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Chefin der neuen KassenvereinigungDie Unterschätzte

Sie ist die mächtigste Frau im deutschen Gesundheitswesen. Doris Pfeiffer vertritt mehr als 70 Millionen Versicherte und bestimmt was mit 150 Milliarden Euro Beitragsgeldern passiert.

Der Dachverband der Krankenkassen bestimmt, welche Leistungen "nötig" sind. Bild: ap

BERLIN taz Wer sich danach sehnt, selbst im größten Stress gelassen auszusehen, der kann von Doris Pfeiffer viel lernen. Die 49-Jährige steht derzeit im Zentrum eines politischen Unwetters, doch ihre Frisur sitzt. Und ihre graublauen Augen betrachten ihr Gegenüber so ruhig, als könne sie nichts mehr schrecken. Sie erträgt es sogar, dass sie im Restaurant nicht rauchen darf beim Gespräch über sich und ihre Herausforderungen. Dabei zerren an der Chefin der deutschen Krankenkassen gewaltige Kräfte. In den Verhandlungen dieser Wochen geht es um nichts Geringeres als die Gesundheit von 70 Millionen Menschen - und 150 Milliarden Euro. Doch wie gesagt, von Doris Pfeiffer kann man viel lernen.

Beispielsweise lehrt Pfeiffers Beispiel, dass man nicht überall präsent sein muss, um einflussreich zu sein. Es kommt darauf an zu wissen, wo die Schalthebel der Macht sind und wie sie sich bewegen lassen. Und mit Strukturen kennt sich die Volkswirtin mit Doktortitel bestens aus. Deshalb ist sie vor wenigen Monaten von Köln nach Berlin gezogen. Sie entscheidet mit, wie viel die Deutschen künftig für ihre Gesundheit ausgeben müssen und wie viel Honorar die Ärzte erhalten. Was also bewegt die Chefin der Krankenkassen?

DIE EINIGUNG

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) haben sich am Donnerstagabend darauf verständigt, die Vergütungen der rund 145.000 niedergelassenen Ärzte im nächsten Jahr um mindestens 2,5 Milliarden Euro anzuheben. Die Kassen machten deutlich, dass das Ergebnis gegen ihren Willen von Schlichtern und Ärzten durchgesetzt worden sei.

Das Honorarvolumen für die Mediziner steigt um gut 10 Prozent. Die Ärzte hatten ein Honorarplus von 4,5 Milliarden Euro gefordert, mindestens aber eine Anhebung um 2,5 Milliarden Euro.

Versicherte und Arbeitgeber kostet der Abschluss 0,25 Beitrags-Prozentpunkte zusätzlich. Es wird davon ausgegangen, dass der Beitragssatz für die Krankenversicherung steigt. Derzeit liegt er im Durchschnitt aller Kassen bei 14,92 Prozent. "Die Versicherten werden die Einigung leider in ihrem Portemonnaie spüren", sagte ein Sprecher der Krankenkassen.

Die Höhe des Honorarvolumens ist mitentscheidend für den künftig einheitlichen Beitragssatz des neuen Gesundheitsfonds. Der Fonds startet 2009. Wie hoch der künftige Einheitssatz für alle gesetzlichen Versicherten sein wird, hängt unter anderem noch von den Budgetverhandlungen mit den Kliniken ab.

"Das ist heute ein wichtiger Schritt gewesen, um die flächendeckende und qualitativ hochwertige ambulante Versorgung für die Patienten auf Dauer zu sichern", kommentierte KBV-Chef Andreas Köhler. Die Kernforderungen der Kassenärzte sah Köhler weitgehend erfüllt. Der Vorsitzende des NAV-Virchow-Bunds, Klaus Bittermann, sprach dagegen von einem "überfälligen Tropfen auf den heißen Stein". Die KBV habe "von Verhandlungstaktik keine Ahnung", weil sie viel zu schnell von der 4,5-Milliarden-Euro-Forderung abgerückt sei. "Für den billigen Kompromiss nimmt sie in Kauf, dass Ärzte einen Großteil ihrer Leistung umsonst erbringen."

