Chinesischer Bürgerrechtler vor Gericht: Angeklagt wegen eines Gedichts
Die deutsche Kanzlerin wird am Donnerstag in Peking erwartet. Zuvor macht Chinas Justiz wieder kurzen Prozess mit einem Bürgerrechtler.
PEKING dpa | Zwei Tage vor dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in China ist am Dienstag erneut ein langjähriger chinesischer Bürgerrechtler vor Gericht gestellt worden. Die Anklage warf dem 58-jährigen Zhu Yufu vor einem Volksgericht in der ostchinesischen Stadt Hangzhou, in der Provinz Zhejiang, "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" vor, wie sein Anwalt Li Dunyong der Nachrichtenagentur dpa in Peking berichtete.
Zhu Yufu ist ein Veteran der Demokratiebewegung. Er war im März 2011 nach Aufrufen zu "Jasmin-Protesten" nach arabischem Vorbild in China inhaftiert worden. Eines seiner Gedichte mit dem Titel "Es ist an der Zeit!" sei ein wichtiger Anklagepunkt gewesen, berichtete sein Anwalt. "Wenn dieses Gedicht nicht gewesen wäre, hätten sie ihn wohl nicht festgenommen."
Die Anklage wertete das kurze Gedicht als Aufruf zu Protesten. Es heißt darin: "Es ist an der Zeit, Chinesen! Der Platz gehört jedem. Die Füße sind eure. Es ist an der Zeit, eure Füße zu benutzen und auf den Platz zu gehen, um eine Entscheidung zu treffen." Das Urteil werde erst im Februar erwartet, berichtete der Verteidiger.
In der zweieinhalbstündigen Anhörung habe Zhu Yufu auf "nicht schuldig" plädiert. Die Anklage warf ihm außer dem Gedicht auch seine Aktivitäten in der verbotenen Demokratischen Partei Chinas, Aufrufe zur Unterstützung inhaftierter Aktivisten, Interviews sowie andere Schriften vor, die er während der "Jasmin"-Aufrufe vor einem Jahr veröffentlicht hatte.
Bereits zwei Haftstrafen verbüßt
Der zum Christentum bekehrte Zhu Yufu war bereits in der Bewegung um die "Mauer der Demokratie" Ende der 70er Jahre aktiv. Seither hat er zwei Haftstrafen verbüßt und insgesamt neun Jahre im Gefängnis gesessen.
Seit Ende Dezember waren bereits drei andere Bürgerrechtler wegen Subversions-Vorwürfen zu ungewöhnlich hohen Haftstrafen von neun und zehn Jahren verurteilt worden.Menschenrechtsgruppen appellierten an die Kanzlerin, sich in Peking für Zhu Yufu und andere verfolgte Bürgerrechtler einzusetzen.
Merkel solle alle Gelegenheiten bei ihren Gesprächen nutzen, um die ernsten Sorgen über die Verschlechterung der Menschenrechtslage in China zu äußern, sagte Sharon Hom von Human Rights in China (HRiC).
Auch die Organisation ChinaAid forderte die Kanzlerin auf, konkrete Bürgerrechtsfälle anzusprechen. Sprecher Mark Shan verwies auf Lehren aus der deutschen Geschichte: "Die Menschen sollten sich bewusst machen, dass die chinesische Kommunistische Partei ein bisschen Ähnlichkeiten mit der deutschen Nazi-Regierung aufweist und die Reaktion und Haltung der freien Welt auch sehr ähnlich ist, wenn es mit jener Zeit verglichen wird."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!