Cannabis-Konsum: "Jugendliche tragen höheres Risiko"
Die Kiffer werden immer jünger, sagt Drogenberater Peter Tossmann. Minderjährige, die noch andere Probleme haben, seien stark suchtgefährdet.
taz: Herr Tossmann, Cannabis hat für die Drogenberatungsstellen lange Zeit keine Rolle gespielt. Wie kommt es zu dem Wandel?
Peter Tossmann: Die Cannabis-Problematik hat sich in den letzten zehn Jahren qualitativ und quantitativ verschärft. In den 70er-Jahren war Cannabis eher ein Phänomen unter Studierenden. Heute wird in allen Bildungsschichten gekifft. Es hat noch nie einen so hohen Anteil von jugendlichen Konsumenten gegeben wie zurzeit. Einige sind erst zehn Jahre alt. Außerdem wird heftiger konsumiert.
Hat sich nicht auch das gesellschaftliche Klima in Bezug auf Cannabis gewandelt?
Absolut. Ich habe 1984 angefangen, als Drogenberater zu arbeiten. Seitdem verfolge ich den gesellschaftlichen Diskurs. Ende der 90er-Jahre herrschte in Bezug auf Cannabis ein besonders liberales Klima. Das haben wir nicht mehr. Inzwischen hat sich durchgesetzt: Cannabiskonsum per se macht nicht unbedingt Probleme. Aber er ist auch nicht so harmlos, wie Ende der Neunziger behauptet wurde, als die komplette Freigabe gefordert wurde.
Was folgern Sie daraus?
Erwachsene, die psychisch einigermaßen gesund sind, werden mit Cannabis keine Probleme haben. Man schätzt, dass das für circa 80 Prozent der Cannabiskonsumenten gilt. Wie bei allen psychoaktiven Substanzen tragen Kinder und Jugendliche aber ein wesentlich höheres Risiko. Nicht umsonst gibt man ihnen schon bei einer Kopfschmerztablette eine andere Dosis als Erwachsenen.
Sind die neuen Programme wie "realise it" oder die INCANT-Studie die richtige Antwort darauf?
Zumindest gibt es keine bessere Idee. Die INCANT-Studie ist das erste Behandlungsprogramm, das es überhaupt für minderjährige, schwerabhängige Konsumenten gibt. Von den 60 Teilnehmern lebt jeder zweite in einer Jugend-WG, weil die Eltern überfordert sind. Auch die Betreuer sind oft überfordert, weil sie auf so viele Probleme reagieren müssen. Das heißt, es gibt einen großen Bedarf an Hilfsangeboten für jugendliche Drogenabhängige. Die klassische Jugend- und Drogenhilfe deckt das nicht ab.
Reagieren Eltern hysterischer als früher, wenn ihre Kinder kiffen?
Im Gegenteil. Gerade bei INCANT sind wir mit vielen Eltern konfrontiert, die eine sehr laxe Haltung dazu haben. Es kommt vor, dass Eltern mit ihren Kindern abends vor dem Fernseher die dicken Hörner rauchen. Das ist zwar meist nicht die Ursache für den Kontrollverlust, den manche Jugendliche erleiden, aber trotzdem unverantwortlich.
Was halten Sie davon, dass in Berlin bis zu 15 Gramm Haschisch zum Eigenkonsum straffrei sind?
Das ist eine andere Debatte. Ich kann mich nur wiederholen: Ob die geringe Menge bei 6 oder 15 Gramm liegt oder aber bei null Gramm, ändert wenig an der Tatsache, dass Cannabis für die überwiegende Mehrzahl aller Konsumenten kein Problem ist. Aber für 15 Prozent der Konsumenten bedeutet es ein großes Risiko - gerade für Minderjährige, die noch andere Probleme haben. Das gilt aber auch für Alkohol und alle anderen Drogen.
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