsergranaten getötet worden.
Das Regime von Präsident Baschar al-Assad sprach von einem Terrorangriff und machte Rebellen für den Beschuss verantwortlich. Das syrische Beobachtungszentrum für Menschenrechte in London berichtete hingegen, Regierungstruppen hätten nahe Damaskus Rebellengebiete angegriffen. Dabei sei es auch zu Kämpfen gekommen. Es habe mindestens acht Tote gegeben, sagte die Opposition weiter.
Zu dieser Zeit war das Dorf Jakubija mit seinen 2.000 Einwohnern wortwörtlich belagert von Truppen des Regimes. Die katholische Gemeinde weigerte sich, den Kirchturm Heckenschützen zur Verfügung zu stellen. Die christlich-armenische Gemeinde hingegen überließ die eigene Kirche der regulären Armee als Hauptquartier.
Von Schüssen durchsiebte Sandsäcke
Die leeren Munitionshülsen liegen immer noch auf dem Platz vor einer alten Madonnenstatue. Von hier aus operierten die Heckenschützen und Munitionstechniker der Armee Assads. Weil aber immer mehr desertierten, befanden sich die regierungstreuen Soldaten irgendwann in der Minderzahl und beschlossen, den Rückzug anzutreten.
Das war am 27. Januar 2013. Die Schlacht selbst fand außerhalb des Dorfes statt, an der Kontrollstelle entlang einer Straße mit Olivenbäumen. Die Spuren der Auseinandersetzungen sind noch immer zu sehen. Ein verbrannter Panzer, leere Patronenhülsen am Straßenrand, von Schüssen durchsiebte Sandsäcke und die von Maschinengewehrsalven zerstückelten Äste der Olivenbäume.
Ein paar Wochen später ist Ruhe in Jakubija eingekehrt. Die muslimischen Rekruten der Freien Armee kontrollieren die Straße, die im Ort verbliebenen Christen dürfen sich frei bewegen. Es sind überwiegend Katholiken, denn viele armenische Familien sind zusammen mit dem Priester geflohen, nachdem ihre Gemeinde der Regierungsarmee die Kirche zur Verfügung gestellt hatte.
Das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen wirkt völlig entspannt. Die Straßen sind bevölkert, draußen spielen Kinder, und die Geschäfte öffnen wieder. Ich bin bei der Familie von Raghda zu Gast, um mit ihr und ihren in Tarnkleidung herumlaufenden ehemaligen Schülern Tee zu trinken.
Aber nur fünf Kilometer weiter sieht alles längst nicht so rosig aus. Die Trümmer und Schutthaufen in dem von Christen bewohnten Dorf Judajda lassen keinen Zweifel daran. Hier waren die Kämpfe wesentlich heftiger. Die Freie Armee kontrolliert seit Dezember 2012 das Dorf. Kurz darauf gingen die Luftangriffe des Regimes los.
Es gibt praktisch kein Haus in der 1.000-Einwohner-Gemeinde, das nicht bombardiert worden ist. Sogar die alte armenische Kirche blieb nicht verschont. Die Rakete ist vor dem Eingang niedergegangen. Das eiserne Gittertor wurde in die Luft geschleudert, die Glasfenster gingen zu Bruch und die Freitreppe ist zerstört. Die Dorfbewohner sind vor allem auf die jungen Männer der Freien Armee sauer.
Wer waren die Plünderer?
„Sie haben alles geklaut! Nicht einmal den Ofen haben sie stehen lassen! In dieser Wohnung wohnte ein Paar, noch nicht einmal fünf Monate waren sie verheiratet. Und jetzt ist nichts mehr da, sieh nur, eine Schande ist das! Ist das die Freiheit, die sie wollen? Im ganzen Dorf gibt es keinen Strom, es gibt kein Brot und kein Benzin. Als noch die Regierungssoldaten hier waren, hat niemand geklaut. Wir wollen mit diesem Krieg nichts zu tun haben!“
Elias nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Zwanzigjährige ist vor Kurzem ins Dorf zurückgekehrt und hat entdeckt, dass die Wohnung seiner Nachbarn in den Wochen seiner Abwesenheit total ausräumt wurde. Hammuda, den alle Google nennen, weil er so ein gutes Zahlengedächtnis hat, stützt sich auf einen Gewehrlauf und versucht vergebens, ihn zu beruhigen.
