■ Cash & Crash: Hasen und Igel
Berlin (taz) – Die High-Tech- Firmen an der New Yorker Börse gaben Ende letzter Woche jeweils Rekordgewinne bekannt. Trotzdem stürzten ihre Aktienkurse förmlich ab. Nachdem der durchschnittliche Kurs der Computerkonzerne in den letzen zwölf Monaten um 80 Prozent gestiegen war, verlor Microsoft an einem Tag 18 Prozent an Wert, der Chiphersteller Intel sogar noch etwas mehr.
Microsoft-Hauptaktionär Bill Gates wurde durch den Absacker auf einen Schlag mehr als zwei Milliarden Dollar ärmer. Nach eigener Aussage fühlt er sich jedoch „nicht schlecht dabei“, schließlich sind seine Aktien immer noch über zehn Milliarden Dollar wert.
Doch für kleinere Anleger beginnt ein Rätselraten, das über ihr Erspartes entscheidet: Hat der Aktienindex nur einen Schluckauf, oder ist es der Anfang vom Ende der aufgeblähten Kurs-Hausse? Schließlich waren vor dem Sturz die High- Tech-Aktien im Verhältnis zur gebotenen Dividende übermäßig teuer: Die Ratio von Aktienpreis zu Dividende lag im Fall von Microsoft bei 39, für Intel immerhin bei 20 – klar über dem Durchschnitt von gut 15 für die börsennotierten Unternehmen. Gerätselt wird auch über die Zinsentwicklung: Ab welchem Punkt schichten bei steigenden Zinsen oder sinkenden Börsenkursen die großen US-Fonds ihre angelegten Milliarden von Aktien auf Staatspapiere um?
So sinnt der kleine Börsen- Spekulant vor sich hin, und die Gurus versuchen, die Trends zu erfassen – im Fall der Computerindustrie zum Beispiel, wann die Krösusse der Personal Computer vielleicht an Macht verlieren. Denn nur scheinbar unaufhaltsam aufsteigende Industriezweige hat gerade der amerikanische Markt schon einige gesehen. So kletterten im 19. Jahrhundert Gewinne und Kurse der Eisenbahngesellschaften kometenhaft, bis die Autoindustrie langsam, aber sicher die Kundschaft abspenstig machte.
Und als Xerox in den sechziger Jahren den Fotokopierer erfand, brachen die Anleger in Ekstase aus: Niemand kann den Durchmarsch von Xerox in alle Büros der Welt noch stoppen, dachten viele. Mit japanischen Konzernen hatte niemand gerechnet. Als Xerox Anfang der Siebziger richtig Geld aus seiner Erfindung schlagen wollte, sanken die Preise für Bürogeräte durch die Billig-Konkurrenz von der anderen Seite des Pazifiks, die Xerox-Aktien schwächelten und erreichten nie wieder ihr Hoch von 1973.
Die großen Auguren sehen noch keine Technik, die für eine neue Revolution im High-Tech- Bereich sorgen könnte. Also gilt es, neue Perlen, wie derzeit die neu an die Börse gehenden Internet-Firmen, frühzeitig zu erkennen. Kein Trost allerdings für kleine Anleger. Wie beim Märchen von Hase und Igel kommen sie immer zu spät. Nach Ansicht der Financial Times droht vor allem dann Gefahr an der Börse, wenn die breite Öffentlichkeit meint, daß man durch Aktienkauf automatisch am meisten Geld gewinnt. Dann fällt der Kurs bestimmt. Reiner Metzger
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