Der FDP-Gesundheitsexperte Daniel Bahr kritisierte die Einigung: "Die Bundesregierung versucht bei den Ärzten Ruhe für eine verkorkste Gesundheitspolitik zu erkaufen. Die Grundprobleme, vor denen wir stehen, sind damit nicht gelöst." DPA

Doris Pfeiffer sitzt in einem Restaurant in Berlin-Mitte und darf nicht rauchen. Das bereite ihr keine Probleme, sagt sie. Ein Journalist habe zwar einmal geschrieben, sie rauche Kette, "aber ich kann auch ganz gut einige Stunden ohne". An der Wand hängen große Fotografien von Spitzenpolitikern, die sich mit einem Künstler haben ablichten lassen. Schröder, Stoiber, Kohl. Eine Galerie von Entscheidern, die jeder kennt. Aber kaum jemand kennt Pfeiffer. Dabei ist die Frau, die meist im dunklen Hosenanzug auftritt, die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands. Das ist die neue Interessenvertretung der mehr als 200 gesetzlichen Krankenkassen und ihrer Versicherten. Über Monate haben Pfeiffer und ihre derzeit rund 100 Mitarbeiter nahe der Berliner Friedrichstraße im Stillen etwas Neues geschaffen.

Weil die Bundesregierung sie dazu zwang, haben sich die sieben konkurrierenden Kassenverbände zusammengetan. Das Ergebnis: der zum 1. Juli gegründete GKV-Spitzenverband. Dieser verhandelt künftig mit allen, die in Deutschland von Kassenpatienten Geld wollen: mit Krankenhäusern, Klinik- und Praxisärzten und Psychotherapeuten. Das heißt: So ziemlich jeder im riesigen Gesundheitssystem hat einen Grund, Pfeiffer nicht zu mögen, denn ihr Job ist es, das Geld der Kassen zusammenzuhalten. Und so werden auch ihre eigenen Kunden noch oft zornig werden, hat der Dachverband doch großen Einfluss darauf, welche medizinischen Leistungen die Kassen zahlen - und welche nicht.

Einmal warfen Ärzte Doris Pfeiffer indirekt vor, sie gefährde Menschenleben. Es ging um die Zahl der von der Kasse gezahlten Blutwäschen für Dialysepatienten, also teure und lebenswichtige Maßnahmen. "Da wird mit unsauberen Mitteln gearbeitet", findet Pfeiffer. Mit harten Bandagen zu kämpfen sei in Ordnung, aber so was? Je besser Pfeiffer ihren Job macht, desto wütender werden ihre Verhandlungspartner sein. Deshalb ist es erstaunlich, dass sie so ruhig wirkt. Und deshalb raucht sie vielleicht doch recht viel in jüngster Zeit.

Am späten Donnerstagabend beispielsweise, da hat sie ihre erste Niederlage einstecken müssen, und die hat sie kommen sehen. Nach zähen Verhandlungen einigte sich ihr Verband mit den Vertretern der Ärzte auf eine Anhebung der Honorare um insgesamt 2,5 Milliarden Euro. Ein Plus von mehr als 10 Prozent. Beitragszahlergeld, Pfeiffers Geld. Die Ärztelobbyisten beklagen seit langem den Niedergang des Medizinerstands. Vor der jüngsten Verhandlungsrunde drohten sie sogar mit einem bundesweiten Streik.

Hätten sich Kassen und Ärzte nicht geeinigt, wäre Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) am Zug gewesen: Ihre Aufgabe wäre es gewesen, festzulegen, wie viel die Ärzte erhalten. Der Haken an den Verhandlungen: Schmidt hatte den Ärzten bereits vor Monaten ein sattes Einkommensplus von 10 Prozent in Aussicht gestellt. Pfeiffers Verhandlungsposition war geschwächt, lange bevor die Verhandlungen Anfang August überhaupt begonnen hatten.

Dass der Zuschlag nun so hoch ausfällt, liegt auch an einer komplizierten Umstellung der Honorarabrechnungen ab 2009, weg von schwankenden Punktwerten auf feste Eurosummen.

Punktwerte, Umrechnungsmechanismen, Honorarabrechnungen. Das klingt nicht nur spröde, das ist es auch. Hier kennt Pfeiffer, die zu Schulzeiten Mathematik studieren wollte, sich aus. Ohne Ironie in der Stimme erzählt sie, wie sie einmal ein schwer verständliches Abrechnungsformular in Händen hielt. Sie ließ nicht locker, bis ihr Experten erklärten, warum sie es so kompliziert formuliert hatten: Da sie alle nur denkbaren Sonderfälle berücksichtigten, klang das verbale Ergebnis ziemlich merkwürdig. "Selbst so was kann also ganz interessant sein." Aber Pfeiffer wäre nicht "die mächtigste Frau im deutschen Gesundheitswesen", wie sie vor kurzem eine Zeitung nannte, verstünde sie nicht auch eine Menge von Macht.

