Chancen für grün-schwarz in Berlin: Grün ist Henkels Hoffnung
Nach dem Bruch von Schwarz-Grün in Hamburg reden vor allem linke Ökos ein solches Bündnis für Berlin runter. Drei Beispiele zeigen, dass es trotzdem klappen kann.
Grüne, die mit der CDU koalieren? Was in Berlin rechnerisch durchaus möglich scheint, hat angeblich keine Chance mehr, seit in Hamburg im November das schwarz-grüne Bündnis zerbrach. Zu klein seien die inhaltlichen Überschneidungen, zu gering die persönlichen Bindungen, heißt es vor allem bei Parteilinken. Derartige Aussagen irritieren ein bisschen, wenn man sieht, wo Ökos und Konservative zusammenarbeiten. Drei Beispiele, warum Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz bereits heute funktioniert - oder noch, je nach Standpunkt.
Niels Korte ist ein schlanker Mann Anfang 40, hohe Stirn, oft mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht. Er ist einer der jüngeren, neuen Leute in der Berliner CDU-Spitze, verantwortlich für ein zentrales Papier zur Bürgerarbeit. Und er ist der schwarze Part im Leben des grünen Landeschefs Stefan Gelbhaar (34). Denn Korte ist führender Kopf der Anwaltskanzlei Korte, und dort ist auch Gelbhaar als Rechtsanwalt tätig. Der will darin keinen Hinweis auf politische Nähe sehen. "Ich trenne das sehr stark", so Gelbhaar. Auf der Internetseite der Kanzlei heißt es allerdings unter "Philosophie": "Unsere Kanzlei befindet sich nicht nur räumlich in großer Nähe zu aktuellen Entwicklungen der Politik."
Er und Korte würden sich ja auch nicht allzu oft begegnen - die Kanzlei teilt sich auf zwei Standorte Unter den Linden und in Prenzlauer Berg auf. "Wenn man sich sieht, kommt es natürlich schon mal zu Diskussionen", sagt der Grüne, "denn Juristerei ist doch gefrorene Politik - die Gesetze kommen aus den Parlamenten und damit aus der Politik." Er räumt aber auch ein, dass die Zusammenarbeit nicht möglich wäre, wenn sich die beiden nicht gegenseitig als Juristen schätzen würden. Fragt man Korte nach Gelbhaar, guckt der freudig auf und erzählt, dass er ihn als guten Mann schon seit dessen Studienzeit kennen würde.
CDU-Landes- und -Fraktionschef Frank Henkel soll am heutigen Montag als Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl im Herbst vorgeschlagen werden. Generalsekretär Bernd Krömer geht davon aus, dass sich das Parteipräsidium einmütig auf eine entsprechende Empfehlung verständigen wird. Henkel übernahm 2008 die Partei- und Fraktionsspitze. Der 47-Jährige soll beim Urnengang am 18. September den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) herausfordern.
Eine Chance, an die Macht zu kommen, hat er nur mit einer grün-schwarzen Koalition. Grüne und CDU haben in Umfragen seit Juli 2010 eine konstante Mehrheit gegenüber SPD und Linkspartei. Stärkere Partei waren dabei stets die Grünen. In der jüngsten Umfrage lagen sie bei 25, die Union bei 19 Prozent. (taz, dapd)
Es hätte durchaus dazu kommen können, dass sich die beiden nicht nur in der Kanzlei, sondern auch im Abgeordnetenhaus getroffen hätten. Denn CDU-Vorständler Korte, der 2009 bereits erfolglos für den Bundestag kandidierte, wird nach der Berlin-Wahl aller Wahrscheinlichkeit nach erstmals ins Landesparlament einziehen. Und auch Gelbhaar hatte darüber nachgedacht, sich für ein Abgeordnetenmandat zu bewerben. In der vergangenen Woche aber sagte er der taz, dass er im März erneut für den Landesvorsitz kandidieren wolle - beides zusammen geht bei den Grünen nicht.
Was bei den beiden in der Kanzlei klappt, funktioniert seit längerem in Steglitz-Zehlendorf in der Bezirksverordnetenversammlung. Gerade dort, im bürgerlichsten Bezirk mit den nobelsten Ecken Berlins, arbeiten CDU und Grüne seit mehr als vier Jahren solide zusammen. Diese Koalition war nicht mal aus der Not heraus geboren. Die Union hätte auch mit der FDP eine Mehrheit gehabt, entschied sich aber bewusst anders. "Wir sind ja freiwillig mit den Grünen zusammen - das sind vernünftige Leute", sagt CDU-Fraktionschef Torsten Hippe.
Seine grüne Amtskollegin, Christa Markl-Vieto, gehörte 2006 zu denen, die das Bündnis für unmöglich hielten und ablehnten. Vorbereitet hatte es die damalige Fraktionschefin und heutige Grünen-Landesvorsitzende Irma Franke-Dressler. Zu schlecht seien ihre Erfahrungen mit der CDU aus der vorangegangenen Wahlperiode gewesen, sagt Markl-Vieto damals. Die ersten Monate der Zusammenarbeit aber ließen sie ihre Haltung komplett ändern: "In der CDU-Fraktion gab es nun sehr viele aufgeschlossene Leute, mit denen man reden kann."
Entscheidend ist für sie, dass sie sich auf Absprachen mit der Union verlassen kann. Bei Themen wie etwa Tempo 30 kommen beide Parteien naturgemäß nicht auf einen Nenner. "Unterm Strich können wir aber auch einen Dissens aushalten", sagt die Fraktionschefin. Für sie liegt das aber auch an der Politikebene. "Bei uns geht es eben nicht um Atomausstieg, sondern um Straßenausbaubeiträge oder eine neue Mensa für eine Schule." Eine Koalition auf Bundesebene hält sie darum für nicht machbar. Und auf Landesebene im Herbst? "Das wird das eine wirklich spannende Frage."
Im Abgeordnetenhaus selbst gab es in den vergangenen Jahren wiederholt gemeinsame Erklärungen der Oppositionsfraktionen von Union, Grüne und FDP, meist zu übergeordneten Themen. Einmalig in der Opposition aber ist, wie eng die CDU-Abgeordnete Stefanie Bung und der Grünen-Parlamentarier Stefan Ziller in einem Fachthema kooperieren und das in gemeinsamen Pressemitteilungen öffentlich machen. Beide setzen sich dafür ein, innerstädtische Kleingartenanlagen zu erhalten, organisierten einen Vor-Ort-Termin, wenden sich gegen mangelhafte Pflege für Parks und Stadtbäume. Dass es mit der CDU-Abgeordneten so gut klappt, liegt für Ziller daran, dass Bung "eine sehr grüne Position" vertrete. "Wo es Überschneidungen gibt, müssen wir die nutzen", sagt er. Zu weiterem ist er aber skeptisch: "Über Einzelthemen hinaus sehe ich keine Basis, auf der man eine Koalition aufbauen könnte."
CDU zeigt keine Präferenz
Bung hingegen erkennt gerade im Bereich der Stadtentwicklung durchaus weitere Schnittmengen. Die Autobahn 100 gehört nicht dazu, wohl aber die Umgestaltung des Hauptbahnhofs. Wenn die CDU am heutigen Montag den Fraktions- und Parteichef Frank Henkel als designierten Spitzenkandidaten präsentiert, wird die Union die Koalitionsfrage offen lassen. Für Bung hingegen ist die Sache klar: "Was mich angeht, so ist Schwarz-Grün meine Wunschoption."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“