Chiquinquirá Lorenz über Transsexualität: "Ich bin schön wie eine Frau"

Am Transen-Strich in der Hamburger Schmuckstraße betreibt die Transsexuelle Chiquinquirá Lorenz ihre Taverne. Ein Dokumentarfilm über sie schafft jetzt einen Zugang zu einer bislang isolierten Community.

Stolz auf ihre Arbeit und ihr Äußeres: Chiquinquirá Lorenz in ihrer Bar in Hamburg-St. Pauli. Bild: Mauricio Bustamante

taz: Frau Lorenz, was ist der Unterschied zwischen einer Transsexuellen und einem Transvestiten?

Chiquinquirá Lorenz: Eine richtige Transsexuelle ist wie ich: Sie hat schöne Haare, ein schönes Gesicht, eine schöne Figur, Titten. Andere haben nur Haare, keine Titten. Das ist nicht das Gleiche. Wenn die sagen, sie seien Transsexuelle, sage ich: "Du bist keine Transsexuelle, Du bist ein Mann im Kleid."

Wen trifft man am Transen-Strich in der Hamburger Schmuckstraße an - Transvestiten oder Transsexuelle?

Beide. Es gibt Transvestiten, die gehen tagsüber einem normalen Job nach und abends prostituieren sie sich. Und es gibt das Haus in der Schmuckstraße, in dem nur transsexuelle Südamerikaner wohnen. Unten in dem Haus ist eine Taverne. Ich habe eine Wohnung in dem Haus und betreibe die Taverne.

Das Haus hat auch zwei Hamburger Regisseure interessiert. In deren Dokumentarfilm "Schmuck der Straße"wirkt das Haus wie eine große Wohngemeinschaft.

Ja, die Südamerikaner dort kennen sich alle. Es gibt Brasilianer, Venezolaner, Kolumbianer, Peruaner. Wer in der Prostitution arbeiten will, hat keine andere Chance, als nach Europa zu gehen.

CHIQUINQUIRá LORENZ 25, lebt seit 2008 in Hamburg und ist Betreiberin der Taverne in der Schmuckstraße. Sie stammt aus Venezuela und ist mit einem Deutschen verheiratet.

Kennen Sie sich wirklich alle?

Engeren Kontakt habe ich nur mit Eva. Sonst sagt man nur: "Hallo, wie gehts?" Eva Rodrigues, die auch in dem Film vorkommt, ist meine beste Freundin. Wir treffen uns auch zu Hause und kochen zusammen.

Gibt es auch Kontakte zu Leuten außerhalb des Hauses?

Keine engeren. Man sagt mal "Hallo", mehr nicht.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, von Venezuela nach Hamburg umzuziehen?

Meine beste Freundin hat zu mir gesagt: "Möchtest du mit nach Deutschland kommen?" Ich habe gesagt: "Okay, aber was mache ich in Deutschland? Ich spreche kein Deutsch." Sie hat geantwortet: "Wir haben eine Bar und eine Wohnung." Im Jahr 2008 bin ich gekommen und sie hat am Hamburger Flughafen auf mich gewartet. Dann habe ich angefangen, in der Taverne von Donatella in der Schmuckstraße zu arbeiten.

Was haben Sie sich davon versprochen, hierher zu kommen?

In Venezuela war ich Schauspielerin im Theater und im Film und habe gemodelt. In Deutschland ist es einfacher als in meinem Land, als Transsexuelle zu arbeiten.

Klingt trotzdem nicht einfach: auf der anderen Seite der Erdkugel ein neues Leben anzufangen - in einem Rotlichtviertel.

Anfangs war es schwierig mit der Sprache. Es war kalt, ich musste viel arbeiten und das deutsche Essen fand ich schlecht. Ich war traurig und habe überlegt, zurückzufliegen. Aber das ist drei Jahre her. Nun habe ich die Taverne übernommen und alles ist gut.

Kommen Sie noch manchmal zurück nach Venezuela?

Ja, ich fliege immer im Dezember für drei Monate. Aber ich habe einen deutschen Mann geheiratet. Ich habe in der Schmuckstraße eine Wohnung für mich und eine Freundin. Sonst wohne ich bei meinem Mann in Altona.

Wissen Sie von Häusern wie dem in der Schmuckstraße auch in einer anderen deutschen Stadt?

Nein, das gibts nur in Hamburg. Das Haus und die Taverne sind in der Szene bekannt in ganz Deutschland.

Gibt es ein vergleichbares Haus anderswo in Europa?

