Champions League-Endspiel: Blut, Schweiß und Tränen
Der FC Chelsea drückt die spielerisch überlegene Elf von Manchester United regelrecht an die Wand und verliert dennoch das Endspiel der Champions League.
Um halb zwei Uhr morgens, nach dem zweieinhalbstündigen Zusammenprall zweier unbesiegbarer Mannschaften tausende von Kilometer von der Heimat entfernt, war es vollbracht: Der englische Fußball war in der metallisch schimmernden Keksdose des Lushniki-Stadions ganz in seinem Element. Tonnen von Wasser, dem Stoff, aus dem Blut, Schweiß und Tränen gemacht sind, spülten unbändige Gefühle frei.
Aus reiner Willkür richtete sich der Temperaturregler dabei nach der Farbenlehre des Wasserhahns: Manchester Uniteds rote Champions erlebten ein wohliges Glücksbad, Chelseas Blues standen in der eiskalten Duschkabine der Enttäuschung und fanden den Ausgang nicht. Michael Ballack saß weinend am Mittelkreis. Der 31-Jährige hatte in seinem zweiten Champions-League-Finale beinahe das Spiel seines Lebens gemacht. Nach einem schwachen Auftakt und Cristiano Ronaldos Führungstreffer (26.) trieb er die Londoner nach vorne. Frank Lampards Ausgleich fiel glücklich (45.), danach war alles anders: Mit purer Wucht drückte man das am Ball bessere United nach der Pause zurück. Die Blauen rannten kollektiv fünf Kilometer mehr als der Gegner und eroberten sich auch die Chancenhoheit: Didier Drogba setzte einen Schlenzer an den Pfosten, bevor Ballack in der Verlängerung famos auf Frank Lampard ablegte und dieser famos die Latte traf.
Chelseas physische Überlegenheit schien diesem exzellenten Finale eine Entscheidung aufzuzwingen. Das Spiel aber wollte nicht. Es schickte lieber böswillig John Terry als Chelseas fünften Schützen zum Elfmeterpunkt. Ronaldo war zuvor mit nicht ganz untypischer Gockelhaftigkeit an Petr Cech gescheitert, Kapitän Terry musste nur noch verwandeln, um den Pokal in den Händen zu halten. "Ich sah, wie (United-Torwart) Edwin van der Sar schon in der anderen Ecke liegt und der Ball ins Tor fliegt", erinnerte sich Cech später an die Szene, "aber der Ball flog nicht rein" - sondern knapp vorbei. Terrys Standbein war auf dem auf Geheiß der UEFA frisch gelegten Rasen weggerutscht. Kurz darauf verschoss auch noch Chelseas französischer Stürmer Nicolas Anelka, dessen Scheitern man schon lange vor dem völlig mutlosen Schuss in seinen tiefen Stirnfurchen hatte ablesen können.
Dann war es vorbei. Ballack, der den ersten Elfer sicher verwandelt hatte, war emotional so geschröpft, dass sich die Dopingprobe endlos hinzog. Und eine Million Regentropfen konnten Terrys Trauer nicht wegwaschen. "Er hat überhaupt nicht mehr aufgehört, in der Kabine zu weinen", sagte Verteidiger Ricardo Carvalho. Terry mogelte sich mit blutunterlaufenen Augen in die Stille des Mannschaftsbusses, Lampard musste für ihn die Welt erklären. "Man sieht, wie er leidet", sagte der 29-Jährige, "JT ist Mr. Chelsea, und er wollte den Sieg mehr als jeder andere." Die Rolle des Schurken musste also ein anderer besetzen, ein anderer namens: Drogba. Der Ivorer hatte sich von seinem Bewacher Nemanja Vidic zu einer kleinen Watsche hinreißen lassen und war dafür wenige Minuten vor Abpfiff der Verlängerung vom Platz geflogen. Er war als fünfter Schütze vorgesehen gewesen. Terry war nur der Lückenbüßer. "Ein Elfmeter entscheidet zwischen Freude und Unglück", so der deprimierte Chelsea-Trainer Avram Grant. Er wird es wohl kaum noch mal in ein Endspiel schaffen.
Wenige Spieler dieser von gewaltigen Zersetzungskräften erfassten Elf fanden Worte. Das Bewusstsein genug getan zu haben, um als verdienter Sieger vom Platz zu gehen, kann im normalen Ligaalltag ein wertvoller Trost sein; in einem Endspiel aber fühlt man sich in dieser Situation vom Schicksal verraten. Nur der Sieger kann das, was alle immer möchten, wirklich tun: nach vorne schauen. "Morgen denke ich schon wieder an die nächste Saison", sagte United-Trainer Alex Ferguson beglückt. "Alles löst sich so schnell auf - diese Droge, dieser finale Moment, die Parade (von van der Sar). Es verschwindet".
Selbst die Gewinner brauchten in dieser launischen Nacht gute Argumente. "Wir haben sie am Anfang an die Wand gespielt und hätten 3:0 führen können", sagte Rio Ferdinand, "später wurden wir vielleicht dafür belohnt".
Wenn sich Glück oder Pech oft genug wiederholen, kann man im Zufall ein Muster erkennen: Ferguson ist jetzt endgültig als Trainerlegende etabliert, Grant muss dagegen als titelloser Unglücksrabe zum Rapport bei Chelsea-Eigentümer Abramowitsch. Alles wegen Terrys Standbein. So schön und so schrecklich ist er, der Fußball.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!