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Chirurgischer Eingriff in den britischen Wahlkampf

Dublin (taz) — Am Mittwoch ist endlich etwas Leben in den bisher eher drögen britischen Wahlkampf gekommen. Die Labour Party zeigte in ihrem Werbespot ein Mädchen, das elf Monate auf eine Ohrenoperation warten mußte. Daran sei die Privatisierung von Teilen der Krankenversorgung schuld, hieß es in dem Kurzfilm. Es fehle in den öffentlichen Krankenhäusern an Geld und Personal.

Diese Behauptung löste bei den Torys einen Wutanfall aus, da der sensible Gesundheitsbereich ein potentieller Stimmenverlierer für die Regierung ist. Gesundheitsminister William Waldegrave bezichtigte Labour einer „Riesenlüge“ und verglich den Parteivorsitzenden Neil Kinnock mit Nazi-Propagandaminister Goebbels. Bei der Labour Party herrschte am Nachmittag zunächst Verwirrung, da der Chirurg Alan Ardouin, der die kleine Jennifer Bennett operiert hatte, in Interviews lediglich einen Verwaltungsfehler für die lange Wartezeit verantwortlich machte. Dazu kam, daß Jennifers Eltern politisch keineswegs einer Meinung sind: Während der Vater Labour wählt, ist die Mutter Tory-Anhängerin. Die meisten Boulevardzeitungen fielen in ihren Spätausgaben erbarmungslos über Labour her.

Am Abend nahm die Wahlkampf- Farce dann eine erneute Wendung: Irgend jemand in der Labour-Zentrale hatte in den Akten einen Brief Ardouins an die Bennetts entdeckt. Darin erklärt der Chirurg die Wartezeit mit „unzureichender Finanzierung, wodurch die Warteliste für stationäre Patienten enorm gestiegen“ sei. Flugs ging die Labour Party wieder in die Offensive, und Ardoin mußte in den Abendnachrichten kleinlaut eingestehen, daß Geldmangel in Jennifers Fall sehr wohl eine Rolle gespielt habe. Auch die Torys waren merklich ruhiger geworden und bemängelten nur noch, daß in dem Werbespot nicht die ganze Wahrheit gesagt werde. Auf die Intentionen der WählerInnen hatte der Sturm im Wasserglas offenbar keine Auswirkungen: Nach neuesten Meinungsumfragen liegt Labour weiterhin ein bis zwei Prozent vor den Torys — zu wenig, um im April die Macht zu übernehmen. Ralf Sotscheck

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