Es gibt ein paar Anlaufpunkte für Transsexuelle, die von Südamerika nach Europa kommen. In Hamburg ist einer der wichtigsten, die anderen beiden sind in Barcelona und Mailand.

Wie haben Sie selbst von der Schmuckstraße erfahren?

Das läuft über Mundpropaganda: "Wenn du mal nach Deutschland gehst, dann gehe in die Schmuckstraße, da wird dir geholfen."

Haben Transsexuelle aus Südamerika einen Stil, der sich von dem anderer Transsexueller unterscheidet?

Die transsexuellen Südamerikaner sind immer schön, perfekt, wie eine Frau. Auch oft operiert. In Europa gibt es auch schöne Transsexuelle. In Deutschland kenne ich vier, fünf sehr schöne Transsexuelle.

Im Film sagt eine Ihrer Freundinnen, sie fühle sich als "mythologisches Wesen". Was hat sie damit gemeint?

Als Transsexuelle habe ich einen Schwanz, aber in meinem Kopf bin ich eine Transsexuelle. Ich bin schön, ich habe Privilegien und ich würde mich nicht unten operieren lassen. Niemals.

Welche Privilegien sind das?

Wenn du ein Mann und eine Frau bist, hast du zwei Charaktere. Du bist eine richtig schöne Frau und du hast einen Schwanz. Das ist für mich ein Privileg und für viele Männer ist das interessant.

Sind Sie in Ihrem sozialen Verhalten auch Mann und Frau zugleich?

Mit meinem Ehemann ist das ein bisschen kompliziert. Er sagt: "Du kriegst Ärger mit mir. Du bist ein bisschen wie ein Mann." Ich sage: "Ich habe zwei Charaktere: Ich denke wie eine Frau und ich denke wie ein Mann." Beides. Aber ich bin eine Frau. Mein Verhalten ist das einer Frau. Nur beim Sex bin ich keine.

Wie halten Sie es mit der Emanzipation?

Ich arbeite und mein Mann arbeitet auch.

Und wer trägt den Wasserkasten in den dritten Stock?

Mein Mann.

Kucken Sie Fußball?

Nein.

Können Sie sich vorstellen, den ganzen Tag zu Hause den Haushalt zu machen?

Nein, ich bin hyperaktiv. Ein ganzer Tag nur in der Wohnung, das wäre zu viel.

Wer macht den Einkauf?

Wir beide zusammen. Oder wir sagen: Einer kauft ein, der andere putzt. Es muss zu Hause nicht perfekt aussehen, aber ordentlich.

Wie sieht Ihr Alltag aus?

Erst mache ich Yoga, dann gehe ich in meinen Deutschkurs und dann in die Schmuckstraße. Dort kontrolliere ich meine Wohnung und die Taverne. Um 22 Uhr macht die Taverne auf und ich arbeite bis vier, fünf, sechs Uhr morgens. Sonntags bleibe ich zu Hause und ruhe mich aus. Mittwochs habe ich frei, dann gehe ich Shoppen oder Essen oder ins Kino. Ich liebe Kino.

Wie gefällt Ihnen Hamburg?

Sehr gut. Der deutsche Mann ist sehr schön.

Echt?

Ja, ich liebe den deutschen Mann und die deutsche Frau. Die Augen, die Nase, die Haut. Sie sind blond und groß. Die Frauen haben einen guten Geschmack bei der Kleidung.

Wie würden Sie die Deutschen charakterisieren?

Die Deutschen sind tolerant und geduldig. Die Rumänen, Araber, Italiener oder Franzosen sind oft komplizierter.

Gibts gar keine Probleme mit blöden Sprüchen?

Manchmal schon. Ich sage: "Diese Leute haben keine Kultur." Das sage ich aber nicht laut. Ich rede nur mit meinen Augen.

Werden Sie in Deutschland bleiben?

Ich bin eine Anhängerin der Religion Santería. Demnächst fliege ich nach Venezuela und frage einen Santero, was ich weiter machen soll. Ob ich einen Englisch-Kurs belegen und in die USA fliegen soll oder einen Schauspielkurs in Barcelona machen soll. Ich möchte als Schauspielerin arbeiten und nicht immer in der Taverne in der Schmuckstraße. Im November fliege ich dann nach Thailand zum Wettbewerb "Miss International Queen". Das ist ein Schönheitswettbewerb für Transsexuelle. Ich bin Miss Venezuela und vertrete mein Land.

Wie stehen die Chancen für eine Schauspielkarriere in Deutschland?

Mein Mann hat mich gefragt, ob ich das nicht auch in Deutschland machen kann. Aber die Sprache ist so schwer, und wenn ich die nicht kann, dann mache ich es nicht.

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