■ Vorfahrt für das Eigenheim?: Chiffren von gestern
Das Eigenheim im Grünen führt in Berlin eine Randexistenz, und daran ist natürlich vor allem die Mauer schuld, die West-Berlin von seinem Hinterland trennte. Nachträglich kann Berlin darüber froh sein, daß die besondere geopolitische Lage den wandernden Flickentepppich von Eigenheimen erspart hat, die an Anonymität den ostdeutschen Plattenbauten in nichts nachstehen. Die heutigen städtebaulichen Probleme westdeutscher Städte sind unter anderem das Ergebnis dieser in der Adenauer-Zeit propagierten Wohlstands-Chiffren. Gesellschaftspolitischen und städtebaulichen Unsinn verbreitet deswegen jeder Politiker, der die Eigenheim-Idylle als Modellfall des Wohnens hinstellt und glauben macht, man könne der Hektik und der Unruhe der Stadt entfliehen in die heile Welt der ländlichen Scholle, wo Frau und Kinder warten.
Dem entspricht nicht einmal die soziale Wirklichkeit: Berlin ist eine Stadt der Mieter – und eine Stadt der Singles. Fast vierzig Prozent sämtlicher Wohnungen werden von nur einer Person bewohnt. Berlin liegt damit an der Spitze aller deutschen Großstädte. Die Vorschläge aus der CDU können deswegen nur als Ausdruck einer konservativen Sinnstiftung gesehen werden, bei der gegen alle Realität die familiären Ideale beschworen werden.
Wer solch flächenfressende Pläne als Zukunftsvision verbreitet, lenkt nur von der eigentlichen Aufgabe ab, eine Metropole mit Lebensqualität im Zentrum zu verwirklichen. Die Unwirtlichkeit westdeutscher Innenstädte ist nämlich vor allem eine Folge der Entscheidung, die Lebensbereiche Arbeiten und Wohnen örtlich zu trennen und das Zentrum den Konzernen zu überlassen. Auch wenn Bonner Beamte beim Regierungsumzug der rheinischen Vorstadtschläfrigkeit nachtrauern; eine Eigenheim-Offensive ist das letzte, was Berlin benötigt. Gerd Nowakowski
Siehe Beitrag auf Seite 23
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