CannesCannes: Wandgemälde zu Streifenbildern
■ Wie der Kommunist Diego Riviera zum ersten abstrakten Expressionisten wurde
Sie sitzen in einem Film, in dem jemand spazierengeht. Er trifft einen anderen, der zu ihm sagt: „Ah, gehst du spazieren?“ Wenn Sie über knapp drei Stunden ausschließlich Dialoge dieser Art gehört haben, die zu immer stärkerem höhnischem Lachen im Saal führten, dann sind Sie in „L'Humanité“ von Bruno Dumont gewesen.
Der Polizist Pharaon de Winter, der nicht sehr helle Urenkel eines großen Malers gleichen Namens, liebt eine gewisse Domino bedingungslos. So sehr, daß er am Ende vielleicht sogar einen Mord auf sich nimmt, nur damit sie nicht ihren geliebten Joseph verliert, der der wahre Mörder ist. Dies könnte jedenfalls das letzte Bild indizieren, das Pharaon in Handschellen zeigt. Es muß aber nicht sein, denn die meisten Bilder von Dumont stehen für sich allein. Im Film macht einen dieses prätentiöse Bild-für-Bild-Prinzip allerdings auf die Dauer schrecklich blöde.
Sollte man „L'Humanité“ einen hypnotischen Film nennen? Die immer gleichen dumpfen Stilleben, dumpfen Dialoge und dumpfen Mienen der Schauspieler, das ergibt schon so etwas wie einen Fluß. Nur hin und wieder schreckt man durch die zuletzt so beliebten pornographischen Bilder auf. Faustregel: Je mißratener ein Film, desto mehr Geschlechtsorgane sind zu sehen.
Im vollen Mittagslicht zeigt Dumont also in Großaufnahme die blutverschmierte nackte Möse eines kleinen Mädchens. Es ist ein bösartiges Bild. Leider ist es dazu ein dummes, arrogantes Bild, weil es deutlich – im Schnitt auf den toten, geschändeten Körper des Mädchens wird dies vollends klar – auf Marcel Duchamps „Étant données“ referiert. Wem gibt dieser Duchamp mit Himbeersoße einen Kick? Intellektuell, sexuell, finanziell? Doch wer diesen Film in die Kinos bringen will, muß eh, was sein eigenes Geschäft angeht, ein Masochist, was die Zuschauer betrifft aber ein Sadist sein.
Kunstgeschichte auch im folgenden Film. Nelson Rockefeller, der von Mussolinis Abessinienkrieg gleich zweimal profitiert: einmal auf dem industriellen, das andere Mal auf dem kulturellen Sektor – denn nie kam er so leicht und preiswert an die alten und die modernen italienischen Meister heran –, hat mit dem mexikanischen Maler Diego Riviera auch ein kommunistisches Parteimitglied beauftragt, ein Wandgemälde im Rockefeller Center zu schaffen. 1936 ist das politische Klima aber schon im Umschwung: Das Dies Committee gegen unamerikanische Umtriebe hat innerhalb Roosevelts Works Progress Administration seine Untersuchungen aufgenommen. Nun gefällt Rockefeller sein Riviera nicht mehr, und er setzt auf eine für unpolitisch erklärte abstrakte Kunst.
Auch Orson Welles droht der Hysterie zum Opfer zu fallen. Aber als seine Inszenierung von Marc Blitzsteins Polit-Musicals „The Cradle will Rock“ am Tag ihrer Uraufführung von Regierungssoldaten geschlossen wird, führt das Ensemble das Publikum in einem Marsch durch Manhattan zu einem anderen Theater, wo das Stück doch noch zur Aufführung kommt. Dieser wahre Vorfall gibt dem Regisseur Tim Robbins Gelegenheit, das Hohelied des Theaters und der Solidarität zu singen. Es ist ein sehr nostalgischer – und sehr aufwendig und professionell inszenierter – Blick zurück auf ein linkes Kunstleben in New York, das tatsächlich aber just zu diesem Zeitpunkt in Brüche ging. Nicht nur wegen Dies und Rockefeller, sondern eben auch wegen der Kontroverse innerhalb der Linken, wie man sich zu Stalin stellt.
Von dieser Kontroverse erfährt man bei Robbins nichts, was schade ist, weil es ihm in Teilen gelang, aufschlußreiche Personenkonstellationen in ebenso erhellenden Handlungssituationen zu skizzieren. Da könnte „Cradle Will Rock“ auch den Titel von Serge Guilbauts Studie zu den abstract expressionists tragen: „Wie New York die moderne Kunst stahl“. Und wie Rockefeller Diego Riviera zum ersten Abstrakten machte, indem er das Wandgemälde abschlagen ließ, so daß es am Ende wie ein Streifenbild aussieht. Brigitte Werneburg
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