Chinesischer Autor Liao Yiwu: "Hier gibt es keine Redefreiheit"
Er hätte gern Nobelpreisträgerin Herta Müller getroffen, durfte aber nicht ausreisen. Liao Yiwu über das Schreiben in der Diktatur, Polizeikontrollen und das Stasi-Drama "Das Leben der Anderen".
taz: Herr Liao, werden Sie noch beschattet?
Liao Yiwu: Seit ein paar Tagen habe ich das Gefühl, dass meine Bewacher nicht mehr da sind. Zuvor klingelten sie ab und zu an meiner Tür, nur um zu sehen, ob ich zu Hause bin. Manchmal riefen sie mich auch an und luden mich zu einer Tasse Tee ein. [Anmerkung d. Red.: "Tee trinken" ist eine in China häufig gebrauchte Umschreibung für ein Gespräch auf der Polizeiwache.] Sie haben mir erklärt, das würde wohl bis zum 20. März andauern. Ich nehme an, weil an diesem Tag das Kölner Literaturfest zu Ende ist.
Woran arbeiten Sie gerade?
Der Schriftsteller: Liao Yiwu, 51, ist Schriftsteller, Poet und Musiker. Bekannt wurde er durch sein Buch "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft von unten". Wegen eines Gedichts, offiziell wegen "Verbreitung konterrevolutionärer Propaganda mit ausländischer Hilfe", wurde er 1990 zu vier Jahren Haft verurteilt. 2007 unterzeichnete er mit 36 weiteren Intellektuellen einen offenen Brief an die chinesische Regierung und die Organisatoren der Olympischen Spiele von Peking 2008. Im selben Jahr wurde er vom unabhängigen chinesischen P.E.N.-Zentrum mit dem "Freedom to Write Award" ausgezeichnet. Liao publiziert im Ausland. Über Hongkong, Taiwan und das Internet gelangen seine Texte ins Land.
Der Skandal: Wie zur Frankfurter Buchmesse 2009 verwehrten ihm die chinesischen Behörden auch die Ausreise zur lit.cologne. Er hatte eine Einladung der Veranstalter des Literaturfestivals. In der südwestchinesischen Stadt Chengdu, wo Liao lebt, betrat er am 1. März das Flugzeug, das ihn über Peking nach Deutschland bringen sollte. Doch dann forderten Sicherheitskräfte das Bordpersonal auf, Liao aus dem Flugzeug zu holen. Sie brachten ihn auf eine Polizeistation und verhörten ihn dreieinhalb Stunden. Danach wurde er nach Hause gebracht. Liao Yiwu wird seitdem von der Polizei überwacht.
(K)ein Protest: In der Kulturkirche Köln findet deshalb am Freitag um 21 Uhr eine Solidaritätsveranstaltung für Liao Yiwu statt. Nach Auskunft der Messeleitung ist auf der Leipziger Buchmesse keine derartige Veranstaltung geplant.
Ich habe eben mein neues Buch "Der Schäfer im Fernen Osten" beendet. Es handelt von einem Missionar und seinen Anhängern. Es kommt voraussichtlich im Herbst heraus. Außerdem arbeite ich an einem Buch, das in Deutschland unter dem Titel "Das Zeugnis" oder so ähnlich wohl im nächsten Jahr erscheinen wird.
In Köln hätten Sie gerne die Nobelpreisträgerin Herta Müller getroffen. Warum?
Unter den deutschen Schriftstellern ist sie diejenige, für die ich mich derzeit am meisten interessiere. Vorher habe ich mich mit der "Blechtrommel" von Günter Grass beschäftigt. Darin kommt ein Kind vor, das immer schreit, wenn es mit einer Krise konfrontiert wird. Dieses Schreien ist ganz außergewöhnlich, es lässt Glas zerspringen. Ich denke manchmal: Obwohl ein Schriftsteller sich nicht so verhalten kann wie das schreiende Kind, hallt doch in seinem Innersten dieser Schrei. Er lässt zwar nicht Glas bersten, aber er zeigt seine Leidenschaft.
Wie bei Herta Müller?
Bei ihr geht es um Schweigen und Erzählen. Im totalitären Rumänien können die Menschen im Dorf nur das Schweigen wählen, aber im Herzen erzählen sie weiter. Sie können nur mit dem Gras, dem Vieh und den Pferden reden, und diese Kommunikation befindet sich außerhalb der Sprache. In ihrem Buch "Herztier" erzählt und fühlt sie zugleich, dass es Dinge gibt, die sich mit Worten nicht ausdrücken lassen. Diesen Geisteszustand kenne ich, auch ich unterliege dem Schweigen. Aber in meinen Gedanken erzähle ich weiter.
Worüber hätten Sie mit ihr gesprochen?
Über ihr Leben in der Diktatur. Was sie uns erzählt, verstehe ich zutiefst, weil es so scheint, als ob sie über die Geschichte des Denkens in der chinesischen Gesellschaft schreibt. Über die Zeiten geistiger Erstarrung und die Zeiten des Krieges, wenn der Drang zu schreiben verloren geht - oder noch stärker wird.
Wen würden Sie gern treffen, wenn Sie frei reisen könnten?
Außer Herta Müller würde ich gerne noch vielen anderen Autoren begegnen, sowohl Linken wie auch Rechten. Einige davon haben China schon besucht, zum Beispiel ein alter Schriftsteller namens Martin Walser. Er wurde vom Goethe-Institut und vom chinesischen Kulturministerium eingeladen und hat China sehr gepriesen. Wenn es möglich wäre, würde ich ihm gerne über das wirkliche China berichten - ein China, das nicht so ist, wie es an der Oberfläche scheint.
In Ihrem Brief an Frau Merkel haben Sie den Film "Das Leben der Anderen" erwähnt. Ist er in China eigentlich bekannt?
Sehr sogar. Ich habe sehr viele Raubkopien von dem Film gekauft und verschenkt. Kanzlerin Merkel habe ich zwei Dinge zugeschickt: Meine Musik [Liao spielt eine Art Harmonika und singt, die Red.] und eine Raub-DVD dieses Films aus China. Er kommt bei den Chinesen gut an, viele Intellektuelle leben in einer ähnlichen Situation. Im Film geht es um einen erfahrenen Spitzel, der das Privatleben eines Künstlers belauscht. Eines Tages spielt der Künstler auf dem Klavier Beethoven. Die Schönheit seines Spiels rührt den alten Spitzel, der sich daraufhin in einen Mann verwandelt, der dem Künstler hilft.
Könnte so etwas in China passieren?
Ich möchte klarstellen: Bei uns sind Sicherheitsleute noch nicht auf unsere Seite gewechselt.
Herta Müller schreibt über Informanten in ihrem Umkreis, Fürchten Sie, dass es unter Ihren Freunden und Bekannten auch solche Leute gibt?
Mit diesem Thema kann man nur so umgehen: Nicht daran denken, nicht darum kümmern! Sonst würde man sich selbst verändern, das ist wie eine Gehirnwäsche. Wenn man von morgens bis abends daran denkt, weiß man nicht mehr, wie man sein ganzes Leben oder auch nur den nächsten Tag überstehen soll. Man muss so leben, wie man es immer getan hat. Sonst wäre es nicht verwunderlich, wenn man verrückt würde.
Sie scheinen sich sehr mit deutscher Kultur zu beschäftigen…
Ich lese derzeit Texte über die Berliner Mauer. Ich möchte mehr darüber erfahren. Ich höre auch wieder die Rockoper "The Wall" von Pink Floyd aus den Achtzigerjahren. Damals war sie in China sehr populär. Sie war prophetisch. Als die Musik schon ins Vergessen geriet, stürzte die Berliner Mauer ein.
Sie haben immer wieder Menschen aus den untersten Gesellschaftsschichten interviewt. Wie kommt es eigentlich, dass man so wenig vom Leben der höchsten Führer Chinas erfährt?
Das ist überall so in kommunistischen Staaten. In der DDR wussten die Leute auch nicht, wie ihre Führer lebten. Nehmen wir Mao Tse-tung. Obwohl überall seine Statuen standen und seine Bilder hingen, wussten wir nichts über ihn. Bis heute erscheinen viele neue Werke, die sein Leben erforschen. Sie stoßen in der Bevölkerung auf großes Interesse. Trotzdem haben wir alle gerufen: "Unser höchster Führer Vorsitzender Mao ist die rote Sonne in unserem Herzen."
Wenn Sie die Gelegenheit hätten: Welchen hohen chinesischen Politiker würden Sie gern interviewen, was würden Sie fragen?
Danke, kein Interesse. Auf diese Leute habe ich keine Lust.
In China gibt es Kritik an den ausländischer Medien: Sie berichteten zu viel über die Schattenseiten. Was sagen Sie?
In unserem Land gibt es keine Freiheit der Rede und der Debatte. Die Zeitungen können ihre Kontrollfunktion nicht erfüllen. Die Kritik an ausländischer Berichterstattung wirkt so, als ob man selbst nicht frei schreiben kann und dann fordert, dass sich die Medien auf der anderen Seite des Flusses ebenfalls zurückhalten. Das finde ich ziemlich unvernünftig.
Wenn Sie in China ein Literaturfestival organisieren könnten: Wen würden Sie einladen, über welche Themen würden Sie sprechen?
Ganz sicher über die Untergrundliteratur, über verbotene Literatur. Das würde sehr viele Leser anziehen. Ich würde Lesungen dieser Untergrund-Literatur veranstalten. Diese Werke und ihre Autoren würden wie die Ratten nach oben kommen. China ist in dieser Hinsicht sehr spannend! Ich würde auch die Leute dazuholen, die unsere Bücher illegal kopieren. Diese Praxis verletzt unsere Interessen. Auf der anderen Seite können unsere Werke überhaupt nur verbreitet werden, weil sie illegal kopiert wurden. Das gilt auch für Filme. Ich würde zum Beispiel sehr gern jene interviewen, die "Das Leben der Anderen" raubkopiert haben.
Warum?
Ich möchte wissen, warum sie gerade diesen Film zum Kopieren ausgesucht haben, mit welcher Absicht sie es taten.
Sie durften nicht nach Deutschland fahren, sie beklagen die fehlende Freiheit der Rede. Hat sich in China denn gar nichts geändert?
In Zeiten Mao Tse-tungs wurde das Denken der Menschen so stark kontrolliert, dass alle dasselbe dachten. Aber jetzt gibt es viele Nischen. Die Ratten haben die Erde untertunnelt und ausgehöhlt. Oberflächlich gesehen, ist dieses Land schön geordnet, die Wirtschaft entwickelt sich, überall stehen hohe Häuser. Aber darunter gibt es überall Löcher. Deshalb finde ich die Gesellschaft an der Basis interessanter als alles andere in China. Da unten können sich die Menschen entspannen, über die Regierung debattieren, über alles sprechen. Das gab es zu Zeiten Mao Tse-tungs nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht