CSD: Kleine Schwester der Loveparade
Direkt neben der Fanmeile feierten am Samstag 500.000 Menschen den Christopher Street Day. Beim Umzug geht es um Politik und um Spaß, beim Publikum um Solidarität und Voyeurismus.
Vor der Absinth-Hütte verteilt ein heterosexueller junger Mann Tütchen voller Duschgel, Deo und Body Lotion. Er trägt weite Jeans und weiß nicht genau, ob das hier eine politische Veranstaltung ist. Auf den Plastiksäcken steht, dass die Pflegeprodukte Männersache sind. Aber politisch? "Keine Ahnung", sagt der junge Mann.
Irgendj emand stellt diese Frage beim Berliner Christopher Street Day ja immer. Und in diesem Jahr, beim 30. Mal, stellt sie sich ganz besonders, nachdem die Veranstalter das Politische daran schon vorher sehr oft betont haben, auch mit ihrem Anti-Intoleranz-Motto: "Hass du was dagegen?"
Wahrscheinlich ist es eine Frage des Standpunkts. Bei dem jungen Pflegeprodukt-Promoter vor der Absinth-Hütte, gegenüber vom Waffelbäcker, neben dem Pizza-Wagen, dem Cocktail-Zelt, dem Grill-Imbiss, der Schwenkbraterei ist es zunächst einmal ein Volksfest mit ausreichend Verpflegungsangeboten. Am Horizont, wo die lange Fressgasse endet, dreht sich ein Riesenrad. Da beginnt am Brandenburger Tor die EM-Fanmeile. So nahe sind sich Fußball und Homosexualität selten. Deshalb passt die Polizei gut auf, dass es keinen Ärger gibt.
Es ist vier Uhr nachmittags. Gerade hat es kurz und heftig geregnet. Von der Kleiststraße biegen die 49 CSD-Trucks voller Regenbogenflaggen, bunter Luftballons und vieler Werbebanner in Richtung Siegessäule ab. Aus den Boxen wummern Techno-Beats und Schlagermelodien. Dazwischen tanzen und laufen Leute. 500.000 sollen es gewesen sein, sagen die Veranstalter. Manche als schrille Transen mit Pfauenfederschmuck, andere in Lack und Leder oder mit geölten Oberkörpermuskeln, viele im legeren Freizeit-Dress. Inhaltliche Botschaften gibt es deutlich weniger als Werbeslogans, bei ver.di etwa: "Keine Diskriminierung von Schwulen, Lesben und Transidenten am Arbeitsplatz." Hier wirkt der Zug wie eine kleine Schwester der Love-Parade.
Das haben manche schwule und lesbische Aktivisten immer wieder kritisiert und deshalb den transgenialen CSD gegründet - mit politischerem Anspruch. Im Gegensatz zur Love-Parade riecht es auch beim "normalen" CSD allerdings nicht nach Urin und es wird meist nach Geschlechtern getrennt getanzt und geknutscht. Sehr fröhlich und friedlich auch.
Wenige hundert Meter weiter ergibt sich für einen Moment ein ganz anderes Bild. Ein solariumbrauner, junger Mann mit weißem Cowboyhut läuft über den Gehweg und grölt: "I am gay. Ich bin schwu-hul." Neben ihm einige andere Mittzwanziger, ähnlich künstlich braun, die meisten mit Sneakers und Karottenhosen. Sie schreien immer wieder dass sie "gay" sind. Wer zügig an ihnen vorbeigeht, könnte annehmen, dass sie das genauso meinen, auch wenn Homosexuelle sonst eher selten mit so offensiv gegrölten Bekenntnissen durch die Stadt ziehen. Aber der Typ mit dem Cowboyhut wird immer lauter und aggressiver. Er brüllt jetzt etwas von Arschlecken, Arschficken, von engen Arschlöchern, die er liebt. Das alles zwischendurch in seltsamem Englisch mit starkem deutschen Akzent: "Lick my asswhole, motherfucker." Als vorne an der Ampel ein schwules Pärchen auftaucht und ihn irritiert anschaut, ruft er kurz etwas leiser. Allerspätestens da ist klar, was er mit seinen Sprüchen von "Arschfickfetischisten" meint: Homosexualität hält er für eine ziemlich unanständige Angelegenheit. Bevor sie die Spitze des CSD-Zugs mit den Polizei-Vans und Krankenwagen passieren, biegt er mit seinen Kumpels scharf rechts ab. Sie holen sich bei Plus Alk-Nachschub. Einer von ihnen bläst immer wieder in eine Tröte, an der eine kleine Deutschland-Flagge hängt. Auf einem der ersten CSD-Trucks wird "Waterloo" von Abba gespielt. Von dieser Straßenecke aus betrachtet ist es plötzlich eine hochpolitische Veranstaltung.
Der Mann, der seine SPD-Flagge gerade wie einen meterlangen Dildo im Schritt abstützt, sieht das genauso. "Schwul sein an sich ist, glaub ich, schon schwierig", sagt er. Dass beim CSD auch viele Kinder mit ihren Familien kommen, macht ihn zuversichtlich. Die erlebten das so als völlig normal. Vielleicht merken sie dann, hofft er, "dass schwul sein nichts Böses ist". Vielleicht hilft der Umzug, das gesellschaftliche Klima zu verbessern. Nachhaltig. Langfristig. Er ist Mitte Dreißig, SPD-Mitglied und arbeitet in der Bundestagsverwaltung. Ein T-Shirt hat er nicht mehr an. Auf dem Wagen hinter ihm tanzen die Schwusos, die schwulen Sozialdemokraten. Er ist ein bisschen betrunken.
Es ist sein fünfter CSD und dass das mit dem Schwul-sein an sich schwierig ist, hat er vor seinem ersten Besuch beim Christopher Street Day nicht gewusst. Da hatte er noch eine Freundin. Ihm selbst ist bisher nichts passiert. Aber Bekannte sind angegriffen worden. Es gebe ein paar "Grenzgruppen" von Jugendlichen, bei denen müsse man aufpassen. Migranten etwa, sagt er. In seinem Fitnessstudio kommt er gut mit ihnen zurecht. Aber sie wissen auch nicht, dass er mit einem Mann zusammen ist.
Manchmal sind es auch deutsche MitschülerInnen, die Schwulen und Lesben das Leben schwer machen. Tracy wollten sie an ihrem Gymnasium aus der Umkleidekabine werfen, als sie erfuhren, dass sie lesbisch ist. "Die hatten wohl Angst, dass ich ihnen was weggucke", sagt sie. Die Sache ließ sich dann nach einigen Gesprächen klären. Tracy ist 17, geht in die zehnte Klasse, und für sie war auch diese Erfahrung beim Schulsport ein Grund, weshalb sie sich die Regenbogenfahne in den schwarzen Rucksack gesteckt hat und mit ihrer Freundin zur Siegessäule kam.
Sie stehen jetzt ein bisschen verloren zwischen den Wurstbuden. Neben ihnen kanzelt ein Pflegeprodukt-Promoter einen Kollegen ab, der eine "Männersache"-Tüte an eine Frau verteilt hat. Er lacht sehr laut über seinen Witz. An der Bühne treffen gegen fünf langsam die ersten Party-Laster ein. Ein Ehepaar spritzt sich beim Öffnen einer Sektflasche voll. Sie schaut böse. Einige Jungs stellen fest, dass die Leute beim schwul-lesbischen Straßenfest "definitv hübscher" waren als beim Christopher Street Day. Dazu machen sie tuntige Handbewegungen.
Nebenan präsentiert sich ein Mann mit kurz rasierten grauen Haaren und einer Nickelbrille als Blickfang. Ganz anders als die federverzierten Transen, trägt er nur: die Brille, einen Rucksack, Backpacker-Sandalen und einen Genitalring. Seine gelben Boxershorts sind aufgemalt, was nicht beim ersten Hinsehen klar wird. Deshalb starrt ihm fast jeder erstmal sekundenlang in den Schritt. Bis klar ist, was sich da unter der gar nicht vorhandenen gelben Hose wölbt. Dann schauen die meisten ganz schnell ganz woanders hin. "Das ist ja geil", ruft eine hübsche Blonde. Eine andere stellt sich etwas schüchtern neben den spärlich getarnten Exhibitionisten und lässt sich fotografieren.
Bei der Abschlusskundgebung wird es noch einmal ernst. "Immer öfter schlägt uns blanker Hass entgegen", ruft Jan Salloch, der Vorsitzende des CSD. Schwul sei auf den Schulhöfen das meistgesagte Schimpfwort. Und Gleichstellung längst nicht selbstverständlich. Vor der Bühne ist nicht gerade viel los. Die meisten Leute sind bei den Essenständen oder einige Meter weiter, wo die Wagen vorbeifahren und kleinere schwul-lesbische Grüppchen mit etwas schüchternen "Finale"-Rufen, das schwierige Verhältnis von Homosexualität und Fußball dokumentieren. Nur ganz wenige tragen Deutschland-Trikots oder schwarz-rot-goldene Hüte. Eine Frau auf Rollerblades wagt einen interessanten Mix: deutschlandfarbene Perücke, dazu eine regenbogengestreifte Fahne. Das sei nicht nur eine bunte Fanmeile hier, sagt Salloch. Er spricht von "hasserfüllter Hemmungslosigkeit" gegen homosexuelle Paare und auch, um die Sache mal umzudrehen, von den Vorurteilen der schwulen Community gegen Muslime, Kranke und Alte. Einige klatschen vorsichtig. Bei der Schweigeminute für die Opfer homophober Gewalt, wird es nicht wirklich still. "Hallo, ich dachte hier wäre Stimmung", ruft einer. "Danke für die schöne Schweigeminute", sagt der Moderator schließlich, als Salloch fertig ist. "Aber jetzt wollen wir natürlich mit euch feiern." Da gibt es zum ersten Mal so richtig Applaus. Dann beginnt der Konzert-Abend. Später wird der Zivilcouragepreis an Maria Sabine Augstein, die Tochter des Spiegel-Gründers, und an die Schauspielerin Maren Kroymann verliehen. Eine politische Komponente fehlt dabei, wie schon beim Start am Mittag: Klaus Wowereit. Es war das erste Mal in seiner Amtszeit, dass er sich entschuldigen ließ. Termingründe, hieß es beim Senat. Vielleicht was Politisches.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!