: Camembert für den Weihnachtsbaum
DEKORATION Gerda Hüsch öffnet ihren Weihnachts-Laden in Hamburg das ganze Jahr über. Und irgendwer kommt sogar im Sommer, um verrückte Kugeln zu kaufen, die wie Skorpione, Käsestücke oder Pinocchios aussehen
VON PETRA SCHELLEN
Ja, es ist eine wohlige kleine Höhle. Oder vielleicht – ein Markt im Weihnachtsgewand: Vorn im Laden sind Körbe, Paletten, Tische, Regale. Obst, Käse, Gemüse, Heuschrecken, Grillen und Skorpione liegen darauf. Alle glänzen schön bunt, alle sind aus Glas. Alle sind Weihnachtskugeln, und daran sieht man, dass dies eben kein normaler Markt ist und auch kein normales Geschäft.
„Weihnachten“ heißt der Laden, den Gerda Hüsch seit dem Jahr 2000 in Hamburg-Winterhude führt. Und dass er das ganze Jahr über geöffnet hat, wundert den im Bus Vorbeifahrenden schon lange. Also, denkt man, muss man sich das mal genauer besehen und eruieren, was Menschen bewegt, auch im Sommer Weihnachtskugeln zu verkaufen.
„Im Sommer führen wir mehr Antiquitäten als Weihnachtskugeln“, erzählt Inhaberin Gerda Hüsch. „Und ein paar Touristen, die Kugeln kaufen, weil sie das hier so verrückt finden, gibt es immer.“ Aber wer kauft eigentlich eine grüne schillernde Skorpion-Kugel? „Och, Sammler gibt’s ja für alles“, sagt Gerda Hüsch und lacht schallend.
Sie ist eine grauhaarige, burschikose Frau mit wallendem Gewand. Sie würde auch ins Varieté passen, hat Augen und Ohren überall und managt den Laden mit fast mütterlicher Strenge. Sie ist Patriarchin hier, und ihr Stammplatz ist an einem großen ovalen Tisch mit roter Plüschdecke und eben solchen Stühlen. Er steht auf einem Podest im hinteren Teil des Ladens, aber dies ist keineswegs das Separee: Unbefangen stapfen die Kunden in jede Ecke, und das dürfen sie. Denn auch hier hinten stehen Weihnachtsbäume, Körbe voller Kugeln und allerlei Engelsbüsten im Regal.
Eine Frau mit ihrer Mutter kommt herauf. Eine bestimmte Kugel ist kaputt gegangen, ob es die wohl nochmal gäbe ... „Muss ich sehen, ob ich das bestellen kann. Für ein Teil lohnt es eigentlich nicht, aber ich will mal nicht so sein“, murmelt Gerda Hüsch und blättert in einem Katalog. Dann kommt ein Verkäufer mit einem kleinen Krippen-Diorama von 1890. Ein Kunde sei da, wie viel das kosten solle? Hüsch überlegt kurz. „70 Euro“, sagt sie dann und dreht sich gleich wieder um. „Wo waren wir gerade?“
Bei ihrem Werdegang waren wir, ihrer Karriere, gewissermaßen. Wird man eigentlich zur Weihnachtskugel-Verkäuferin geboren? „Nein, sicher nicht“, lacht sie. Und eigentlich wollte sie ja auch Fotografin werden. Am Oldenburger Theater hat sie damals angefangen, als Bühnenfotografin. Später ist sie zur Westdeutschen Allgemeinen nach Essen gegangen. „Das Rheinland ist super“, flicht sie kurz ein. „Der Karneval – wunderbar!“ In Essen traf sie ihren späteren Mann, den Karikaturisten Gerd Hüsch. Er ist Vater ihrer Tochter, die jetzt im Laden hilft. Später zogen die Hüschs nach Hamburg, trennten sich, und Gerda Hüsch musste sich entscheiden: Was mache ich? „Kabarettistin“, habe sie gleich gedacht. „Aber daraus wurde dann nichts.“ Dann vielleicht Metzger, grinst sie. „Ich schneide doch so gern Braten!“
Schließlich habe sie den kleinen Laden nebenan, den Vorgänger ihres jetzigen Geschäfts, gesehen und gedacht: Dann mach ich eben das. Zuerst als Requisitenverleih für die Werbebranche. Später mit Antiquitäten und schließlich – bis heute – mit Weihnachtsdekoration. Das liege ihr, sagt sie, da könne sie es nicht nur zuhause, sondern auch auf der Arbeit kuschelig und gemütlich haben und nebenbei den Kugel-Klippmechanismus erfinden und patentieren lassen. „Das Gefriemel mit dem Draht ist immer so mühsam gewesen.“ Zuhause sehe es Weihnachten übrigens genauso aus wie hier – „vielleicht nicht ganz so viele Weihnachtsbäume ...“
Und die Religion? Nein, sagt Gerda Hüsch, aus der Kirche sei sie ausgetreten, das gehe einfach nicht an, mit den Missbrauchsfällen und dem Papst und allem. „Die Sülze liegt schon auf dem Tisch!“ schreit sie plötzlich. Ein älterer Mann mit Hund ist reingekommen. „Mein alter Vermieter“, sagt Hüsch. „Der beste, den ich je hatte. Er ist Witwer und kommt jeden Tag vorbei. Da geb ich ihm manchmal Wurst oder Kuchen.“ Das Gewusel ist groß und permanent, ständig kommt einer rein, der was von ihr will, und ihr gefällt es: Ein bisschen ist der Laden zum Treffpunkt der Gegend geworden.
„Weihnachten“, Papenhuder Str. 59, Hamburg