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■ Chinas Machthaber und ihr neuer Pantschen LamaWunder über Wunder

Am 29. November anerkannte China, in einer Zeremonie im Jokhang-Tempel von Lhasa, dem heiligsten Ort des tibetischen Buddhismus, die elfte Inkarnation des Pantschen Lama. Ist das atheistische Regime in Beijing endlich in sich gegangen, bereut es die Denunziationen, die es jahrzehntelang über diese Überbleibsel einer ausbeuterischen Mönchsdespotie ausgeschüttet hat? Vielleicht ist es das Wunder der kürzlichen Inkarnation, das es auf den Pfad der Reue zurückgebracht hat. Denn statt auf einen unbekannten Hirtensohn aus Osttibet, wie dies der Dalai Lama behauptet, fiel das Los auf Gyaltsen Norbu, dessen Vater ein Sekretär des Disziplinarkomitees der KPCh in Lhari nördlich von Lhasa sein soll, und von dessen Mutter es heißt, sie sei die Direktorin der Frauenkooperative desselben Unterbezirks.

Ein Wunder kommt selten allein. Die Mönche, die am Freitag die Inthronisation des fünfjährigen Pantschen Lama im Kloster Tashi Lhunpo vornahmen, waren nicht mehr dieselben, die während Jahren die Suche nach dem zweithöchsten tibetischen Würdenträger durchgeführt hatten. Doch hier lautet eine rationale Erklärung leider viel plausibler: Nur zwei dieser Mönche sind noch im Kloster, die anderen sind verhaftet. Einer hat den Freitod gewählt, der Abt wurde nach Beijing gebracht. Ihr Verbrechen: Sie hatten der Ernennung des Pantschen Lama durch den Dalai Lama am 14. Mai 1995 zugestimmt, nachdem sie diesem eine Liste von Kandidaten zugespielt hatten.

Der ebenso fromme wie schlaue Dalai Lama hatte rascher gehandelt als Bejing, als er dessen Manöver durchschaut hatte: Die Kommunisten wollten die tibetische Tradition zu Hilfe nehmen, nachdem es ihnen in fünfzig Jahren Konfrontation nicht gelungen war, seine geistige Autorität zu untergraben. Diese sieht nämlich vor, daß der Dalai Lama jeweils vom Pantschen Lama ernannt wird. Der Dalai Lama mag zwar, als inkarnierter Buddha, unsterblich sein, aber sein Körper ist es nicht. Und wenn dieser einmal stirbt, wird es, so das Kalkül, der kleine Sohn des Parteimitglieds von Lhari sein, der den Namen des Auserwählten murmeln wird. Und, ein neues Wunder, der nächste Dalai Lama wird ein Parteimitglied sein. Die Religionsstrategen in Beijing hatten allerdings ein Detail übersehen: Die Tradition schreibt auch die umgekehrte Ernennung des Pantschen Lama durch den Dalai Lama vor. Und dessen Wahl, der kleine Gedhun Choekyi Nyima, wird zwar nicht in Bejing, wohl aber in ganz Tibet als echter Pantschen Lama verehrt werden. Bernard Imhasly

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