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Chemiekatastrophe von BhopalZweifelhafte deutsche Hilfe für Opfer

Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit will Giftmüll aus der Katastrophenregion Bhopal entsorgen. Damit macht sie sich für die Opfer zum Handlanger der Regierung.

Zörnige Überlebende: Weil Fabrikeigner Dow Chemical keine Verantwortung übernimmt, gibt es Proteste. Bild: dpa

DELHI taz | Es hört sich toll an: Endlich räumen die Deutschen in Bhopal auf. Gerade hat die indische Regierung der staatlichen deutschen Entwicklungsfirma GIZ (Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit) einen Millionenauftrag versprochen, um 350 Tonnen Giftmüll aus dem Lager der Katastrophenfabrik in Bhopal zu entsorgen.

Die gute Tat soll Anfang 2013 starten und 12 Monate dauern. Es wäre das erste Mal, dass das verseuchte Gelände der alten Pestizid-Fabrik in Bhopal im zentral-indischen Bundesstaat Madhya Pradesh von Giftmüll gereinigt würde – knapp 28 Jahre nach der größten Katastrophe in der Geschichte der Chemieindustrie.

Aus der Fabrik war in der Nacht zum 3. Dezember 1984 hochgiftiges Methylisocyanat (MIC) entwichen. In den ersten Tagen nach dem Unglück starben nach offiziellen Angaben mindestens 3.500 Menschen, die meisten von ihnen erstickten. Rund 15.000 weitere Menschen starben an Folgeerscheinungen durch die Einatmung der giftigen Gase. Bis zu 800.000 Menschen wurden durch den Unfall in weiterer Hinsicht beeinträchtigt.

Bisher wurde nur untersucht, wieviel Giftmüll überhaupt in der Fabrik lagert: etwa 20.000 bis 30.000 Tonnen. Und da beginnt es auch schon zu haken. 350 Tonnen von 30.000 – hat sich die GIZ für eine Alibi-Aktion einkaufen lassen? Genau das glaubt der Führer der Opferbewegung von Bhopal, Abdul Jabbar. „Die Entfernung von 350 Tonnen sicher aufbewahrten Mülls aus den Lagerhallen der Fabrik ist reine Augenwäscherei“, sagt Jabbar zur taz.

Opferbewegung: Chemieriese betreibt Imagepflege

Der indischen Regierung geht es für ihn lediglich darum, vor den in 30 Tagen beginnenden Olympischen Spielen in London Handlungsfähigkeit zu beweisen. Dort haben die Bophal-Opfer zahlreiche Protestaktionen geplant. Denn bei den Spielen tritt Dow Chemical als Sponsor auf. Der amerikanische Chemieriese kaufte vor einem Jahrzehnt die Besitzerfirma der Bhopal-Fabrik, Union Carbide.

In Indien gab es deshalb zahlreiche Boykottaufrufe zu den Spielen, bis hin zur größten Oppositionspartei. Dow Chemical wehrt sich, die Verantwortung für die Schäden von Bhopal zu übernehmen und beruft sich auf eine Entschädigungsvereinbarung zwischen Union Carbide und Neu-Dehli.

Weil vor Ort nie etwas passierte, dauert der Protest an. Tatsächlich verunreinigt die vergiftete Fabrik seit Jahrzehnten das Grundwasser und verursacht damit bei den Anliegern immer wieder neue Krankheiten. Lange störte das die indische Regierung nicht. Doch nun will sie offenbar doch nicht mehr Gefahr laufen, als vertragsbrüchig zu gelten.

„Es ist absolut nicht hinnehmbar, dass die indische Regierung öffentliche Gelder dafür verwenden soll, um den Dreck zu beseitigen, den Union Carbide hinterlassen hat“, sagt hingegen Rampati Kumar von Greenpeace Indien. Wenn Dow Chemical zahle, könnten die Gefahrenstoffe überall hingebracht werden, wo sie sicher entsorgt werden könnten – auch nach Deutschland.

