CSU hadert mit Fünf-Prozent-Hürde: Seehofers Schicksals-Wahl
Aktuelle Umfragen sehen die CSU bei der Europawahl bei sechs Prozent. Wenn die Partei keine fünf Prozent schafft, kann es für den bayerischen Ministerpräsidenten eng werden.
Auf einer Milchkanne steht der Bauer Anton Prechtl, schwarzer Mantel, rußige Backen, dunkler Vollbart und ruft im Fackelschein die Bauernwut auf Horst Seehofer heraus: "Die Bauern hat er nur benutzt, doch nach der Wahl hat er uns die Flügel gestutzt." Er habe die Bauern verkauft und hinters Licht geführt. "Ist des wahr?", schreit Prechtl. "Wahr is", brüllen hunderte Bauern.
An diesem Mittwoch hat die Arbeitsgemeinde bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) zum Haberfeldtreiben nach München eingeladen, vor die Staatskanzlei des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Mit dem archaischen Brauch machte sich in bayerischen Dörfern vor 200 Jahren der Volkszorn Luft, bis die Obrigkeit das Haberfeldtreiben im 19. Jahrhundert verbot. Doch seit die Milchpreise fallen, lebt das ruppige Ritual wieder auf.
Horst Seehofer ist im Herbst als CSU-Chef angetreten, um die ehemalige bayerische Erfolgspartei nach dem Schock bei der Landtagswahl wieder zu altem Glanz zu führen. In Berlin tritt die CSU auch dank ihrem jungen Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg wieder wuchtig auf, wie zu besten Zeiten. Doch das Vertrauen der Wähler daheim in Bayern konnte Seehofer nicht zurückbringen. Das macht die politisch eigentlich wenig bedeutende Europawahl am Sonntag für die CSU zu einer gefährlichen Angelegenheit. Für Horst Seehofer geht es schon nach sechs Monaten im Amt um seine politische Zukunft.
Der nur in Bayern antretenden Partei droht das Scheitern an der bundesweiten Fünf-Prozent-Hürde. Aktuelle Umfragen sehen die CSU zwar bei sechs Prozent. Aber ob auch genügend Bayern zu Wahl gehen, ist ungewiss. In Bayern sind gerade Pfingstferien, in anderen Bundesländern nicht. Anderswo locken ebenfalls am Sonntag stattfindende Kommunalwahlen die Bürger ins Wahllokal, in Bayern nicht. Die Freien Wähler würden es nach den Prognosen nicht ins EU-Parlament schaffen, aber sie könnten der CSU Stimmen abjagen.
Ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde wäre für die CSU nicht nur peinlich - es wäre eine Katastrophe. Der Anspruch, bayerische Interessen auf allen Ebenen zu vertreten, wäre so gut wie dahin. Und der Verlust prestigeträchtiger Mandate würde das labile Machtgleichgewicht in der Partei gefährlich zum Kippen bringen. Mitten im Bundestagswahlkampf müsste die CSU wichtige Posten neu verteilen. Das gäbe ein Chaos.
Ein halbvolles Bierzelt, ein Kandidat den kaum einer kennt. An der Wand ein Plakat für die Wahl zur "Miss Lechfeld" am Nachmittag. Das andere Highlight des Pfingstmarktes in Klosterlechfeld bei Augsburg sitzt entspannt auf einer Bierbank: der Spitzenkandidat der CSU für die Europawahl. Er heißt Markus Ferber.
Der 44-Jährige Schwabe leitet seit zehn Jahren die CSU-Gruppe im EU-Parlament. Bekannt gemacht hat ihn das nicht. Nach einer Umfrage im Auftrag des Stern kennen nur ein Prozent aller Bürger seinen Namen - die statistische Fehlertoleranz der Befragung beträgt drei Prozent. "Sie wollten sich wohl mal die Provinz anschauen", sagt Ferber zum Reporter und grinst. "Warum sind Sie denn nicht bei Frau Merkel?" Die spricht an diesem Mittag in einem Bierzelt im Münchner Norden, zusammen mit Horst Seehofer. Sie machen Europawahlkampf - ohne den Spitzenkandidaten. Ferber taucht auch auf den Plakaten der CSU nicht auf. Dort grinst Horst Seehofer. Der spielt auch die Hauptrolle in den CSU-Wahlwerbespots. Markus Ferber hat deshalb seine eigenen Filme gedreht und zeigt sie auf Youtube. Ein Filmchen ist aufgemacht wie eine Arzneireklame. Am Ende wird ein Satz eingeblendet, der viel sagt über die Stimmung in der CSU: "Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Horst Seehofer." Markus Ferber sagt trocken: "Horst Seehofer ist der Parteivorsitzende. Er trägt am Ende auch die Verantwortung."
Wenige Tage vor der Wahl blickt Horst Seehofer starr auf den Tisch vor ihm. Er soll bei einer Pressekonferenz in der CSU-Parteizentrale ein neues Plakatmotiv vorstellen. "Wir wählen Bayern nach Europa!", jubelt es in grünen und blauen Lettern von der Wand hinter ihm. Seehofer wirkt schlapp. Seine Stimme klingt belegt. Er berichtet von Liquiditätshilfen, die es für Bauern geben soll und Ausnahmeregelungen für die Besteuerung von Agrardiesel. So will er die Landwirte besänftigen.
"Die Bauern machen uns in diesem Wahlkampf die größten Probleme", meint Markus Ferber. Da könnten auch Liquiditätshilfen und Agrardiesel-Ausnahmen wenig ausrichten. "Die Maßnahmen sorgen zwar für eine bessere Grundstimmung, aber die bringen den Milchpreis nicht hoch", sagt Ferber. Er sei dennoch optimistisch für die Wahl. Die Beteiligung an der Briefwahl sei besonders hoch in diesem Jahr, hätte er aus den Rathäusern gehört, ein gutes Zeichen. Im Bierzelt ertönt der bayerische Defiliermarsch. Der Bürgermeister kündigt auf der Bühne die Rede von Markus Ferber an und sagt: "Er hat den Kontakt zu Basis nie verloren, das schätzen wir an ihm."
Bei der Pressekonferenz in München tut sich Seehofer schwer mit dem Bodenkontakt. Er berichtet von seinen Verhandlungen mit ganz oben, von seinem Besuch in Brüssel. "Ich habe dem Kommissionspräsidenten gesagt, dass wir deutlich mehr Flexibilität brauchen", tönt Seehofer. Er springt in seinem Vortrag wild zwischen Bayern, Bund und Europa umher. "Wir in der Koaltion", sagt Seehofer, "also in der Bonner...in der Berliner Koalition". An diesem Morgen wirkt er so fahrig, man könnte meinen, Edmund Stoiber säße da wieder am Mikrophon.
Stoiber gelang jahrelang das Kunststück, auf allen politischen Ebenen gleichzeitig eine Hauptrolle zu spielen. Aber er verlor den Kontakt nach unten. Als die Bürger mit seiner Politik unzufrieden wurden, merkte er es nicht mehr. Das könnte Seehofer auch passieren.
Die Bauern vor der Staatskanzlei haben genug Wut abgelassen. Sie ziehen weiter, die schnöselige Maximilianstraße entlang, vorbei an der Chanel-Boutique, vorbei am Versace-Laden, mit Fackeln und Blasmusik.
Wenn die Bauern am Sonntag wieder ihrem Zorn Luft machen, dann wird das ein stiller Protest sein. Doch der kann einen Mordsrumms nach sich ziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner