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Archiv-Artikel

COLIN POWELL HAT DIE PRÄVENTIVSCHLAGSDOKTRIN AD ABSURDUM GEFÜHRT Steilvorlage für die Demokraten

Was hat Colin Powell geritten, sich selbst der Lüge zu überführen? Vor fast genau einem Jahr zeigte sich der US-Chefdiplomat vor dem UN-Sicherheitsrat noch felsenfest überzeugt davon, dass der Irak über ABC-Waffen verfüge, die Amerika bedrohten. Trotz aller gegenteiligen Beweise hielt die US-Regierung an dieser Behauptung fest.

Über die Motive für Powells überraschendes Eingeständnis kann nur spekuliert werden. Vielleicht war es ein unausweichlicher Schritt, nachdem US-Waffeninspekteur David Kay am Freitag verkündete, was die Spatzen auch in Washington längst von den Dächern pfiffen: keine Massenvernichtungswaffen, nirgends.

Oder Powell glaubt, die US-Öffentlichkeit interessiere das Thema ohnehin nicht mehr und die Festnahme Saddam Husseins habe die Invasion nachträglich ausreichend legitimiert. Nur wenn im Irak weiter wöchentlich amerikanische Soldaten sterben, kann es für Präsident George W. Bush noch gefährlich werden. Oder, ein zugegeben verwegener Gedanke, Powell sieht mittlerweile in der von Bush betriebenen Außenpolitik eine so große Gefahr, dass er deren Handlanger nicht länger sein will.

Den Demokraten und ihren Präsidentschaftskandidaten hätte der Außenminister keine bessere Steilvorlage liefern können. Sie werden keine Gelegenheit auslassen, der Regierung ihre verlorene Glaubwürdigkeit vorzuhalten. Und selbst John Kerry und John Edwards, die den Unmut der Parteibasis auf sich gezogen hatten, als sie für den Krieg stimmten, können argumentieren, ihre Entscheidung basierte damals auf den von Powell präsentierten Geheimdienstinformationen.

Dessen Offenbarungseid spielt allen in die Hände, die Bushs Präventivschlagsdoktrin ablehnen. Vorbeugende Militärschläge lassen sich nur dann rechtfertigen, wenn es verlässliche Geheimdiensterkenntnisse über die vermeintlichen Bedrohungen gibt. Angesichts der nun offenkundigen Manipulation von Geheimdienstdaten erscheint es fraglich, ob der Kongress dem Präsidenten in absehbarer Zeit noch einmal einen Freibrief für eine Invasion erteilt. Mit Powells Eingeständnis ist die Präventivschlagsdoktrin erledigt. MICHAEL STRECK