CSD-Basiswissen: Wer war Christopher? Street?
■ Das Idol der Homo-Community – ein stinknormaler Hetero aus Lüdenscheid
Es ist entsetzlich viel Unfug geschrieben worden über den Mann, dem dieser Tage wieder einmal weltweit üppige Feierlichkeiten und ekstatische Paraden gewidmet sind: Christopher Street. Legenden und Märchen ranken sich um das verehrte Idol der homosexuellen Communities: Er soll das Ergebnis der ersten geglückten männlichen Schwangerschaft gewesen sein (Spiegel 25/1995); er soll nach Angaben des Berliner Schwulenmagazins Mannesmann der Gründer des ersten amerikanischen „Advice & Deed“-Zentrums gewesen sein; das evangelische Sonntagsblatt sieht in Street gar den Erfinder der Latex-Wäsche. Gelegentlich wurde auch versucht (DIE ZEIT 32/94), „Christopher Street“als anzügliches Kunstwort zu deuten – sowohl „Street“(Straße) als auch „Christopher“(der heilige Christoph ist der Schutzpatron der Autofahrer) verweisen auf das doppeldeutige Wort „Verkehr“. Die Wahrheit über Christopher Street wurde bislang immer erfolgreich unterdrückt – mit gutem Grund, wie man sogleich einsehen wird.
Christopher Street war, wie jedermann im Who is Who? nachlesen kann, ein deutscher Auswanderer der Kaiserzeit, der in Amerika sein Glück mit einer Kunstschmiedewerkstatt machte. „Street“war allerdings ein anglifizierter Name: In seiner Geburtsstadt Lüdenscheid (Sauerland) hatte Street noch „Christoph Straßmann“geheißen. (Tatsächlich war Street ein Großonkel des Autors dieser Zeilen; zu Weihnachten erhielt der Auswanderer regelmäßig Post von seinem Großneffen: „Dear Uncle Stoffel, this Chrismas I wish Goldhamsters usw. usf.“Onkel Stoffel galt als reicher Erbonkel, den es regelmäßig mit Post zu bedenken galt).
Street ehelichte eine Amerikanerin namens Kathrin Day und nannte sich fortan etwas prätentiös Christopher Street-Day. Er wohnte Zeit seines Lebens in Nebraska (Oklahoma) in einem gepflegten Einfamilienhaus, hatte drei Kinder, gehörte einer ortsansässigen Anti-Alkohol-Initiative an und stiftete in einer Parkanlage eine Bank, auf der heute noch sein Name eingeprägt ist.
1969 geriet Street-Day während eines New York-Besuches auf der Suche nach einer Toilette mitten in eine spontane Schwulenrevolte, in deren Verlauf er von der Polizei festgenommen wurde. Zufällig geriet ein Foto von seiner Festnahme in die Washington Post. Der Berichterstatter der Post, ein gewisser Jesse Fortran, schnappte den etwas ungewöhlichen Namen des Festgenommenen auf und hielt ihn – ein nachvollziehbares Mißverständnis – für den Code-Namen der gewalttätigen Veranstaltung. Die noch völlig unorganisierten Homosexuellen New Yorks adaptierten den Begriff sofort und feierten den Tag künftig – zum unaussprechlichen Entsetzen des Betroffenen – als „Christopher Street-Day“.
Die New Yorker Ereignisse betrafen auf gewisse Weise auch den Autor dieser Zeilen. Als nämlich 1973 der „Erbonkel“das Zeitliche segnete, hinterließ er sein komplettes Vermögen einer Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, das Auftreten von schwulen und lesbischen Paaren in der Öffentlichkeit mit Strafhaft zu bedrohen.
Burkhard Straßmann
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