Care-Paket zulasten der Empfängerin

■ betr.: „Feministische Sicht der Umverteilung“, taz vom 12.11. 96

Aus Frau Jungs Frohlockungen schlußfolgere ich, daß all die kreativ-befreienden Eigenschaften wie Liebesfähigkeit, Selbstlosigkeit, Rezeptivität usw. ein zauberkräftiges Kleinod sind, dessen heilende Kräfte nur entdeckt und genutzt werden müssen. Und wo bleibt das Weib nach der opferbereiten Veräußerung seiner weiblichen Eigenschaften?

Da, wo es hingehört, in der Schublade mit der Aufschrift „das andere“. Dortselbst rückt es in die hintere Ecke und ab von den Zielen, die Autonomie und Unabhängigkeit hießen. Selbige sind in den Zeiten der Krise und der Political Correctness als persönlicher Luxus resp. Isolationismus verachtenswert.

Und während das weibliche Wesen dort wertgesteigert vegetiert – immerhin bekommt es Kompetenz und Verantwortung zur Weltverbesserung zugesprochen –, hüpft die Männlichkeit weiterhin fröhlich durch die Geschichte. Hie und da verziert mit einem femininen Stäubchen. Leicht löslich und abwaschbar, subtrahiert von den Voraussetzungen, unter denen es entstanden ist.

All diese gemeinhin weiblichen Eigenschaften sind keine Werte an sich, keine beziehungsunabhängigen geschichtslosen Konstanten. Zuhörenkönnen oder die Bereitschaft, die Bedürfnisse anderer zu sehen, sind Eigenschaften, die nicht von den Bedingungen abgetrennt gesehen werden können, unter denen frau sie erwirbt.

Nur als Abstrakta sind diese nicht verletzenden Werte zauberhaft und heilkräftig. Konkret ist jedoch zu fragen, wem dienen sie, und wem gegenüber kehren sie sich in ihr Gegenteil. Zuhörenkönnen ist immer auch ein Nichtpräsentieren der eigenen Sicht resp. der Verlust derselben. Dieses frauenmoralische Care-Paket sichert ganz konkret eine soziale Scheinharmonie und nützt und schützt diese, unsere Männergesellschaft.

Was nützt frau das abstrakte nicht verletzende Wesen, wenn sie sich in der Praxis des Verhaltens genau mit diesem hehren Abstraktum verletzt? Sabine Voigtlaender,

Regensburg