: CDU will die »Leberwursttaktik«
■ Der Regierende Bürgermeister Diepgen will die Deeskalationsstrategie abschaffen/ Ende der sechziger Jahre entwickelt, dann vergessen, von Rot-Grün wieder aktiviert/ Auf die Reaktion aus dem Polizeipräsidium darf man gespannt sein
Berlin. Der nächste Eklat zwischen der CDU und der Polizeiführung ist programmiert. Auf einem Sicherheitskongreß der CDU am vergangenen Samstag im Reichstag kündigte der Regierende Bürgermeister und CDU-Landesvorsitzende Eberhard Diepgen vollmundig an, die Polizeistrategie der »Deeskalation« abschaffen zu wollen. »Die Phase der Irritation, in der mit fragwürdigen Konzepten der Deeskalation Verunsicherung in die Polizei und die Bevölkerung getragen wurde«, so Diepgen wörtlich, »ist vorbei«.
Die Erklärung des Regierenden Bürgermeisters muß wohl so gedeutet werden, daß die CDU die Zeit wieder in die sechziger Jahre zurückdrehen will. Damals ging die Polizei mit der sogenannten Leberwursttaktik gegen Demonstranten vor: Die Seitenstraßen abriegeln, an den Enden der Demonstrationen zuschnüren und in der Mitte draufhauen.
Die harten konfrontativen Polizeieinsätze, bei denen der Student Benno Ohnesorg bei einer Anti- Schah-Demonstration 1967 von einem Polizeibeamten erschossen wurde, hatten die Studentenunruhen damals erst richtig angeheizt. Die Polizei büßte dabei so schwer an Ansehen ein, daß ein Polizeipräsident nach dem anderen abdanken mußte. (Erich Duensig, SPD und Georg Moch, CDU) Erst dem 1968 gewählten Polizeipräsidenten Klaus Hübner (SPD) gelang es, das Ruder herumzureißen, indem er die heute als Deeskalation bezeichnete Einsatzstrategie entwickelte. Hübner richtete ein »Diskussionskommando« bei der Polizei ein. Die Aufgabe der Beamten bestand darin, bei den Demonstrationen mitzulaufen und dabei zu versuchen mit den Protestierenden ins Gespräch zu kommen.
Die polizeistrategischen Konzepte zur »Demonstrationsbewältigung« und »Aufruhrbekämpfung« wurden in den folgenden Jahrzehnten bis hin zur Ausrüstung und Einrichtung von Sondereinsatzkommandos immer mehr verfeinert, aber dem Grundgedanken der Deeskalation blieb man treu — auch wenn dies in den achtziger Jahren meist graue Theorie war. Erinnert sei hier nur an die vielen Demonstrationen der Hausbesetzer, Gegner der Weltbanktagung, Jornalisten und Passanten, die in der Stadt unter willkürlich geschwungene Polizeiknüppel kamen.
Erst der rot-grüne Senat dokumentierte 1989 in seiner Koalitionsvereinbarung den Willen zum Neuanfang der Deeskalationsstrategie: »Abbau von Feindbildern auf allen Seiten, Vorrang politischer gegenüber polizeilicher Problemlösungen, konfliktmindernde und gewaltdämpfende Aufgabenbewältigung, — neue flexible Einsatzstrategien bei Demonstrationen mit größtmöglicher Offenheit gegenüber den Veranstaltern, — so wenig sichtbare Polizeipräsenz wie möglich, — Beruhigung und Überzeugung statt Zwang, wo immer es geht«. Am 1.Mai 1989 versuchten einige Polizeiführer den Innensenator Pätzold (SPD) ins Messer laufen zu lassen, indem sie die Polizeipräsenz bei den Ausschreitungen auf Null reduzierten.
Diese Aktion, die als Aufstand der Generäle gegen den rot-grünen Senat in die Berlingeschichte einging, hat Diepgen wohl gemeint, als er am Samstag von einer „Phase der Irritation“ sprach. Auf die Reaktion des Polizeipräsidums darf man gespannt sein. Nach Informationen der taz wird die Deeskalation nicht nur von Polizeipräsident Georg Schertz, sondern auch von der überwältigenden Mehrheit der Polizeiführung als hehres und praktikables Konzept hochgehalten.
Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Grüne, Renate Künast, bezeichnete den CDU-Vorstoß gestern als klaren Versuch, die Polizei für Wahlkampfzwecke zu mißbrauchen. Noch deutlicher wurde der Sprecher der SPD Fraktion, Hans- Peter Stadtmüller: »Diepgen spielt im Wahlkampf den Django und schafft damit nur noch mehr Radikalität«. Plutonia Plarre
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