„Wir von der Freien Armee haben nichts mit den Plünderungen zu tun“, sagt er. „Im ganzen Dorf wurde geplündert, das waren kriminelle Banden. Sie haben den Moment ausgenutzt, in dem wir an die Front zurückgekehrt sind und niemand im Dorf war, der aufpassen konnte. Wenn wir sie gesehen hätten, wären sie jetzt hinter Schloss und Riegel.“
Beim Weggehen sagt Hammuda alias Google hinter vorgehaltener Hand: „Sie sagen, wir seien Diebe. Aber was sie nicht sagen, ist, dass der Hausherr ein Schabiha-Milizionär war. Er hatte Glück, dass wir ihn nicht erwischt haben.“ Als wären die Plünderungen eine legitime Strafe für die bewaffneten Schergen und Handlanger des Regimes. Oder zumindest für diejenigen, die sich aus dem Staub gemacht haben. Denn wer verhaftet wird, den erwartet normalerweise die Todesstrafe. Vorgesehen ist eine Untersuchung des Islamischen Tribunals, das vor Kurzem im Nachbarort Darkusch eingerichtet worden ist. In Judajda sind die verdächtigen Schabiha jedoch rechtzeitig mit dem Priester auf und davon.
Versuch einer Bürgerwehr
Die Geschichte des Priesters der armenischen Kirche von Judajda ist in aller Munde. Im vergangenen November stattete er zehn junge Männer des Dorfes mit Gewehren aus, um eine Bürgerwehr aufzustellen, weil es im Dorf vier Entführungen mit Lösegeldforderungen gegeben hatte. Als die Freie Armee eintraf, flüchtete er, um sich einer möglichen Verhaftung zu entziehen, gemeinsam mit fünfzig anderen Männern in die noch von Regierungstruppen kontrollierte Zone. Seine Wohnung dient jetzt den Männern der Freien Armee als Hauptquartier. Sie haben die Kreuze und Ikonen von der Wand genommen. Die sind jetzt im Wohnzimmer ausgebreitet, dem einzigen Raum, der nicht beschädigt ist.
Im Dorf Knajeh hingegen ist nichts passiert. Ein weiteres Dorf, in dem etwa tausend Christen leben, auf der gegenüberliegenden Höhe des Tals. Hier ist weder die reguläre noch die Freie Armee je hingelangt. Und hierhin hat sich auch kein Schuss verirrt, dank der Franziskaner. Weil es das einzige rein katholische Dorf der Gegend ist, haben sie von Anfang an eine neutrale Position bezogen.
„Wir syrischen Christen stellen etwa sieben Prozent der Bevölkerung, das sind rund anderthalb Millionen Menschen. Die meisten wollen weder das Regime noch den Krieg. Wir wollen nur Frieden. Anfangs waren wir bei den Demonstrationen dabei, solange sie noch friedlich waren. Später ist die Sache dann schmutzig geworden. Das wurde mir klar, als hier in Dschisir die Rebellen 82 Soldaten erschossen und den Chef der Geheimpolizei aufgehängt haben. Wenn man eine Idee hat, lässt man es nicht so weit kommen. Wenn du zum Mörder wirst, ist alles verloren.“
„Ein atavistischer Hass“
Pater Hanna ist der Leiter der Franziskanerabtei, die in der Region eine echte Institution ist. Gegründet im Jahr 1878, hat sie Knajeh immer eine Vorreiterrolle im Tal verschafft: Hier gab es die erste Schule, das erste Theater, die erste medizinische Ambulanz, das erste Dorf mit elektrischem Licht. Während des aktuellen Kriegs hat der Konvent nie jemanden abgewiesen.
„Wir haben Hunderte an Flüchtlingen aufgenommen. Muslime, Christen, Alawiten. Die letzten erst vor wenigen Wochen. 250 Alawiten aus einem Dorf in der Nähe. Sie waren nach Eintreffen der Freien Armee geflüchtet. Sie haben gesagt, dass die Männer der Freien Armee ihre Häuser und Moscheen angezündet haben. Es gibt einen atavistischen Hass, der mit dem Krieg wieder hochgekommen ist.“
Aufnahme aller Flüchtlinge
Die Front verläuft hinter dem Hügel, etwa fünf Kilometer von der Franziskanerabtei entfernt. Man hört das Echo der Bombardements. In der nahe gelegenen Stadt Dschisir al-Schugur mit 40.000 Einwohnern haben sich 2.000 Soldaten des Regimes verschanzt. Von dort bombardieren sie das Umland und verbieten der Zivilbevölkerung, die Stadt zu verlassen. Aber Hunderte Familien aus Dschisir, die nachts heimlich entkommen konnten, sollen in den Dörfern der Christen, in Judajda, Jakubija und Knajeh, Aufnahme gefunden haben.
Pater Hanna hat sich persönlich um die Aufnahme der Flüchtlinge gekümmert. Er ist stolz, dass seine Leute den muslimischen Familien die Tür geöffnet haben. Eine Geste des Friedens für ihn. „Wir sind ein reifes Volk. Wir richten uns nicht nach Stammesregeln oder Blutgesetzen. Die Leute kennen ihre eigene Geschichte und schätzen Syrien als plurale Gesellschaft. Wir waren ein Beispiel für das Zusammenleben von Christen und Muslimen. Und wir werden es weiterhin sein.“
Aus dem Italienischen von Sabine Seifert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles