Che Guevara: Der Marlboro-Mann der Linken
Vor 40 Jahren wurde Ernesto Rafael Guevara de la Serna in Bolivien ermordet. Der Mythos des Rebellen "Che" lebt weiter, als Mensch war er eitel, launisch und autoritär.
Es gibt das "Che-Guevara-Kult-T-Shirt", die Che-Guevara-Swatch-Uhr, es gibt ungezählte Poster, Aufnäher und Sticker mit seinem Konterfei und bei Google 4.800.000 Treffer in 0,23 Sekunden: Che Guevara ist zwar seit 40 Jahren tot, aber immer noch mindestens so lebendig wie Elvis. Wenn es schon nicht mehr seine Ideen sind, dann ist es auf alle Fälle noch sein Gesicht, das allgegenwärtig bleibt. Grund genug, in dieser tazzwei-Sonderausgabe anlässlich des Todestages einen genauen Blick auf den Menschen Guevara zu werfen: Es gibt zwar mehr als genug Bilder von ihm, aber was bedeuten diese Bilder noch - in unseren Köpfen und im heutigen Lateinamerika? Diese und die folgende Seite versuchen, sich dem Phänomen Che anzunähern - einer "Blume, die vorzeitig gepflückt wurde" (Castro).
Dieser traurige Blick in die Ferne. Das wehende Haar, der schüttere Bart. Die schwarze Baskenmütze mit dem roten Stern. Jeder kennt das Porträt. Der Fotograf Alberto Korda hat es am 5. März 1960 auf dem Platz der Revolution in Havanna aufgenommen. Der italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli hat es Korda abgeluchst und weltweit vermarktet. Das Bild wurde abermillionen Mal gedruckt und multiplizierte den Mythos des Porträtierten. Das war schon nach dessen Tod.
Dieser Mythos bedeckt noch immer warm und wohlig das wahre Leben des Ernesto Rafael Guevara de la Serna, den die Kubaner und nach ihnen alle den Che nannten. Was weiß man schon von ihm? Dass er Argentinier war und asthmatisch, Arzt und Revolutionär; dass er als junger Mann mit dem Motorrad durch Lateinamerika reiste und mit Fidel Castro als Guerillero in die Sierra Maestra zog, um Kuba vom Joch des Diktators Fulgencio Batista zu befreien; dass er Zentralbankpräsident von Kuba war, obwohl er Geld hasste; und dass er später in Bolivien noch einmal eine Revolution anzetteln wollte und dabei gefangen genommen und erschossen wurde. Aber wer weiß schon, dass Guevara eine Rolex am Handgelenk trug, als er vor 40 Jahren, am 9. Oktober 1967 in La Higuera starb? Er war 39 Jahre alt.
Wenn Menschen zu Mythen werden, ist es besser, man weiß nicht zu viel über sie. Sie werden sonst entzaubert und wieder zu Menschen. Über Che Guevara wurden viele Biografien geschrieben. Die meisten gleichen Heiligen-Legenden. Wenn Fidel Castro seinen einstigen Mitstreiter in Reden erwähnte, nannte er ihn gerne den "wahrscheinlich komplettesten und transparentesten Menschen, den es je gegeben hat". Und Kubas Kinder werden noch immer angehalten, im Chor zu rufen, sie wollten "sein wie der Che".
Besser nicht. Ernesto Guevara war kein angenehmer Mensch. Er war - neben allen Verdiensten als Guerillero - eitel, launisch und autoritär. Ein ungepflegter Macho, der sich nur sehr selten wusch. Er konnte ungerecht sein und brutal und hatte bisweilen rassistische Ausfälle. Das steht nicht in den Heiligen-Legenden. Man muss mit alten Männern reden, die mit ihm in der Sierra Maestra waren oder im Industrieministerium. Nach ein paar Gläsern Rum fangen sie an zu erzählen - unter der Bedingung, dass ihre Namen nicht erwähnt werden. Und man muss seine Briefwechsel studieren und seine Tagebücher. Man liest und hört da manches, das gar nicht zum Mythos des guten Che passen will.
Das fängt schon in der Jugend an. Da ist nichts zu finden von frühem politischem Handeln. In einem Interview gab er selbst zu: "Ich hatte in meinen Jugendjahren keinerlei soziales Engagement." Sein Medizinstudium war ihm eher lästige Pflicht. Als er Ende 1951 beschloss, zusammen mit einem Freund mit dem Motorrad durch Südamerika zu fahren, schrieb er: "Ich hatte die Schnauze voll von der Medizinischen Fakultät, den Krankenhäusern und den Arztpraxen."
Er war Sohn einer ins wirtschaftliche Abseits driftenden, ehemals reichen Familie, hatte eine Freundin aus der Oligarchie, mit Hacienda, Polofeldern und arabischen Hengsten. Und er hatte einen Spleen, der damals unter den Sprösslingen der Bessergestellten Argentiniens verbreitet war: Er hing der Theorie des "Raidismo" an. Der Begriff kommt vom umgangssprachlichen "pedir raid" (trampen) und meint ein zielloses Herumschweifen. Seine erste Reise durch Lateinamerika setzte diese Theorie in die Praxis um. Sicher, unterwegs hat er ab und zu in Krankenhäusern gearbeitet - aus Geldmangel. Viel besser gefiel ihm ein Job, den er in Leticia im Süden Kolumbiens angenommen hatte: Trainer und Torwart einer Fußball-Mannschaft. Akribisch notierte er die Ergebnisse aller Spiele in sein Tagebuch - unter besonderer Berücksichtigung seiner eigenen Leistungen. Am Ende dieses Reise-Tagebuchs wurde er unvermittelt radikal: "Ich werde für das Volk kämpfen und weiß, () dass ich () die Barrikaden und Schützengräben mit dem Geheul eines Besessenen stürmen, meine Waffen in Blut tauchen und rasend vor Wut jedem Besiegten den Hals durchschneiden werde."
Es dauerte noch eine Weile, bis aus den schwülstigen Worten Taten wurden. Doch der Satz war prophetisch. Fünf Jahre später kämpfte Che Guevara an der Seite Fidel Castros wie ein Besessener. Es gibt haufenweise Zeugnisse seines fast selbstmörderischen Muts. Am liebsten scharte er die jüngsten der Truppe um sich - heute würde man sagen: Kindersoldaten. "Er sagte, sie wären verrückter als ältere, würden mehr aufs Spiel setzen und nicht lange nachdenken", erzählt einer, der mit ihm in den Bergen war.
Seine 18-jährige Freundin aber durfte nicht kämpfen, obwohl sie das wollte. Comandante Guevara ordnete an, dass sie im Lager bleiben müsse, um dort sein Maultier Armando zu pflegen. Er hat sie ein paar Monate später verlassen, so wie er alle Frauen verlassen hat. Seine erste Frau Hilda Gadea drängte er in die Ehe, zeugte ein Kind und hatte sie dann über: "Unsere geistige Unvereinbarkeit ist zu groß und ich lebe in diesem anarchischen Geist, der mich Horizonte erträumen lässt." Das war noch vor dem Kuba-Abenteuer. Auch die zweite Frau, die Kubanerin Aleida March, musste stets mit den Kindern zurückbleiben, wenn der Gatte neue Horizonte suchte.