Die Tochter eines Maurers und einer Hausfrau aus Düren im Rheinland kennt jedes Detail im Geschäft mit der Gesundheit. Vielleicht liegt es an ihrer Herkunft, dass sie nach der Promotion an der Uni Köln durchweg bei gesetzlichen Krankenkassen anheuerte - und nicht bei den privaten. Erst beim AOK-Bundesverband, ab 1992 dann beim Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK). "Ich habe von meinen Eltern einen starken Sinn für Gerechtigkeit geerbt", sagt Pfeiffer. Ihrer jüngeren Schwester rät sie bis heute, den gesetzlichen Kassen treu zu bleiben, auch wegen der Solidarität mit den anderen Versicherten.

Als VdAK-Chefin kämpfte Pfeiffer lautstark gegen die Schaffung eines Spitzenverbands für alle gesetzlichen Kassen. Dass ausgerechnet sie nun an deren Spitze steht, darüber spotten einige in der Branche. Aber Beschimpfungen gehören zum Spiel, das weiß und akzeptiert auch Pfeiffer.

Unter den Fotografien wichtiger Politiker an der Restaurantwand ist auch eines von Karl Lauterbach. Der SPD-Gesundheitsexperte kennt und schätzt Pfeiffer seit ihrer Zeit beim VdAK. Zu ihrem umstrittenen Wechsel auf den Chefposten des GKV-Spitzenverbands sagt Lauterbach nur: "Wo gehobelt wird, fallen Späne." Soll heißen: Wenn die Politik gegen deinen Willen entschieden hat, kannst du dich ebenso gut ins Unabänderliche fügen. "Pfeiffer wird leicht unterschätzt", urteilt Lauterbach. Sie rede nun mal nicht ununterbrochen, kenne sich aber sehr gut aus. "Ich halte sie für sehr kompetent."

Pfeiffer selbst sagt, sie habe sich ihren Wechsel nicht leicht gemacht. "Man kann diesen Verband regierungsnah führen, aber das ist nicht mein Interesse, im Gegenteil. Ich will ihn im Interesse der Kassen und ihrer Mitglieder führen." Was unverfänglich klingt, ist in Wahrheit eine Kampfansage an Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Die Sozialdemokratin zwang die Kassenverbände zur Vereinigung und verfügte, dass es ab 2009 nur einen, von ihr festgelegten Beitragssatz für alle Kassen geben wird.

Und so bewegt Pfeiffer sich in einem Dreifrontenkrieg: Auf der einen Seite fordern Ärzte und Krankenhäuser mehr Geld, auf der zweiten verspricht die Regierung den Medizinern höhere Honorare. Das müssten die Kassen herausrücken - also die Versicherten. Die wiederum bilden die dritte Front, denn ständig steigende Beitragssätze sorgen natürlich für Unmut. Ärzte, Politik, Versicherte - ein schier unlösbares Dilemma. Anfang November wird die Höhe des zentralen Beitragssatzes im Bundestag festgelegt. Die Rede ist von 15,8 Prozent. Das sind 0,9 Prozentpunkte mehr, als Versicherte derzeit im Schnitt zahlen. Pfeiffer hat bei der Festlegung des Beitragssatzes ein Wort mitzureden. Dann muss sie beweisen, ob sie zu Recht den Ruf hat, nicht nur umgänglich zu sein, sondern auch eine harte Verhandlerin.

Schmidt und Pfeiffer siezen sich. Ministerin und Kassenfrau kennen einander seit vielen Jahren, die GKV-Chefin gilt zwar als SPD-nah, ist aber keine Genossin. Über die Ministerin sagt die Pfeiffer sybillinisch: "Bisher haben wir ein gutes Verhältnis." Bisher.

Bald wird die Frau, die so ungern über Privates redet, noch seltener Freizeit haben für Opern- und Konzertabende, die Romane der Niederländerin Jessica Durlacher und die geliebten Spieleabende mit Freunden. "Männer gegen Frauen. Das hat sich so ergeben."

Als Doris Pfeiffer aus dem Restaurant hinaus ins Licht der Spätsommersonne tritt, greift sie in ihre Handtasche und zündet sich eine Zigarette an. Sie hat noch viele in Reserve.

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