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Cem Özdemir will Grünen-Chef werden"Ich bin Grüngrüner"

Er scheue eine Kampfkandidatur gegen Künasts Favorit Volker Ratzmann nicht. Und im EU-Parlament habe er gelernt, dass nicht immer nur die eigenen Leute Recht haben. sagt Cem Özdemir

Ich habe erklärt, dass ich kandidiere. Volker will sich offenbar erst noch beraten und dann entscheiden. Bild: ap

taz: Herr Özdemir, im März sagten Sie auf die Frage, ob Sie Grünen-Parteichef werden wollten: "Ich kenne meine Schwächen. Das Führen einer Partei trau ich mir nicht zu." Was hat sich seither geändert?

CEM ÖZDEMIR, 42, seit 2004 Abgeordneter im Europaparlament, strebt nun nicht nur den Parteivorsitz an - sondern plant auch ein Comeback als baden-württembergischer Bundestagsabgeordneter. Der gelernte Sozialpädagoge, geboren im schwäbischen Urach, kam 1994 als erster Abgeordneter türkischer Herkunft in den Bundestag. 2002 trat er zurück, nachdem er vom zwielichtigen Waffenlobbyisten Moritz Hunzinger einen Privatkredit über 60.000 DM angenommen und Bonusmeilen privat verflogen hatte. Für seine Kandidatur erhielt er bereits öffentlichen Zuspruch etwa vom Bremer Umweltsenator Reinhard Loske.

BUNDESVORSITZENDE

Der Bundesvorstand vertritt die Partei nach innen und außen und führt deren Geschäfte auf Grundlage der Beschlüsse der Parteiorgane. Die Doppelspitze des Bundesvorstandes wird mit einem Mann (derzeit Reinhard Bütikofer) und einer Frau (Claudia Roth) besetzt. Die Spitze wird von "Realos" und "Linken" geteilt. Der Bundesparteitag wählt im November die neue Führung. Die Linke Claudia Roth gilt als gesetzt. Mitglieder des Vorstandes dürfen nicht Fraktionsvorsitzende sein, aber dem Bundestag angehören. Bei einem Gehalt von 7.000 Euro und der nervenaufreibenden Gremienarbeit wirkte der Job auf bisherige Anwärter wie ein "Sibirisches Straflager" (FAZ). Seit der Rücktrittsankündigung des amtierenden Kovorsitzenden Reinhard Bütikofer Anfang März haben verschiedene Nachwuchspolitiker des Realoflügels ein Angebot abgelehnt. Nachdem Cem Özdemir den Posten nach seiner ersten Absage doch anstrebt, sagte Bütikofer, "dass der Job nicht so uninteressant" sein könne.

Cem Özdemir: Ich freue mich über die Unterstützung aus der Partei für meine Person. Es gibt bei uns eine ganze Reihe jüngerer Grünen-Politiker mit der Bereitschaft, im Team etwas zu bewegen. Ich will meinen Beitrag leisten, damit die Grünen bei den Wahlen 2009 mit Renate Künast und Jürgen Trittin an der Spitze erfolgreich sind.

Das "Team" sind die Realos, die Sie bearbeitet haben, zu kandidieren - die Sächsin Antje Hermenau oder Tarek Al-Wazir aus Hessen. Besetzen Sie den Bundesvorstand gleich mit?

Claudia Roth genießt mit gutem Grund flügelübergreifend höchste Akzeptanz und ich schätze sie sehr. Im Übrigen geht es nicht darum, dass die Reformer den Bundesvorstand besetzen, sondern ihre Ideen einbringen und wir flügelübergreifend grüne Politik weiterentwickeln. Wer anderes im Sinne hat, ist bei mir an der falschen Adresse.

Jürgen Trittin ist der Spitzenkandidat des linken Flügels. Renate Künast allerdings hätte gern Volker Ratzmann als Parteichef. Stehen da neue Führungsquerelen ins Haus?

Ich habe erklärt, dass ich kandidiere. Volker will sich offenbar erst noch beraten und dann entscheiden. Ich schätze ihn, und er wäre ein mehr als respektabler Kandidat. Ich sehe in einer potenziellen Kandidatur von zwei Bewerbern keine Querelen, sondern einen ganz normalen innerparteilichen Vorgang.

Bei einer Kampfabstimmung wird der Realo-Flügel gespalten sein - womit also der linke Flügel über den Realo-Kandidaten entscheiden darf. Stimmts?

Ach, bis dahin wird noch so viel Wasser den Neckar herunterfließen und es wird noch viele Gespräche geben. Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einer guten Lösung kommen.

Ihre Themen ähneln denen der Ko-Parteichefin in spe Claudia Roth sehr: Inneres, Bürgerrechte, Integration. Wer macht jetzt Soziales und Umwelt?

Ich möchte daran erinnern, dass ich über die Ökologie zu den Grünen gekommen bin. Ich bin in Brüssel außenpolitischer Sprecher meiner Fraktion, habe im CIA-Sonderausschuss gearbeitet. Dass ich als Integrationspolitiker bekannt bin, liegt auch an den Medien. Die Wahrnehmung von mir läuft zwar über dieses nicht gerade unwichtige Thema. Doch ein Schwerpunkt wird aber mindestens genauso sein, wie wir Grüne soziale Gerechtigkeit in Zeiten der Globalisierung und des Klimawandels definieren.

Was haben Sie nach Ihrem Abgang aus der Bundespolitik 2002 in Brüssel gelernt, das Sie zurück nach Berlin bringen?

Im EU-Parlament hat man es nicht etwa bloß mit einem Fünfparteiensystem zu tun. Sondern man muss mit zum Teil täglich wechselnden Mehrheiten umgehen. An einem Tag erstelle ich mit einer linken Mehrheit den Bericht über die geheimen CIA-Flüge, am nächsten verabschiede ich mit den Konservativen eine Kuba-Resolution. Man lernt in Brüssel, dass nicht immer die Eigenen nur recht haben. Man lernt aber auch, zu verhandeln, zu integrieren und Kompromisse zu finden.

Union und FDP werden bis zur Bundestagswahl 2009 versuchen, die Grünen für eine Jamaika-Koalition einzukaufen. Geben Sie ihnen eine Chance?

Es ist ja nicht das Schlechteste, dass unsere Attraktivität zugenommen hat und Grüne Gehör finden. Wenn ich mir eine Wunschkoalition basteln könnte, wären darin der NRW-Integrationsminister Armin Laschet von der CDU, die Bürgerrechtler von der FDP Max Stadler und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ebenso wie Petra Pau von den Linken. Doch es ist kein Wunschkonzert. Wir werden auf der Grundlage unserer Projekte 2009 eine Wahlaussage treffen. Aber eine Koalition mit der Roland-Koch-CDU wird es nicht geben.

Und mit der Merkel-CDU?

In der neuen, sich gar so modern gebenden Union steckt die alte Union - sie will die Herdprämie, sie stellt die Haushaltskonsolidierung infrage, sie steht auf der Klimabremse. Ich bin kein Schwarzgrüner und kein Rotgrüner, ich bin Grüngrüner.

INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN

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