■ CNN zieht Bericht über Nervengaseinsatz im Vietnamkrieg zurück: Born in the USA?
Der Fernsehsender CNN hat seinen Bericht über den Einsatz von Sarin-Nervengas durch geheim operierende US-Sondereinheiten während des Vietnamkrieges zurückgezogen. CNN hat sich auch bei der Öffentlichkeit für die Fehler entschuldigt und sogleich eine Debatte über Medienethos und Fälschungsanfälligkeit inszeniert. Die Kernaussagen der Sendung, daß nämlich völkerrechtlich geächtetes Nervengas eingesetzt worden sei, noch dazu gegen Deserteure aus den eigenen Reihen, seien nicht haltbar, hatte eine unabhängige Untersuchung ergeben, die der Sender selbst in Auftrag gegeben hatte. Peinlich – und ehrenrettend zugleich.
CNN ist keinem Michael Born aufgesessen. Die Untersuchung geht davon aus, daß die beteiligten JournalistInnen von der Richtigkeit ihrer Schlußfolgerungen überzeugt waren und daß kein einziges Element in dem Bericht gefälscht ist. Kein Fake also – und trotzdem nicht haltbar.
Tatsächliche Fakes leben davon, zwar nicht wahr, aber sensationell und vor allem dennoch plausibel zu sein. Der deutsche Fernsehfälscher Michael Born verkleidete seine Statisten ja nicht als Marsmenschen, sondern als Drogenschmuggler, ausgebeutete Kinder oder Ku-Klux-Klan-Angehörige. Die Bilder waren falsch – aber sie hätten ja echt sein können.
Die CNN-Story, daß die USA im Vietnamkrieg Giftgas gegen Deserteure eingesetzt haben sollten, war skandalös – aber eben nicht unvorstellbar. In ihren Interviews fragen die MacherInnen der Sendung ihre Gesprächspartner immer wieder nach dem Einsatz von Gas – bis die irgendwann bestätigen, das könne schon sein. Und da dieser Einsatz gegen geltende Verträge verstoßen hätte, blieb eben alles geheim, weshalb die Unklarheiten, die fehlenden Aufzeichnungen, das lange Schweigen der Beteiligten, überhaupt keinen Anlaß zum Zweifel geben.
Die Journalisten scheinen hier statt investigativen vielmehr autosuggestiven Journalismus betrieben zu haben. Aber die CNN-Hierarchie hat den Bericht abgenommen, die US-Öffentlichkeit hat darüber erregte Debatten geführt, selbst das US-Verteidigungsministerium hat eine Untersuchung eingeleitet. All die Reaktionen zeigen, wie gebrochen das Verhältnis der US-Öffentlichkeit zum Vietnamkrieg noch immer ist, aller politisch-kulturellen Rehabilitierungsversuche der letzten Jahre zum Trotz. In diesem Krieg, so die Botschaft, war keine Schweinerei undenkbar. Umgekehrt hat das Dementi geholfen: Wer zukünftig Böses behauptet, gilt als Fälscher. Bernd Pickert
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