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Cetniks gegen den „Ustaschastaat“

■ In Serbien rüsten die rechtsradikalen Anhänger des Soziologieprofessors Seselj ideologisch auf, um gegen Kroatien zu kämpfen/ Kroatisches Fernsehen berichtet über Greueltaten der Gruppe

Aus Belgrad Roland Hofwiler

„Das in Kroatien verflossene serbische Blut kann nicht ungesühnt bleiben“, spricht der Führer der serbischen Rechtsaußen, Vojislav Seselj. Seine Rede flimmert am Wochenende kommentarlos über das serbische Staatsfernsehen. Die Fernsehkamera zeigt „eine friedliche Demonstration“ gegen „die Verbrechen der Ustascha-Kroaten an der wehrlosen serbischen Minderheit“ Kroatiens. So der Reporter, der die Seselj-Anhänger ausführlich zu Wort kommen läßt. Neben altserbischen und königlichen Fahnen sieht man Bilder mittelalterlicher Serbenfürsten und Feldherren, hört man auch Schlachtrufe der etwa 3.000 Demonstranten. „Sprengt das Tito- Mausoleum — Tito der größe Serbenhasser aller Zeiten“ oder, auf heute bezogen, „Tod dem Kroatenführer Franjo Tudjman“ und im Chor immer wieder: „Gebt uns Waffen, Tod der Ustascha!“

„Wir waren noch nie so mächtig wie heute“, sagt Ivan, „schreib das ruhig auf — ansonsten paß auf, wer nicht schweigt, der büßt!“ Die Spielregeln unter den Cetniks, den neuen serbischen extremen Nationalisten, die sich den Namen der rechtsradikalen und monarchistischen, vor allem im II. Weltkrieg aktiven serbischen Terror- bzw. Widerstandsorganisation gegeben haben, sind kompromißlos. Ivan war nicht immer so. Vor Jahren, als der weit über die Grenzen Jugoslawiens hinaus bekannte Soziologieprofessor Vojislav Seselj zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, weil er in einer noch vom Marxismus inspirierten Broschüre unter dem Lenin-Titel Was tun den Tito-Sozialismus mit dem Stalinismus Osteuropas verglich, da war Ivan eine „heimliche Anlaufadresse“. Er verteilte Seseljs Schriften. Aber über alte Zeiten möchte „Genosse“ Ivan, wie er sich einst gerne anreden ließ, nicht mehr reden. Heute ist er ein „Vojvod“, zu deutsch: ein „Feldherr“, ein „Führer“. Was aus der alten Zeit blieb: Er arbeitet immer noch im Untergrund.

War einst die Wohnung vollgestopft mit Büchern marxistischer und anarchistischer Klassiker, Broschüren osteuropäischer Dissidenten und Emigranten, so besinnt er sich nun „auf die ewige Werte seines Volkes“. In Ivans Weltbild ist die „Kroatische demokratische Gemeinschaft“, die Partei des kroatischen Präsidenten Tudjman, direkte Nachfolgerin des von Hitlers Gnaden ausgerufenen Ustascha-Staats während des Zweiten Weltkriegs. Tudjman wolle ein neues „Groß-Ustascha- Kroatien“ errichten, das nur ein Ziel habe: die serbische Bevölkerung zu terrorisieren. Und er zitiert zum Beweis den (verbürgten) Ausspruch Tudjmans zu Beginn seiner Amtszeit: „Ich bin froh, daß meine Frau nicht Serbin oder Jüdin ist.“

Für die „Radikale serbische Partei“ des Vojislav Seselj wird dieser Ausspruch zu Beweis genommen, die Kroaten seien immer noch blutrünstige Ustascha-Faschisten wie die damaligen, die Hunderttausende Serben, Roma und Juden ermordeten. Drückt sich der legale Flügel der „Radikalen serbischen Partei“ um eine direkte Stellungnahme zu den Schießereien von Borovo-selo am Donnerstag, bei denen mindestens 16 Personen ihr Leben ließen, herum, so werden Ivan und seine „Truppe“, deutlicher. Sie geben an, Gesinnungsgenossen „liquidierten“ Mitglieder der heimlichen Armee des Franjo Tudjman in Borovo-selo. „Wir kämpfen nur gegen die Tudjman-Leibgarde, seine illegale Armee, die von Ungarn mit Waffen beliefert wird, nicht gegen Zivilisten.“

Das kroatische Fernsehen meldet, weitere Tote seien zu beklagen. Einer unweit von Borovo-selo im Dorf Sedine, weitere Schwerverletzte bei nächtlichen Schießereien in Benkovac und Dvor na Uni. Wie das serbische Fernsehen ist auch das kroatische parteilich. Stets hätten Seselj- Banden das Feuer auf kroatische Streifen eröffnet. Aber nicht nur dies: In einer Sendung wird behauptet, die Seselj-Banden schnitten den gefangengenommenen kroatischen Polizisten die Köpfe und die Hoden ab. Bilder sind dazu nicht zu sehen, aber Augenzeugen kommen ausführlich zu Wort. Im Dorf Nustra sollen immer mehr Terrorbanden der „Radikalen serbischen Partei“ einsickern, erzählt einer und befürchtet, daß sie bald wieder bestialisch zuschlagen werden. „Hinterrücks“, man fessele kroatische Polizisten, erdrossele sie oder ließe sie wie in Horrorfilmen langsam verbluten.

Für Ivan ist dies alles Propaganda. „Die Welt, Europa, steht auf unserer Seite!“ Die Resolutionen der EG gegen den Zerfall Jugoslawien sind Wasser auf die Mühlen der serbischen Extremisten.

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