CONTRA: DAS GEPLANTE EINWANDERUNGSGESETZ WIRD ZUM KANAKENRECHT: Reformprojekt endgültig verstümmelt
Ein Gesetz ist nicht nur danach zu beurteilen, welchen rechtlichen Rahmen es für bestimmte Gruppen definiert. Mindestens ebenso wichtig ist, welche Botschaft es in die Gesellschaft sendet. So kann man das kürzlich in Kraft getretene Lebenspartnerschaftsgesetz dafür kritisieren, dass es die Homoehe nicht vollständig der Heteroehe gleichstellt. Dies ändert allerdings nichts daran, dass das Gesetz Ausdruck einer Politik der Anerkennung gegenüber Schwulen und Lesben ist und deren gesellschaftliche Position fraglos verbessert.
Anders sieht es bei dem geplanten Einwanderungsgesetz aus. Von einem Reformklima ist bei diesem Thema kaum noch etwas zu spüren. Längst ist die relative Aufgeschlossenheit, die vor zwei Jahren den Grundton in der Diskussion um die Greencard lieferte, alter Ängstlichkeit gewichen. Kein Tag vergeht, an dem Politiker angesichts hoher Arbeitslosigkeit nicht vor mehr Einwanderern warnen und fordern: Wir brauchen eine Begrenzung der Zuwanderung. In diesem Klima kann keine Reform gedeihen. Folglich wundert es auch nicht, dass Rot-Grün mit neuen Zugeständnissen an die Union und mit der vorgeschlagenen Absenkung des Nachzugsalters von derzeit 16 auf 12 Jahre das Reformvorhaben endgültig zu einem „Kanakenabwehrgesetz“ verstümmelt.
Für viele mag die Höhe des Nachzugsalters lediglich eine Marginalie sein, die angesichts der vor uns liegenden historischen Aufgabe vernachlässigt werden kann. Wer dies glaubt, verkennt allerdings die Kraft der Symbole. Der geplante massive Eingriff in das Elternrecht gilt vor allem für die Proleten aus der Türkei, nicht aber für die EU-Bürger und nicht für hoch qualifizierte Spezialisten, für die es großzügige Ausnahmeregelungen geben wird. Pragmatisch mag diese Regelung ja angesichts sprachgestörter Jungtürken sein, aber das angespannte Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und der größten Minderheitengruppe im Land wird dadurch nicht verbessert werden.
Im Moment hat ein Einwanderungsgesetz, das nicht auf Kosten der sozial schwächer gestellten Einwanderer geht, die uns angeblich mehr ausnützen als nützen, kaum eine Chance auf Zustimmung. Und die Union wird nur einem Gesetz zustimmen, das die Begrenzung zum Ziel erklärt. Wer trotz dieser Voraussetzungen eines der wichtigsten Reformprojekte der Gegenwart vor der Bundestagswahl durchpeitschen will, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass es ihm nicht um die Problemlösung einer komplexen Materie geht, sondern um die Inszenierung der eigenen Durchsetzungsfähigkeit. EBERHARD SEIDEL
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