Cali tanzt, auch ohne Drogen: Die Touristen kommen zurück
Die einstige Drogenmetropole Cali wirkt befriedet – nicht zuletzt durch Salsa. Tanzschulen holen Kinder und Jugendliche von der Straße.
Im Freilufttheater Los Cristales wummert die Musik aus überdimensionalen Boxen. Händler wuchten ihre Bauchläden voller Cola, Bonbons und frittierten Churros durch die Menge, Kinder toben und Pärchen tanzen eng gedrängt im Publikum – gleich beginnt die Show. Auf diesen Abend hat die halbe Stadt hingefiebert, beim Wettbewerb des diesjährigen Festival Mundial de Salsa Cali sollen die besten Tänzer gekürt werden.
Endlich richtet sich ein Lichtkegel auf die Bühne, ein halbes Dutzend Tanzpaare in goldenen Schuhen hüpft darauf. Die Frauen tragen glitzernde Kleidchen, die Herren enge Anzüge in schreienden Farben. Als sie dann zu hochgepitchten Sounds lostanzen, ist kein Halten mehr.
Das Publikum johlt und bläst in schrillende Pfeifen, während die Tänzer ihre Beine wie unter Starkstrom bewegen, Hochgeschwindigkeitspirouetten drehen und zu akrobatischen Sprüngen ansetzen. An die hundert Gruppen werden auftreten, eine farbenfroher und ehrgeiziger als die andere.
Mit dem Tanz, der in Kuba und Tokio, in Los Angeles und Wuppertal getanzt wird, hat dieses virtuose Gezappel aber kaum noch etwas zu tun. Beim Cali-Style geht es vor allem um blitzschnelle, einfallsreiche Schrittfolgen, und weniger um elegante Kombinationen.
Am nächsten Morgen bemüht sich Edwin Villalobos, Lehrer der Tanzschule Swing Latino, uns den Cali-Stil beizubringen. Der 28-Jährige tanzt seit seiner Kindheit, seit zehn Jahren macht er als Trainer auch die fußlahmsten Gringos fit. „Natürlich tanzen wir in Cali auch auf dem normalen Rhythmus, aber wir fügen noch Zwischenschritte, Hüpfer und Elemente aus Cha-Cha-Cha und Boogaloo ein – wir haben eben unsere Tricks“, sagt er, während Ventilator und CD-Player um die Wette dröhnen.
Festival: Die Feria de Cali findet jedes Jahr vom 25. bis 30. Dezember statt, das Salsafestival mit vielen kostenlosen Konzerten gilt als eines der wichtigsten der Welt.
Tanzen gehen: In Clubs gehen kann man in Cali an jedem Wochentag, am Wochenende bleibt die Qual der Wahl. Besonders beliebt: Zaperoco, ein kleiner gemütlicher Tanzladen. Das Tin Tin Deo gilt als Calis bester Club. Der Club Changó liegt etwas außerhalb in Juanchito.
Tanzen lernen: Tanzschulen gibt es in Cali jede Menge - am besten, man fragt im Hotel. Die bekanntesten Adressen sind: Swing Latino und Tango vivo y Salsa viva.
Weitere Infos: Kolumbien steht als Reiseland nach Jahren der Drogenkriminalität wieder auf der Agenda. Infos gibts beim kolumbianischen Fremdenverkehrsamt.
Die Reise wurde unterstützt von avenTOURa. Die auf Lateinamerika spezialisierte Agentur arrangiert auch Salsa-Reisen nach Cali.
Nach den ersten Basics, die wir in dieser Stunde lernen, führt Edwin durch seine Schule, die mit fünf kleinen Tanzräumen zu den Besten der Stadt gehört. Im Treppenhaus legt eine Mutter ihrer neunjährigen Tochter dicke Make-up-Schichten aufs Gesicht, kleine Jungs in orangefarbenen Satinanzügen flüstern aufgeregt – heute Nachmittag steht der Wettbewerb der Kinder an. Dass schon Sechs-, Sieben- oder Elfjährige ihr Können unter Beweis stellen, ist in Cali ganz normal.
„Wir haben an unserer Schule 150 Kinder und Jugendliche, die wir umsonst unterrichten. Sie kommen aus den Slums, und sind die Hoffnungsträger für die ganze Familie“, erzählt Edwin, der selbst eins dieser Kinder war. „Auch andere Schulen unterrichten gratis, das bewahrt viele Kinder davor, abzurutschen. Profitänzer zu werden, ist für sie ein absoluter Traum.“
Den Tanzunterricht finanziert die Schule mit zahlenden Privatkunden und Sponsoren. Auch die mittlerweile drei großen Shows, die in Calis exklusiven Hotels stattfinden und mit ihren hohen Eintrittspreisen nur etwas für die Upperclass sind, spülen Geld in die Kassen – die besten Tänzer verschiedener Schulen treten hier auf.
„Für die Armen ist Salsa ein Lebensstil. Für die Reichen ist er höchstens Zeitvertreib. Ein Riesenunterschied“, weiß Edwin.
Bis vor zwei Jahren befand sich Swing Latino noch im prekären Ostteil der Stadt, fast alle der jüngeren Tänzer wohnen hier. Extra für die zahlenden Kunden ist die Schule in einen besseren Bezirk gezogen, denn vor dem verrufenen Osten wird gewarnt. Hier überschatten Armut, Gangs und Drogengeschäfte das Leben vieler Bewohner.
