Chefs, etc.: Besucher sind sowieso dumm
■ Wollheim-Retrospektive: Das Düsseldorfer Arbeitsgericht billigt Retuschen
Über zwei Jahre hatte Stephan von Wiese an der ersten großen Retrospektive mit Werken des von den Nazis verfolgten Düsseldorfer Malers Gert Wollheim gearbeitet. In dieser Zeit wurde dem Leiter der Abteilung Moderne Kunst am eltehrwürdigen Düsseldorfer Kunstmuseum immer klarer, daß es für die Ausstellung nur ein einziges schlüssiges Konzept geben konnte: Das großformatige Bauchschuß-Selbstbildnis „Der Verwundete“ (1919) sollte im Mittelpunkt des ersten Ausstellungsteiles im Erdgeschoß des Museums stehen. Vor allem durch die am eigenen Leib erfahrene Kriegsverletzung nämlich hatte Wollheim begonnen, seine vehementen Anklagen gegen Krieg und Gewalt auf die Leinwand zu bringen. Aus diesem Bild entwickelte sich das gesamte spätere Werk. Kaum ein zweites künstlerisches Werk bedurfte deshalb für von Wiese so sehr der chronologischen Betrachtung wie das Wollheims.
Sein Chef sah das anders: Drei Tage, bevor die Ausstellung am vergangenen Freitag der Presse vorgestellt wurde, ordnete Museumsdirektor Hans-Albert Peters schriftlich eine vollständige Umhängung des Projektes an, die er bei der Pressekonferenz als „Drehung um die Achse Berlin“ schmackhaft machen wollte: „Man kann Wollheims Werk auch als zyklisches verstehen.“ Plötzlich standen nicht mehr das Kriegserlebnis und seine Folgen am zentralen Beginn der Ausstellung, sondern die surrealistischen Bilder der Pariser Zeit und jene Werke aus den USA, die Peters selbst noch 1990 als „über weite Strecken unerträglich, schwülstig, kitschig und sehr schwer verdaulich“ bezeichnet hatte. Seine Forderung hatte damals noch gelautet: „Das amerikanische Spätwerk sollte nicht im Vordergrund stehen.“ Genau das tat es in der von ihm angeordneten Hängung aber sogar an prominentester Stelle. Eine Rolle mag bei der Anordnung der Neuhängung gespielt haben, so wird in Düsseldorfer Kunstkreisen gemutmaßt, daß Peters schon mehrfach im Schatten der ambitionierten Ausstellungsprojekte seines Abteilungsleiters gestanden hatte.
Der Presse legte Ausstellungsorganisator Stephan von Wiese daraufhin eine Erklärung vor, in der er die Verantwortung für „die Ausstellung in ihrer gegenwärtigen Form“ ablehnte. Ein Eiltermin vor dem Düsseldorfer Arbeitsgericht sollte, so die Hoffnung von Wieses und seines Anwaltes Hartwig Ball, die Stadt durch eine einstweilige Verfügung dazu bringen, das ursprünglich entwickelte Ausstellungskonzept zu verwirklichen. Der erst seit kurzem im Amt befindliche städtische Kulturderzernent Große-Brockhoff hatte eine Entscheidung darüber abgelehnt.
Richter Josef Dortschy gab dem Museumsdirektor recht. Dessen Weisungsbefugnis habe Vorrang vor der kunstwissenschaftlichen Meinung des Ausstellungsverantwortlichen. Ohnehin ziele der Antrag von Wieses lediglich darauf ab, so der Vorsitzende Jurist, die Chronologie der Ausstellung zu verändern. Das ließe sich aber auch durch eine entsprechende Beschilderung erreichen: Schließlich stehe es jedem Besucher frei, mit dem Rundgang dort zu beginnen, wo er wolle. Ohnehin werde „der Durchschnittsbesucher den Unterschied kaum bemerken“. Nach einer Verhandlungspause bot das Gericht den beiden Parteien einen karnevalsreifen Kompromiß an: Während der ersten Halbzeit ihrer Dauer solle die Retrospektive nach den Vorstellungen Peters' gehängt bleiben, danach so angeordnet werden, wie von Wiese sie ursprünglich konzipiert hatte. Noch bevor der Museumsdirektor darauf antworten konnte, hatte dessen Anwalt das von von Wieses Verteidiger befürwortete Experiment schon abgelehnt: Der Ruf des Direktors und seiner Autorität stünden auf dem Spiel, lautete der Ablehnungsgrund. Deshalb wird die so dringend notwendige Wollheim- Retrospektive nun bis Mitte April in einer Form zu sehen sein, die nicht allein die Absicht von Stephan von Wiese vollkommen konterkariert. Gegenüber der Presse zeigte sich auch Wollheims 85 Jahre alte Witwe enttäuscht: „Man kann doch auch den ,Faust‘ nicht von hinten nach vorne lesen.“ Von einer völlig unverständlichen Entscheidung sprach auch der eigens für die Ausstellung nach Düsseldorf angereiste amerikanische Kunstsammler Robert Gore Rifkind. Er stellte aus seinem Bestand von insgesamt 6.000 Werken des deutschen Expressionismus unter anderem eine Studie zum zentralen Bauchschuß-Bild zur Verfügung. Der „Kopf eines Mannes“ hatte auch das Plakat zur Ausstellung zieren sollen, statt dessen findet es sich nun in deren allerhinterstem Kabinett am völlig anderen Ende wieder. Auf dem nun jeder politischen Kraft beraubten Plakat wirbt statt dessen der pralinenhaft kitschig ummäntelte „Golem“. Dem Sammler gegenüber hatte Peters diese Entscheidung in einem Brief mitgeteilt. In ihm verrät der 1937 geborene Museumsmann nach Auskunft Rifkinds seine tatsächlichen Motive für die völlige Entschärfung durch das Verstecken des prägnanten Anti-Kriegs-Frühwerkes. Das Bild sei in seiner anklagenden Brutalität „dem Publikum nicht zuzumuten“, teilte der Zensor in bester Wilhelm-II-Tradition dem Sammler mit. Er habe es deshalb als ungeeignet für das Plakat angesehen. Gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes legt von Wieses Anwalt Berufung ein. In dieser Woche soll vor dem Landesarbeitsgericht erneut entschieden werden.
Stefan Koldehoff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen