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Archiv-Artikel

Carla del Ponte unter wachsendem Druck

Seit gestern verhandelt das UN-Tribunal in Den Haag gegen sieben hohe serbisch-bosnische Offiziere wegen des Massakersvon Srebrenica. Doch die Hauptverantwortlichen, General Ratko Mladić und Radovan Karadžić, sind weiterhin flüchtig

AUS SPLIT ERICH RATHFELDER

Natürlich ist der gestrige Prozessauftakt gegen sieben serbische Offiziere nicht zufällig terminiert gewesen. Die Chefanklägerin des UN-Tribunals in Den Haag, Carla del Ponte, wollte drei Tage nach den jährlichen Gedenkfeiern für die 1995 über 8.000 ermordeten Bewohner von Srebrenica ein Zeichen für die Überlebenden des Massakers setzen. Del Ponte ist unter Druck. Sie muss endlich Erfolge vorweisen. Nachdem der serbische Expräsident Slobodan Milošević im März im Gefängnis des Tribunals tot aufgefunden wurde, ist ihr Ansehen ramponiert. So fürchteten Opferverbände schon einen Stillstand der Prozesse gegen die Verantwortlichen. Mit Vujadin Popović, Ljubisa Beara, Drago Nikolić, Ljubomir Borovcanin, Vinko Pandurević, Rodovoje Miletić und Milan Gvero stehen jetzt die engsten Mitarbeiter des damaligen Oberkommandierenden der serbisch-bosnischen Armee, Ratko Mladić, vor Gericht.

Sie haben laut Anklage Völkermord begangen, sich an ethnischen Vertreibungen beteiligt und wie im Fall Miletić und Gvero an der Verwischung von Spuren des Massenmordes. Sie sollen später viele in Massengräbern verscharrte Leichen an andere Orte gebracht haben.

Nach wie vor nagt an del Ponte die Frage, warum die beiden flüchtigen Hauptverantwortlichen, Ratko Mladić und sein politischer Führer Radovan Karadžić, noch immer nicht gefasst sind. Die Zeit drängt, denn bis 2008 sollen nach bisheriger Planung die letzten Prozesse in Den Haag abgewickelt sein. Sollten die beiden nicht geschnappt werden, bliebe trotz aller Prozesse ein Schatten auf dem UN-Gericht. So bemüht sich die Chefanklägerin seit Jahren, internationale Institutionen wie die Nato zu überzeugen, alles zu unternehmen, um die beiden zu verhaften.

Doch nichts Effektives geschah. Mladić ist wahrscheinlich in Serbien und Karadžić vermutlich in Montenegro untergetaucht. Die Nato darf lediglich in Bosnien operieren. Immerhin gelang es ihr, die EU zu überzeugen, Druck auf Serbiens Führung auszuüben. Seit 2004 gilt das Junktim: Sollte Mladić nicht ausgeliefert werden, müssen die Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen Serbiens mit der EU auf Eis gelegt werden.

Vor wenigen Tagen legte die serbische Regierung immerhin einen Aktionsplan zur Ergreifung Mladić’ vor. Doch Diplomaten bezweifeln, ob sie sich durchsetzen kann. Die Mehrheit der serbischen Bevölkerung steht hinter den Radikalen, die Koalition ist in dieser Frage gespalten und einige Politiker werden eingeschüchtert. Denn das Netzwerk der Gesuchten funktioniert und will ihre Auslieferung auf jeden Fall verhindern.

Jüngst drohte eine so genannte Strafexpedition, bis zum 1. November unbequeme Journalisten und Politiker zu liquidieren. Darunter sind der serbische Außenminister Vuk Drasković, der Premierminister der serbischen Teilrepublik in Bosnien, Milorad Dodik, der Chefredakteur des in Sarajevo erscheinenden Wochenmagazins Senad Avdić, der Inhaber und Chefredakteur der serbisch-bosnischen Zeitung Nazavisne Novine, Jeljko Kopanja. Wie real die Bedrohung ist, zeigt der Umstand, dass ein Zeuge im Prozess gegen die Mörder des damaligen serbischen Premiers Zoran Djindjić nach Ankündigung dieser Gruppe kürzlich ermordet wurde.

Del Ponte bat vor wenigen Tagen UN-Gerenalsekretär Kofi Annan um die Erlaubnis, eigene „Greifteams“ nach Serbien zu senden, um die Gesuchten selbst festnehmen zu lassen. Annan sagte jedoch, die UNO könne das gegen den Willen der beteiligten Regierungen nicht machen.