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CannesCannesRückkehr des Alltags

■ Stehende Bilder, deutsche Probleme und eine hinreißend schöne Isabelle Huppert

Ganz am Anfang von Angela Schanelecs Film „Plätze in Städten“ sagt ein Verehrer Mimmis: „Manchmal ist es gut, ein Idiot zu sein.“ Tatsächlich: Wer in Cannes seine eigene Idiotie nicht fürchtete, hatte den besten Teil des Festivals für sich. Dazu gehörte auch Angela Schanelecs Film in der Reihe „Un certain regard“, der von der Berliner Abiturientin Mimmi handelt, die auf einer Klassenfahrt nach Paris einen Mann kennenlernt, von dem sie nach einer gemeinsamen Nacht schwanger wird. Blöderweise scheint Schanelec manchmal zu vergessen, ihren Film weiterzudrehen – und die Bilder stehen und stehen. Aber anders ist die Schönheit ihres Films und seine Logik nicht zu haben. Leider. Seine Schönheit – in Bildern von großer Eleganz und Vollendung – wird schließlich zur Zumutung an den Zuschauer, denn auf die Dauer untergräbt Schanelecs unerbittlicher Stilwille das Interesse an ihrem Film.

Dennoch, dieser (neben Mirjam Kubeschas im Rahmen der Cinéfondation achtbarem Beitrag „Inside the Boxes“) einzige deutsche Beitrag im offiziellen Programm der 51. Filmfestspiele in Cannes zeigte möglicherweise ein ganz großes Regietalent. Er zeigte aber auch ein Problem des Autorenfilms, und er zeigte ein deutsches Problem. Von dem dürfen auch deutsche Regisseure und Produzenten sprechen, wenn Variety ein „amerikanisches Problem“ beklagt, genauer eine Einladungspolitik, bei der die besten amerikanischen Filme – genannt werden Warren Beattys „Bulworth“ und Robert Redfords „Horsewisperer“ – draußen bleiben, während schwache oder schlechte Filme – Hal Hartleys „Henry Fool“ und Paul Austers „Lulu on the Bridge“ – dabei sind.

In der Tat erscheint die Auswahl rätselhaft. Keine noch so schreckliche deutsche Komödie kann schlechter sein als Roland Joffes Lifestyle-Thriller „Goodbye Lover“, der außer Konkurrenz im offiziellen Programm lief. Aber 1986 wurde Joffe für „The Mission“ mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, und damit ist sein Ticket offenbar für immer gebucht. In Cannes, so scheint es, zählen Beziehungen und Verbindungen mehr als Überzeugungen. Das heißt, zwei Überzeugungen sind ohne weiteres auszumachen: Der Glaube an den französischen Film und die französische Film(co)produktion sowie der Glaube an den tiefsinnigen Autorenfilm.

Nun ist es aber gerade der leichtsinnige Autorenfilm der Dänen Thomas Vinterberg und Lars von Trier, der am meisten auffiel. Vinterberg und Trier provozieren mit dem Paradoxon, Dogmen aufzustellen, um einen Kontrollverlust zu erreichen. Sie verlangen den Abschied vom Künstler und Autorenfilmer, um am Ende vielleicht eine neue Welle unbekümmert subjektiver Filme einzuleiten. Trier ging es nach „Breaking the Waves“ gewiß kaum anders als Tarrantino nach „Pulp Fiction“. Bei den hochgespannten Erwartungen konnte er eigentlich nur verlieren. Doch sein Befreiungsschlag zeigt ihn nicht weniger geistesgegenwärtig als Tarrantino.

Weniger Realzeiteinstellungen, mehr Dreistigkeit und Konsequenz in der Dramaturgie der Inszenierung, wie sie etwa Thomas Vinterberg zeigte, und man wüßte vielleicht schon, ob Angela Schanelec nur einen Stil kann oder wirklich Filme machen. Zuviel Stil wurde Terry Gilliam vorgeworfen, der sich aber keineswegs nur in seinen Spezialeffekten verliert. Die Idee, daß „Fear and Loathing in Las Vegas“ nach Charles Manson sein könnte, was Choderlos de Laclos' „Gefährliche Liebschaften“ vor Robespierre bedeuteten, bleibt durchaus erkennbar. Die idiotischen Kostümfilme jüngster Vergangenheit, auch Todd Haynes „Velvet Goldmine“, werden in Cannes nicht ge-, sondern eher unterschätzt. Wer freilich Ende der 70er Jahre David Bowie im straighten schwarzen Straßenanzug auf der Bühne seine Neuerfindung feiern sah, weiß der Geschichte um Tommy Stone, dem Rockstar, der aus dem Geist des Popmarketings geboren wurde, einiges süffisante Vergnügen abzugewinnen. Daß seine großen Hits wie auch die seines Gegenspielers, Liebhabers und Freundes Iggy Pop fehlen, der als Curt Wild (Ewan McGregor) und Verlierer in Zeiten der Corporate Identity auftaucht, ist zu verschmerzen, die Adaptionen der Filmmusik sind gelungen.

Soll man auf Chéreau wetten, da der ganz großartige Film fehlt? Le film français, Pendant von Variety, hat auf der letzten Seite eine Hitliste der Filmkritiker der wichtigsten hiesigen Medien. Zwar führt Nanni Morettis „Aprile“ mit vier Palmen, aber der sympathische Nicht- Film ist nur vorgeschoben, vor die drei Palmen für „Ceux qui maiment...“ Doch der wirklich urbane, elegante französische Film kam ganz zuletzt. Yukio Mishima schrieb den Roman, dem Benoit Jacquot eine Frau von hier und heute entnahm, die dank ihrem Geld und ihrer Intelligenz in einer idiotischen Liebe nicht untergeht. Hinreißend schön, selbst in Tränen beherrscht, spielt Isabelle Huppert die reife Frau, die einem jungen Stricher auf den Leim geht. Wider Erwarten endet die Beziehung undramatisch. Eine Zufallsbegegnung bei den banalen Geschäften des Alltags setzt den Schlußpunkt. Nach Cannes und seinen Preisen, erschrickt man, ist er ja gleich wieder da. Brigitte Werneburg

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