Champions League: Schütze auf Drogen
Mithilfe des fit gespritzten Verteidigers Marcel Schmelzer gewinnt Borussia Dortmund gegen Real Madrid und beweist endlich internationale Konkurrenzfähigkeit.
DORTMUND taz | Sebastian Kehl hat schon eine Menge erlebt in seinem Fußballerleben, vor allen Dingen mit Verletzungen und allerlei anderen körperlichen Dysfunktionen kennt der Kapitän von Borussia Dortmund sich aus. Und so wusste Kehl nach dem 2:1-Erfolg gegen Real Madrid und einer Nacht der Dortmunder Glückseligkeit, wem er zu danken hatte: den Entwicklern hochwirksamer Betäubungsmittel.
„Alle Schmerztabletten, die Marcel Schmelzer in den letzten Tagen gefuttert hat, die sind wahnsinnig wichtig gewesen“, sagte Kehl. Schmelzer war nämlich trotz nur dürftig ausgeheilter Fußwurzelprellung ins Team zurückgekehrt, hatte brillant gespielt und in der 64. Minute mit einem vorzüglichen Linksschuss den 2:1-Siegtreffer gegen Real Madrid erzielt.
„Ich weiß gar nichts mehr von diesem Moment“, erzählte der Held des Abends später, „ich war einfach froh, als ich gesehen habe, wie das Netz wackelt“, und die Ursache für diese Amnesie lag wohl weniger in den Schmerzmitteln als im Adrenalinausstoß, den das zentrale Nervensystem des Nationalspielers in diesem magischen Moment veranlasst hatte.
Nicht nur der Revierderbyverlierer hat am Mittwoch ein großes Spiel gewonnen, auch der Revierderbysieger hat in der Champions League für Aufsehen gesorgt. Das 2:0 bei Arsenal FC in London, das durch Tore von Klaas-Jan Huntelaar und Ibrahim Affelay zustande gekommen ist, war der erste Erfolg einer deutschen Vereinsmannschaft in England seit 2001. Irrsinnig effektiv haben die Schalker dabei agiert. Dreimal haben sie auf das Tor geschossen und dabei zwei Tore geschossen. Der Rest war Abwehrarbeit. Die war aller Ehren wert. Arsenal gelang nur ein einziger Schuss aufs Tor. Nach dem 1:2 von Montpellier gegen Olympiakos Piräus im anderen Gruppenspiel sind die Schalker mit nun 7 Punkten Tabellenführer.
Ausgerechnet Schmelzer riefen die Reporter oben auf der Tribüne in die entfesselt jubelnde Arena hinein, denn der Linksverteidiger trifft eigentlich nie, in seinem 137. Pflichtspiel war ihm zuvor erst ein einziges Tor gelungen, ein eher unwichtiger Treffer gegen den 1. FC Köln. „Was Marcel Schmelzer da heute Abend gespielt hat, das war wie von einem anderen Stern“, sagte Jürgen Klopp später im Fernsehen und fügte an: „Glückwunsch an Deutschland, so einen Linksverteidiger zu haben.“
Gegen die Zweifler
In diesen Worten lag natürlich eine stattliche Überdosis Pathos. Klopps enthusiastische Formulierungen waren wohl ein Produkt der Dortmunder Sehnsucht, den Zweiflern endlich zu beweisen, dass ihre oftmals überkritisch bewerteten Einzelspieler ebenso international konkurrenzfähig sind wie ihr Kollektiv. „Wir sind ganz froh, dass wir es jetzt all denen gezeigt haben, die zwei Jahre behauptet haben, dass wir in Europa nicht mithalten können“, sagte Schmelzer. Die Konkurrenz aus München hatte ja sehr ausdauernd an der internationalen Tauglichkeit des BVB gezweifelt, und Schmelzer selbst war durch ziemlich unglücklich gewählte Worte des Bundestrainers in den Fokus der kritischen Betrachtungen geraten.
Jetzt hat der Deutsche Meister Real geschlagen und steht an der Spitze der mit Abstand schwersten Champions-League-Gruppe, während der FC Bayern sich irgendwie durch die Vorrunde rumpelt. Und besonders stolz sind sie darauf, dass sie dort mit ihrem genuinen BVB-Fußball angelangt sind. Wer in dieser Partie gegen Real nicht bedingungslos für die Defensive arbeitet, sei „ein Arschloch“ hatte Klopp vor der Partie getönt, und natürlich waren sie alle gerannt wie die Irren.
Das erste Tor fiel nach einer für den BVB typischen Balleroberung, Robert Lewandowski hatte vollendet (36.), und was vielleicht noch erstaunlicher ist: In der halben Stunde nach dem 2:1 gestatteten die Dortmunder Real keine einzige klare Torchance. „Ich glaube, dass wir einfach die bessere Mannschaft waren, sowohl in der Defensive als auch nach vorne“, sagte Mats Hummels.
Wobei Real-Trainer José Mourinho schon recht hatte, als er erklärte, dass dies zwar „ein sehr intensives Spiel gewesen sei“, aber keine Partie „von allerhöchster Qualität“. Von den Dortmundern brachte nur Lukasz Piszczek mehr als 70 Prozent seiner Abspiele zu einem Mitspieler, bei Madrid waren es immerhin fünf, aber insgesamt bekamen die Zuschauer eher Emotionsfußball als Präzisionsfußball geboten.
Kein spanisches Feuerwerk
Allein der 40-Meter-Pass, mit dem Mesut Özil Cristiano Ronaldos zwischenzeitliches 1:1 vorbereitete (38.), war ein Meisterwerk an Genauigkeit. Viel mehr Offensivfeuerwerk führten die Spanier aber nicht auf, und Trainer José Mourinho wirkte durchaus besorgt, als er über die enorme Qualität der Vorrundengegner sprach. „Ein großer Klub wird in die Europa League müssen“, sagte er, andere Gruppen seien dagegen „ein Witz“.
Und selbst für die Dortmunder blieb diese große Nacht nicht frei von Sorgen. Roman Weidenfeller betonte, dass diesen wunderbaren Erlebnissen gewissenhaft erledigte „Hausaufgaben“ im Alltag zugrunde liegen. „Unser Augenmerk muss jetzt auf der Bundesliga liegen“, mahnte der Torhüter, in Freiburg stehen die Europapokalhelden gehörig unter Druck, endlich den ersten Auswärtssieg einzuspielen.
Wie schwer diese Umstellung dem BVB in diesem Jahr fällt, war den Ausführungen von Mario Götze zu entnehmen: „Natürlich ist die Champions League ein bisschen reizvoller als die Bundesliga und der DFB-Pokal“, sagte der Offensivspieler. Genau das ist den Leistungen der Dortmunder derzeit irgendwie anzusehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“