Caroline Links Film "Im Winter ein Jahr": Tod auf der Leinwand
Aufräumen in der Familiengeschichte, bis alle Spannungen sortiert und aufgehoben sind: Das will Caroline Links neuer Film, die Romanadaption "Im Winter ein Jahr".
Der Sohn tanzt im Schnee. Einen MP-3-Kopfhörer hat er im Ohr und eine selig weggetretene Miene im Gesicht. Um ihn herum tanzen weiße Flocken und eine grundlos aufgekratzte Mutter in einer wattigen Daunenjacke, die ihr 19-jähriges Kind mit einer Kamera wie in einem eigenen Sonnensystem umkreist. Ganz so, als bedürfe jede seiner Regungen und jede seiner Bewegungen einer Mitteilung an den Rest der Welt. Als ließe sich jeder dieser heiligen Momente auf diese Weise für die Ewigkeit einfrieren.
Schnee, weiße flackernde Punkte, so sieht das leere Rauschen des Todes aus. Im Kino, in den Geisterbildern, die man am unbespielten Ende einer Videokassette sehen kann, oder im Fernsehen, das keine Bildsignale mehr empfängt. Der tanzende Junge, ein Vorzeigeschüler und Spitzensportler, ist längst tot. Ein Jagdunfall, so heißt es in der für die Öffentlichkeit autorisierten Fassung der Eltern, die bestens in der Münchner Elite situiert sind. Der Vater ist ein international beachteter Bioniker (Hanns Zischler), die Mutter eine erfolgreiche Innenarchitektin. Ein familiärer Koller - das träfe die Todesursache wohl besser.
Ein Jahr nach dem Tod gibt die Mutter Eliane (Corinna Harfouch) einem Maler den Auftrag, den verstorbenen Sohn neben die lebende Tochter Lilli (Karoline Herfurth), die mit ihrer Ballettbegabung das bourgeoise Klischee komplettiert, auf die Leinwand zu pinseln. Dafür muss die mal kratzbürstig, mal mit Frivolitäten experimentierende Lilli Josef Bierbichler regelmäßig Modell sitzen.
Eine Beziehung zwischen Bild-Objekt und dem Auge des Betrachters beginnt, die schnell patronale und geradezu therapeutische Züge annimmt. Schließlich heißt sehen für einen Maler, wie ihn Bierbichler verkörpert, verwandeln, das Innere nach Außen stülpen. Und für eine junge Frau, die zwischen trotzigem Nymphchentum und lähmenden Schuldgefühlen hin und hergerissen bleibt, ist nichts so wichtig wie der schützende Schein.
Eine Konstellation, die natürlich schnell an Jacques Rivettes "Die schöne Querulantin" erinnert, in dem Michel Piccoli als Künstler das Absolute sucht, das Nichts findet und Emanuelle Béart ihm Modell dafür steht. Doch Rivette zeigt uns genau das, worauf wir so lange warten, gerade nicht. Nämlich das Bild, an dem Piccoli den ganzen Film über arbeitet. Bei "Im Winter ein Jahr" sieht man Karoline Herfurths Gesicht in Schwarz-Weiß, in Öl oder Acryl. Schön, sinnlich, schon kitschig in seiner konkreten Traurigkeit.
Caroline Links "Im Winter ein Jahr" adaptiert den Roman "Aftermath" von Scott Campbell fürs Kino. Es geht um Geister, Phantasmen, Idealisierungen. Und das könnte eine wunderbare Spukgeschichte ergeben, in der die Abwesenheit des einen die Anwesenheit des anderen mit Störgeräuschen und Fehlschaltungen irritiert, in der schemenhaft bleibende Gestalten an den Konturen noch Lebender rütteln, bis sich das Wesen des einen durch den Tod des anderen erklärt. Doch Links jüngster Film, der erste nach ihrem Oscar für "Nirgendwo in Afrika" (2001), will Klarheit und Konkretes, fotografische Bilder in Ölfarben und keine Rätsel. Er will aufräumen in der eigenen Geschichte, bis alle Spannungen sortiert, schließlich aufgehoben sind. Und man kann förmlich zusehen, wie mühsam ein bisschen Magie in den Bildern entsteht, wie die Schauspieler in durchgestylten Settings um sie ringen. Und wie sie viel zu schnell wieder verschwindet.
BIRGIT GLOMBITZA
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