Die Wut und Brutalität, die sich der junge Guevara am Ende seines Reisetagebuchs angedichtet hatte, war später bei seinen Untergebenen gefürchtet. Er schurigelte sie, stellte sie an den Pranger. "Um den Abschaum aus der Kolonne zu entfernen, habe ich die Entlassung aller befohlen, die es wollten", schrieb er während des Guerillakriegs an Fidel Castro. Später, als er im Kongo kämpfte, bezichtigte er seine schwarzen Genossen der "Ignoranz" und einer "kleinlichen Mentalität". Verstanden hat er sie nie. Er sprach nur ein paar Brocken Suaheli. Trotzdem war er - in einem Brief an Castro - davon überzeugt: "Wenn ich nicht wäre, hätte sich dieser schöne Traum bereits vollständig in einer allgemeinen Katastrophe aufgelöst." Später in Bolivien hörte der französische Sozialist Régis Debray, wie er seine wenigen einheimischen Mitkämpfer "Scheißbolivianer" schimpfte, von denen er "keinen mehr sehen" wolle.
In der Sierra Maestra hatte er sich vorgedrängt, als es darum ging, den ersten Verräter in den Reihen der Guerilla zu füsilieren. Eigentlich hatte Castro einem anderen den Schießbefehl gegeben. Dieser erzählte später: "Ich hatte mein Gewehr dabei. Aber dann zog plötzlich Che einen 22er Colt und jagte ihm - bumm - eine Kugel in den Kopf." Guevara hat den Vorfall in seinem Tagebuch nicht erwähnt, ganz stolz aber, dass er nach der Eroberung der Stadt Santa Clara als Erstes zwölf Polizisten an die Wand stellen ließ. Erschießungen, schrieb er, seien "eine Notwendigkeit für das kubanische Volk". Später richtete er das erste Arbeitslager Kubas ein, für Menschen, "die kleinere oder größere Vergehen gegen die revolutionäre Moral begangen haben". Seinen Untergebenen im Industrieministerium drohte er, sie könnten dort "Ferien verbringen", wenn sie nicht spurten.
Er glaubte, alles lasse sich mit Willenskraft und Gewalt durchsetzen, selbst eine Weltrevolution. Parteien fand er überflüssig, die historischen Umstände waren ihm schnurz. "Man muss nicht warten, bis die Bedingungen für eine Revolution gegeben sind; der aufständische Fokus kann sie schaffen", schrieb er in seinem Buch "Der Guerillakrieg". Eine kleine kämpfenden Einheit hier, dann eine da und noch eine dort - so, glaubte er, könne er der Geschichte eine kommunistische Wende geben. Er hat sich maßlos überschätzt.
Als er 1965 in den Kongo ging, sollte dies eine Revolution in ganz Afrika auslösen. Als er gescheitert war, notierte er trotzig: "Ich folge nur treu meinem Konzept des Fokus." Auch in Bolivien hatte er Großes vor. Kurz nach seiner Ankunft sagte er einem Kontaktmann: "Wir können uns nicht den Luxus leisten, von einer Revolution nur in Bolivien zu träumen, ohne zumindest in einem Küstenland oder vielmehr in ganz Lateinamerika eine Revolution zu machen." Mehr als 46 Männer und Frauen, inklusive aller Besucher, hatte er dafür nie unter seinem Kommando. Am Ende war es nur noch ein gutes Dutzend.
Vielleicht war es gut, dass Guevara einen frühen Tod fand. Er würde sich im heutigen Kuba kaum mehr zurechtfinden. Spätestens als Fidel Castro 1993 den US-Dollar als Zahlungsmittel einführte, hätte der Che den Staats- und Parteichef am liebsten ins Arbeitslager geschickt. Und nun, da der Alte sich langsam zurückzieht und die Herrschaft der Partei an seine Stelle tritt, würde er vollends alles für verloren halten. Als Mythos des Muster-Guerillero aber begeistert er wieder und wieder die Jugend.
Er hat diesen Mythos selbst geschaffen. Im "Guerillakrieg" beschreibt er ihn bis ins Detail. "Rauchwaren", heißt es da etwa, seien fundamental im Leben des Guerillero. "Der Rauch, den er in den Augenblicken der Ruhe ausstoßen kann, ist der große Gefährte des einsamen Soldaten." Ernesto Che Guevara, der Marlboro-Mann der Linken.
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