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CHINA Montagnacht beginnt das Jahr des Affen. Partei und Wirtschaft fürchten es – Schwangere freut esBloß kein Schaf

AUS PEKING FELIX LEE

Die Nervosität hat sich bei Zhou Li gelegt. In den zurückliegenden drei Wochen habe sie gebangt, dass ihr Kind doch früher als vorgesehen das Licht der Welt erblicken könnte. Doch inzwischen sei das chinesische Neujahrsfest nur noch wenige Tage entfernt und es gebe nicht die geringsten Anzeichen auf eine Geburt vor Montag, sagt die Hochschwangere und streicht über ihren gewölbten Bauch. „Bloß kein Schaf“, sagt Zhou. Sie wolle lieber ein „kleines Äffchen“ zur Welt bringen. Damit dieser Wunsch in Erfüllung geht, hat sie an ihrem Smartphone einen kleinen Anhänger aus Gummi hängen: ein Affe.

Zhou Li ist bei Weitem nicht die einzige Schwangere, die in China so denkt. Der Affe folgt im chinesischen Tierkreis auf das Jahr des Schafes. Letzteres gilt als glücklos und langweilig. Schafe würden unselbstständig sein und zu Depressionen neigen. Tatsächlich hat das Schafjahr 2015 trotz der offiziellen Aufhebung der Ein-Kind-Politik einen deutlichen Geburtenrückgang gebracht.

Menschen, die hingegen im Jahr des Affen (1944, 1956, 1968, 1980, 1992, 2004) geboren sind, sollen intelligent, agil, zugleich verspielt und humorvoll sein.

In der Nacht zum Montag beginnt nach dem traditionellen chinesischen Mondkalender das neue Jahr. Es ist das wichtigste Familienfest der Chinesen. Jedes Jahr ist einem bestimmten Tier gewidmet – insgesamt zwölf: Ratte, Büffel, Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Schaf, Affe, Hahn, Hund und Schwein. In der Reihenfolge. Von den Charaktereigenschaften des Tieres leiten gläubige Chinesen ab, wie das jeweilige Jahr ausfallen wird. Dieses Mal werden viele Familien das neue Jahr mit besonders lautem Getöse begrüßen – aus Freude, dass das eher glücklose Schafjahr endlich vorüber ist, und das Jahr des Affen beginnt.

Des einen Freud, des anderen Leid – so sieht es anscheinend die kommunistische Führung. Offiziell ist in China ja niemand abergläubisch. So hatte es die Kommunistische Partei einst festgelegt und jede Religion, jeden Glauben und jede sonst irgendwie spirituelle Neigung für „überwindbar“ erklärt. Ganz nach dem Motto ihres Vorbilds Karl Marx, der Religion als „Opium fürs Volk“ bezeichnete.

Das hält aber Chinas kommunistische Führung nicht davon ab, in diesen Tagen in ihren diversen Staats- und Parteizeitungen vor dem anstehenden Affenjahr zu warnen. So sehr junge Eltern auf ein „Affenkind“ hoffen – politische Meinungsmacher scheinen dem Affenjahr eher zu misstrauen. Es könnte „lebhaft“ werden, „turbulent“, „unberechenbar“, alles sei möglich, warnte vor einigen Tagen etwa ein Kolumnist der Liaoning Abendpost. Deswegen müsse vorzeitig Vorsorge getroffen werden. Sämtliche Ereignisse, die zu Tumulten oder gar Unruhen führen könnten, sollten um jeden Preis gemieden werden.

Kultur Die Wahrsagerei ist eine der wenigen Traditionen, die den Angriffen der Kommunisten auf alte chinesische Traditionen getrotzt haben

Tatsächlich ist die Wahrsagerei rund um die zwölf Tierkreiszeichen der chinesischen Astrologie eine der wenigen Traditionen, die den seit nunmehr 67 Jahren anhaltenden Angriffen der Kommunisten auf alte chinesische Rituale und Gebräuche getrotzt haben. Als 1976 Staatsgründer Mao starb, brachten die damaligen Staatsführer das offiziell mit dem Jahr des Drachens in Verbindung. Dem Drachenjahr werden große, oft aber auch schreckliche Ereignisse zugeschrieben. Politisch könnte das Affenjahr ebenfalls ein lebhaftes Jahr zu werden.

Der Volksmund sagt aber auch, dass es nicht ganz so einschneidend sei wie etwa ein Drachenjahr. Mit einem Umsturz muss die chinesische Führung 2016 daher nicht rechnen. Denn so frech und aufmüpfig der Affe ist – er gilt chinesischen Astrologen zufolge als nicht besonders ausdauernd. Für eine umfassende Revolte in China sei das aber nötig.

