■ Cash & Crash: Kauft französisch!
Berlin (taz) – Wähler sorgen häufiger mal für Sonderangebote auf dem Aktienmarkt. Wenn nämlich der gemeine Kapitalist der Auffassung ist, daß das Volk alles durcheinanderbringt, bekommt er Angst um seine Anlagen und verkauft. Das ist gestern in Frankreich als Reaktion auf den Sieg der Linken im ersten Wahldurchgang geschehen. Der Wert der Anteilsscheine an der Pariser Börse ist um knapp vier Prozent gefallen, der schlimmste Kurssturz seit vier Jahren. Verloren haben vor allem die Rüstungskonzerne. Zwar haben die Finanzmärkte erleichtert auf den Rücktritt des verhaßten Premiers Alain Juppé reagiert, weil sie nur dadurch den Konservativen noch eine Gewinnchance einräumen. Dennoch erwarteten sämtliche Analysten ein weiteres Absacken der Kurse.
Clevere Kapitalisten wiederum freuen sich diebisch, weil der Wahlsieg der Linken den billigen Einkauf von Aktien erfolgversprechender Unternehmen verheißt. Die Firmen haben sich nicht verändert, nur der Preis. Mutige Anleger könnten gar auf einen Sieg der Linken im zweiten Wahlgang setzen. Dann wären noch mehr französische Firmen im Sonderangebot zu haben. Auch gestern waren Frankreichs börsennotierte Unternehmen nämlich noch teurer als Anfang Mai. Damals rief Chirac zu den Wahlurnen.
Die Sorge, daß eine solche linke Regierung die Kapitalverwertung in wesentlichen Teilen beschneiden würde, beschleicht weder die cleveren noch die mutigen Kapitalisten. In Sachen Haushaltsdisziplin und Geldwertstabilität wollen die Sozialisten beispielsweise keine wesentlich laxeren Maßstäbe anlegen als die jetzige konservative Regierung. In den sozialen Auseinandersetzungen mit Gewerkschaften und Armen darf man bei einer linken Regierung ein besseres Händchen vermuten, also weniger Streiks und weniger Aufruhr.
Schließlich könnte eine solche linke Regierung für einen Aufbruch in der französischen Gesellschaft stehen. Die europäischen Musterschüler in Sachen ökonomischer Erfolg und Haushaltsdiziplin sind die traditionell linken skandinavischen Regierungen. Die Niederlande machen Furore mit einem sozialdemokratischen Premier, und Wähler und Wirtschaft in Großbritannien halten Labour für die besseren Modernisierer.
Aus alledem schließt der clevere Kapitalist: Kaufen sie französische Aktien jetzt, sie können nichts falsch machen. Der gemeine Kapitalist dagegen kaufte gestern Disney-Aktien. Märchen gehen immer. ten
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