Quecksilber sickert ins Grundwasser

Der Auftrag für die GIZ sei deshalb „eine politische Unterstützungsgeste für die multinationalen Konzerne“, sagte Jabbar, der die unter Umweltschützern in aller Welt berühmte Frauenopfer-Organisation BGPMUS (Bhopal Gas Peedit Mahila Udyog Sangathan) leitet. Das Problem in Bophal seien zigtausend Tonnen Giftmüll auf dem offenen Fabrikgelände, deren giftige Substanzen, vor allem Quecksilber, ins Grundwasser sickerten.

Ähnlich schätzt die renommierte indische Umweltexpertin Sunita Narain die Lage ein. „Was nach Deutschland gehen soll, ist nur ein Bruchteil des Giftmülls. Es wäre nicht einmal der Anfang vom Ende der Verseuchung in Bhopal“, sagte Narain der taz. Auch sie sieht nach den Untersuchungen ihrer NGO im frei auf dem Gelände gelagerten Müll das Problem für die Gesundheit der Anlieger, und nicht etwa in dem im Lager befindlichen Müll.

Doch was kümmert das alles die GIZ? Als neuerdings privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen in Bundeshand soll sie auch an ihren Profit denken. „Es ist auf jeden Fall eine gute Sache, 350 Tonnen Pestizid-Müll zu entsorgen“, rechtfertigt Sprecher René Hingst den Auftrag. Die GIZ-Mitarbeiter in Indien verständen die Frage nicht, ob die Entsorgung den Anliegern der Fabrik vor Ort helfe oder schade, sagt Hingst empört zur taz. Noch hat die GIZ den Entsorgungsauftrag nicht unterschrieben.

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3 Kommentare

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  • I
    ion

    Die "von Joachim Jürgens" ge-forward-ede "EMail aus Bhopal" von "nity" krokiert (nur) einige der 'ur'-alten und nach wie vor existenten Kernprobleme Indiens, die es aus sich heraus (und trotz jahrzehntelanger, massiver ausländischer Hilfen) weder lösen konnte, oder vielmehr: wollte, noch künftig können wird; noch wird Indien jemals absehbar das Geld (Devisen!) zur Verfügung haben, auch nur theoretisch im angemessenen Umfang die inländisch verifizierbaren und konstant 'kultiviert' erweiterten Umweltschäden, Infrastrukturprobleme, etc. auch nur ansatzweise in den Griff zu bekommen u./o. durch ausländische Andere lindern helfen zu lassen, solange dessen 'demokratischen' Regierungen u./o. essentiellen Strukturen einer solch riesigen Volkswirtschaft 'traditionell' durch und durch korrupt (und ineffizient) sind.

     

    Das geht so weit, dass sogar eine auf deutschem Boden agierende Ländervertretung Indiens (Consulate General of India in Munich) nicht davor zurückschreckt(-e), Visa-Antragsteller wiederholt abzuzocken und definitiv zu betrügen; Und: weder das Auswärtige Amt, noch die als derseits ausgewiesen 'zuständige' Bayerische Staatskanzlei zeigten sich bereit, etwas zum Schutz von betroffenen Bundesbürgern zu unternehmen – unter Verweis auf die Souveränität jener hoheitlichen, indischen Einrichtung auf deutschem Boden; man möge sich bitte an das zuständige Ministerium in Indien wenden (lol & kotz).

     

    Übrigens: Ein weiteres Ärgernis des Artikels ist bereits – wer ’s nicht bemerkt haben sollte – die Headline: selbstveständlich könnte die kommerzielle Entsorgung von "350 Tonnen Giftmüll aus dem Lager der Katastrophenfabrik in Bhopal" (, also aus einem abgesicherten Depot,) KEINE "deutsche Hilfe für Opfer" sein!

     

    Dass die indische Regierung jetzt von Dow Chemical nach ca. 28 Jahren: "Rs 7,844 crore" (ca. 1,37 Milliarden US-Dollar) "additional compensation" fordert, nachdem es seine bis zu 25.000 Toten und bis zu 500.000 dauerhaft gesundheitlich Geschädigten 1989 für schlappe 470 Millionen(!) US-Dollar 'versilberte' – wovon 'selbstverständlich' eher nichts bei den Betroffenen ankam – wirft nicht nur erneut alte Fragen auf, sondern bestätigt (indirekt) leider nur das zuvor Erwähnte; Und dass Dow Chemical n.a. damit kontert, dass (sinngemäß) derlei Regierungs-Anliegen bereits deswegen abzulehnen sei, weil, wie die bisherige Entwicklung gezeigt habe, entsprechende Gelder seitens der Regierung ohnehin nicht für die Opfer u./o. deren Anliegen verwendet werden würden, mag zynisch klingen, ist aber in Bezug auf nachfordernde indische Staatsvertreter auch nachvollziehbar und angemessen.

     

    Eingedenk all dessen mag man nur mit Grauen an die massive Erweiterung des indischen Atomenergieprogramms denken!

  • I
    ion

    Folgt man den aktuellen (deutschsprachigen) Interneteinträgen zum "Bhopal"-Desaster, ist daraus zu schließen, dass mindestens eine der derzeit weltweit über 180 Presse- u. Nachrichten-agenturen spätestens am 24. Mai d.J. wieder mal eine (deutschsprachige) Meldung zu ebenjenem (ab-)gegeben haben muss, da an dem Tag diverse (deutschsprachige) Massenmedien in D das Thema synchron aufgriffen, wovon in der (frei zugänglichen): 'The Times of India' (TOI) bereits am 18. Mai d.J. [TOI: «German agency team visits carbide plant» | TNN | May 18, 2012, 03.49AM IST] berichtet und thematisch seitdem mit zumindest 14 (vierzehn!) weiteren Artikeln bedacht wurde.

     

    Der taz "Indien-Korrespondent" Georg Blume postet den hier Bezug genommenen Beitrag also mehr als einen Monat nachdem das Bhopal-Desater aus verschiedenen Gründen, Entwicklungen wieder massiver in den Vordergund rückt, durch Protestaktionen auch in London [TOI: «Bhopal protesters unveil banner outside stadium» | AFP | Apr 20, 2012, 09.35PM IST]: gerückt wird.

     

    Was könnte man davon halten(!?) – 'wir' wollten nicht aus dem Raster der Suchmaschine-n fallen und zumindest auch einen auffindbaren taz-Eintrag erzielen?

    Vielmehr kann ’s wohl nicht sein, denn Blumes’ Artikelchen ist zudem auch noch fahrlässig unterkomplex – womit er allerdings dem Mainstream der D-Medienlandschaft nacheifert.

  • JJ
    Joachim Jürgens

    Dazu eine EMail aus Bhopal!

     

    dear Joachim

    We'll try and get this for you. But I merely wanted to say that the impression that you have of India as a developed country is not true. We are unable to take care of household garbage in a small town, leave alone industrial and nuclear waste. It is true that India is highly industrialised, but that is without the infrastructure for handlign the consequences of industrialisation. The incinerators that are currently operating in India are glorified ovens, that cost a fraction of Germany incinerators. Most of the cost saving comes from cutting down on environmental protection. Further, it is not merely the presence of a German or state of the art machine that guarantees safe environmental conditions. A German incinerator may run acceptably because of the high grade of engineering, the qualifications and experience of operators, the strict oversight and regulation by regulatory agencies, the severe penalties in the event of violations, the presence of an aware and vocal community around the plant etc. Disposing the waste in India, under the current circumstances, would be a disaster and not far different from the conditions of disposal in African countries. India's development is extremely unequal. There may be software engineers and excellent institutions of higher learning. But India is also the one nation that is home to the largest number of people to defecate in the open and who lack clean water. I'd be happy to provide more context to you to help dispel the notion that Denmark, Australia and India are on the same point in the industrialisation/development curve.

     

    ciao, nity

     

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