Auch wirtschaftlich verspricht das Jahr des Affen turbulent zu werden. Es kann zwar mal bergauf gehen, mal bergab; mit heftigen Schwankungen an den Aktienmärkten sei zu rechnen. Einen ersten Vorgeschmack gab es bereits bei den Börsenabstürzen Anfang Januar. Doch so wie der raffinierte und kreative Affe Probleme mit leichter Hand zu lösen weiß, verspricht das Affenjahr Unternehmern und Geschäftsinhabern klingelnde Kassen und Anlegern alles in allem ein positives Saldo.

Da dieses Mal das Jahr auch noch mit den Elementen des Feuers und des Metalls verbunden ist, steht ein sogenannter Feueraffe vor der Tür. Metall war im alten China jedoch oft gleichbedeutend mit Gold und Geld. Schon wittern Banker und Finanzberater 2016 besonders gute Geschäfte. Seit Wochen werben sie mit neuen Finanzprodukten, die sie eigens für das Affenjahr geschaffen hätten. So wie der Affe als agil, schlau und risikoreich gilt, trifft das auch für das diesem Tier gewidmete Wirtschaftsjahr zu, heißt es in einer Werbebroschüre.

Etwas mehr zur Vorsicht mahnt das Hongkonger Aktienanalysehaus CSLA: In ihrem jährlichen Fengshui-Index rechnet sie bei sämtlichen Industriezweigen, die mit Metall zu tun haben, mit steigenden Kursen, darunter bei der Autoindustrie, beim Transportwesen und beim Maschinenbausektor. Vor dem Kauf von Wertpapieren leicht entzündlicher Rohstoffe raten die Analysten ab. Anleger sollten also nicht in Erdölaktien investieren.

Die chinesische Filmbranche freut sich auf das Affenjahr. Sie setzt gleich zu Beginn auf eine in China allseits beliebte Sagenfigur: den Affenkönig Sun Wukong. Zusammen mit einem Mönchen, einem Schwein und einem Bettler soll er sich angeblich einst auf den Weg nach Indien gemacht haben, um die heiligen Schriften Buddhas nach China zu holen. Dabei mussten sie zahlreiche Abenteuer überstehen. Der Affenkönig galt als listig, respektlos, aber auch klug und liebenswert. Jedes Kind in China kennt seine Geschichte. Eine Neuverfilmung in 3-D und besonders hochauflösender Qualität ist in diesen Tagen in den chinesischen Kinos angelaufen und soll sogar ein höheres Einspielergebnis bringen als Star Wars Episode VII.

Neujahr in China

Die Feier:In China beginnt am Montag das Neujahrsfest. Die Familie kommt zusammen, es wird gegessen, geböllert, rote Umschläge mit Geld werden verteilt und ab dem zweiten Tag wird auch Mah Jong gespielt, ein traditionelles Glücksspiel – insgesamt 15 Tage lang. Es ist das wichtigste Fest der Chinesen.

Die Tiere: Nach dem chinesischen Kalender ist in einem Zyklus von zwölf Jahren jedes Jahr einem bestimmten Tier gewidmet: Ratte, Büffel, Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Schaf, Affe, Hahn, Hund und Schwein. Von den Charaktereigenschaften des Tieres leiten gläubige Chinesen ab, wie das jeweilige Jahr ausfallen wird.

Das Volk: Hundert Millionen von Chinesen verreisen über die Feiertage, meist in ihre Heimatdörfer zu ihren Familien, zunehmend auch in alle Welt. Diese Reisewelle gilt inzwischen als die größte Völkerwanderung der Welt.

Im Familienleben könne es im Jahr des Feueraffen hingegen äußerst hitzig zugehen. Das befürchtet zumindest Jiang Qi. Der 46-Jährige sitzt in einem Café und hat vor sich ein Laptop aufgeklappt. Auf der von ihm abgerufenen Webseite sind Affen­motive aus unterschiedlichen Dynastien abgebildet. Er habe sich die Deutung der chinesischen Astrologie selbst beigebracht, sagt er. Über alte Bücher seines Vaters und Großvaters, aber eben auch über spezielle Horoskopseiten im Internet. Mit zahlreichen anderen Astrologen sei er vernetzt. Nach intensivem Studium komme er aber zu dem beruhigenden Ergebnis: „Affenjahre sind zwar turbulent, haben aber fast immer einen guten Ausgang.“

Werdenden Müttern wolle er zwar keine Angst einjagen, doch so wie alle zwölf Tiere der chinesischen Astrologie sowohl ihre positiven als auch ihre negativen Seiten haben, weist er daraufhin, dass auch Kinder, die im Jahr des Affen geboren werden, nicht immer einfach zu handhaben sind. Jiang zählt auf: Sie seien ruhelos, leicht jähzornig, frech und egoistisch. Zudem lieben sie es, andere herum zu kommandieren und spielen sich gern zum Boss auf. Prominente Affen waren unter anderem Julius Cäsar und Elisabeth Taylor.

Zumindest Zhou Li schreckt diese Prophezeiung kurz vor der Geburt ihres Kindes nicht ab. „Lieber ein aufmüpfiges Äffchen, als ein lahmes Schaf.“

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