Eine Chance für private Initiativen
Die meisten von ihnen sind Landflüchtlinge, die vor den Guerilleros, den Paramilitärs oder vor beiden Kontrahenten geflohen sind. Viel Präsenz zeigt die Stadtregierung dort trotz aller Probleme nicht, deshalb sind private Initiativen wie Tanz- oder Fußballunterricht eine Chance.
Jenseits der östlichen Stadtgebiete präsentiert sich Cali friedlich. Die Drogenkartellmetropole der 80er und 90er Jahre, in der es zeitweise kaum möglich war, auf die Straße zu gehen, in der schwer bewaffnete Mafiosi in amerikanischen Schlitten herumfuhren und Angst und Schrecken unter der Bevölkerung verbreiteten, hat sich verwandelt: Vor allem rund um den kolonialen Stadtteil San Antonio haben viele kleine Herbergen, Cafés und schicke Restaurants geöffnet.
Studenten und Liebespaare flanieren umher, Kunsthandwerker und Zuckerwatteverkäufer warten im Schatten großer Mangobäume entspannt auf Kundschaft, Schauspieler scharen die Spaziergänger mit Stegreiftheater um sich, Kinder spielen. „Bis vor ein paar Jahren war Cali noch im Stand-by-Modus, alle waren wegen der Gewalt wie gelähmt. Die Leute haben sich geschämt für das schlechte Image ihrer Stadt. Das hat sich geändert“, sagt Carlos Andrés Gomez.
Der Weg zur Christusstatue
Der Künstler steht vor seinem meterlangen Fresko, das er der Geschichte der Pachamama gewidmet hat, der andinen Mutter Erde. Es befindet sich an der Straße hoch zur Christusstatue, die eine gigantische Aussicht über die Stadt bietet. Schützend breitet dort oben der überdimensionale Christo Rey die Arme aus, ein Segen für Cali, der in der Vergangenheit allerdings wenig effektiv war.
Selbst der Besuch der Statue war lange unmöglich, weil die Straße von Gangs kontrolliert wurde, und so kam Carlos auf die Idee zu seinem Fresko. „Ich mache meine Kunst für die Leute hier. Sie müssen wieder lernen, stolz auf sich und ihre Kultur zu sein, und in Frieden und Sicherheit miteinander leben.“
Sicherheit ist das Stichwort, mit dem in Kolumbien alles steht und fällt. Seit Mitte der 1990er Jahre die Drogenkartelle von Cali und Medellín zerstört wurden, und der berühmt-berüchtigte ehemalige Präsident Álvaro Uribe später radikal aufräumte, geht es dem Land in dieser Frage entscheidend besser. Das lockt Touristen und Investoren an, die Wirtschaft boomt.
Auch in Cali wird überall gebaut, was die Stadt noch chaotischer als ohnehin schon macht. Zuweilen wirkt das Stadtbild so, als ob bisher eher Geld als planerischer Verstand im Spiel war. Besonders gilt dies für die Luxushäuser der Drogenbosse – mittlerweile verfallen viele, weil ihre ehemaligen Besitzer hinter Gittern sitzen.
Parkanlagen und viele Bäume
Auch die wild geschwungenen Brücken, der rigoros einbetonierte Fluss und die 70er-Jahre-Klötze im Stadtzentrum verschönern das Ambiente nicht besonders, doch trösten Parkanlagen und viele Bäume etwas darüber hinweg.
Noch einmal wollen wir dem Salsa auf die Spur kommen, diesmal bei dem extrem gutgelaunten Schuster William Avenas. In seiner kleinen Werkstatt hämmert, schneidet und klebt er Leder. „Ich bin der Erste, der vor 25 Jahren angefangen hat, Tanzschuhe herzustellen“, sagt er.
Ein Geschäft mit Zukunft, verrät ein Blick auf die Highheels und glitzernden Herrentanzschuhe in seiner Werkstatt. Rund 5.000 Profis und um die 150 Tanzschulen gibt es in Cali, und für die vielen Shows und Wettbewerbe werden immer neue Schuhe gebraucht. Dass Großproduzenten ihm das Geschäft verderben könnten, fürchtet er nicht: „Unsere Tänzer wollen nur einzeln angepasste Schuhe – die kaufen doch nichts von der Stange!“, sagt er.
Tanzschuhe nur für Touristen
Nicht so der Durchschnittsbürger: „Alle tanzen hier, aber spezielle Schuhe dafür anziehen? Nein, das machen nur Touristen!“, sagt William lachend.
Wenig später zeigt sich im La Comadre, einem großen Tanzclub im Ostteil der Stadt, dass William recht hatte: Von strassbesetzten Pumps bis zur abgetretenen Ledersohle ist alles vertreten, nur kein professioneller Tanzschuh. Um vier Uhr nachmittags ist das Parkett schon voll. Das Plastikmobiliar und die Schnaps- und Colaflaschen auf den Tischen sind nur undeutlich erkennbar, die Beleuchtung ist auf ein rotes Minimum runtergedimmt.
Das La Comadre ist eine Viejoteca, ein Tanzladen speziell für ältere Caleños, die sich nicht für die dynamischen Moves interessieren, die in den vielen angesagten Clubs der Stadt exerziert werden. Hier tanzen sie zu ruhigen Stücken, zu kubanischem Son, Cha-Cha-Cha und schleppender kolumbianischer Cumbia voller Herz- und Weltschmerz.
Die Frauen und Männer halten sich eng umfasst, manche schließen die Augen und singen mit. Und fast wirkt es so, als ob sie nicht wirklich zum Vergnügen hergekommen sind, sondern weil sie das Tanzen brauchen wie die Luft zum Atmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau