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CDU und SPD sondieren in NRWUmschalten auf den Partner-Modus

Zwei Wochen nach den Landtagswahlen sprechen CDU und SPD in NRW über die Bildung einer Großen Koalition. Bei dem Treffen ging es auch um den schmutzigen Wahlkampf.

Treffen statt Videoüberwachung: Rüttgers und Kraft. Bild: dpa

Jürgen Rüttgers gibt den großen Charmeur: Nach Ende des ersten Sondierungsgesprächs mit der SPD lässt der Christdemokrat seiner Herausforderin Hannelore Kraft am Donnerstagnachmittag den Vortritt. Dabei lächelt Nordrhein-Westfalens amtierender Ministerpräsident so gewinnend, als habe er gerade die Landtagswahl gewonnen. Von Rüttgers krachender Niederlage, vom Absturz seiner CDU um über zehn Prozent ist nichts mehr zu sehen.

Der Regierungschef, der bereits vom Amt des Bundespräsidenten als Krönung seiner Karriere geträumt haben soll - im Düsseldorfer Maritim-Flughafenhotel tut er alles für sein politisches Überleben. Schon vor Beginn des Gesprächs distanziert er sich von seinem bisherigen Koalitionspartner FDP: "Die Politik einer großen Koalition wird eine andere sein als in den vergangenen fünf Jahren" - das ist die Botschaft, mit der Rüttgers in das erste Treffen mit der SPD geht.

Dreieinhalb Stunden später revanchiert sich die Sozialdemokratin Kraft. Als "sachlich" und "offen" lobt sie die Gespräche, "von großer Ernsthaftigkeit geprägt". Ja, die "Wahlkampfauseinandersetzung" sei Thema gewesen, sagt die Frau, die von den Christdemokraten auf allen Kanälen als "Kraftilanti", also als Umfallerin, als Lügnerin geschmäht wurde. Dann aber kommt Kraft schnell aufs Inhaltliche: "Die Kommunalfinanzen" seien erstes Thema gewesen, ebenso die "ökologische Industriepolitik". Und spielt Rüttgers den Ball zurück. "Ich schließe mich an", sagt der Christdemokrat, der jeden Wahlkampfauftritt Krafts per Video beobachten ließ. "Sehr offen, sehr konstruktiv" sei die SPD. Fortgesetzt werden sollen die Gespräche deshalb auf jeden Fall - am kommenden Dienstag wollen sich die zwölfköpfigen Delegationen der beiden Parteien erneut treffen.

Doch schon heute ist klar: Im größten Bundesland wird eine Große Koalition kaum an den Inhalten scheitern. Strittige Fragen wie etwa die Zukunft des rückwärtsgewandten dreigliedrigen NRW-Schulsystems könnten mit Formelkompromissen überbrückt werden: In Düsseldorf wird bereits über eine Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen nachgedacht. Beim landespolitischen Top-Thema-Bildung könnte die Sozialdemokratin Kraft die als Einstieg ins versprochene längere gemeinsame Lernen verkaufen - und Rüttgers' Klientel könnte ihre Kinder weiter aufs Gymnasium schicken.

Selbst die Förderung regenerativer Energieträger, mit der die SPD ihr ökologisches Profil schärfen und so auch ihrem grünen Wunschpartner Konkurrenz machen wollen, wird von der CDU durchgewunken - dabei hatten Rüttgers' Minister bei ihrem Antritt vor fünf Jahren noch getönt, "als Allererstes die Windkraft kaputtmachen" zu wollen. "Es ist unglaublich", sagt ein Sozialdemokrat, der bei den Sondierungsgesprächen dabei war: "Die sind bereit, alles abzuräumen." Vor der Tür aber demonstrieren Umweltaktivisten gegen die drohende "Koalition des Stillstands": Beide Parteien wollen an der klimaschädlichen Kohleverstromung festhalten, viele Christdemokraten träumen noch dazu von längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke.

Als schwierig gilt dagegen die Basis gerade der SPD. Viele Genossen vor Ort fürchten nichts mehr als eine Neuauflage des Bündnisses mit den Christdemokraten, dass die Partei 2009 im Bund auf 23 Prozent abstürzen ließ -- das schlechteste Ergebnis seit 1933. Auch im einstigen Stammland Nordrhein-Westfalen kam die SPD auf nicht einmal 29 Prozent - für die Genossen, die bis 1995 mit absoluter Mehrheit regierten, eine tiefe Demütigung.

Außerdem haben Sozialdemokraten wie Bundesvize Klaus Wowereit und Generalsekretärin Andrea Nahles noch am Donnerstagmorgen hohe Hürden für eine Koalition mit den Christdemokraten aufgebaut: Die künftige Ministerpräsidentin müsse Kraft heißen, forderten beide erneut. Allerdings beharren auch die Christdemokraten, die im 18 Millionen Einwohner zählenden NRW knapp 6.000 Stimmen mehr einfahren konnten, beharren auf ihrem Führungsanspruch - schließlich sei es "demokratische Tradition", dass die stärkste Partei den Regierungschef stellt.

Doch Rüttgers weiß um die störrischen Genossen in den SPD-Ortsvereinen. "Vertrauen braucht Zeit", wirbt er um die Sozialdemokraten - und zeigt Verständnis für die Regionalkonferenzen, mit denen sich Kraft mögliche Koalitionsverhandlungen mit der ungeliebten Konkurrenz absegnen lassen will. Natürlich sei "von weiteren Gesprächen abhängig", ob eine Große Koalition in NRW tatsächlich zustande kommt. Vorher aber müsse "der Basis" erklärt werden, wofür ein solches Bündnis stehe: für eine "stabile Regierung in Zeiten der Krise". Und diese Regierung, glaubt Rüttgers, gibt es nur mit Rüttgers.

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19 Kommentare

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  • O
    ooops

    Die Grünen werden sich in den Arsch beißen. Haben sie sich doch instrumentalisieren lassen Rot-Rot zu, ohne Gesichtverlust bei Spd, zu boykottieren. In der Großen Koalition werden sie die Arschkarte ziehen.

     

    HUND!!!

  • H
    Hardy

    Ich würde anders schreiben: "Umschalten in den Verrätermodus"

  • H
    Hubert

    Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich am Wahltag schön ausschlafen können.

     

    Die SPD verbaut sich eine Chance nach der anderen. Wenn das so weitergeht, kommt irgendwann Rot-Rot-Grün gezwungenermaßen anders, als die Genossen sich das heute ausmalen: Die SPD wird sich dann höchstens darüber freuen können, Juniorpartner der Linkspartei sein zu dürfen.

  • S
    saalbert

    "Dabei lächelt Nordrhein-Westfalens amtierender Ministerpräsident so gewinnend, als habe er gerade die Landtagswahl gewonnen." Das ist interessant, weil es immer wieder vorkommt: Obwohl es sich um einen Konjunktiv II handelt, steht da "habe", wo "hätte" stehen müsste. Aber es heißt fast immer "Rüttgers behauptet, er hätte die Wahl gewonnen", obwohl dabei der Konjunktiv I gilt, also die indirekte Rede, mit "habe". Die Sprache steht Kopf.

  • E
    end.the.occupation

    Und das beste ist, dass diese Parteien in NRW nicht eine einzige Idee haben, wie sie dem Eisberg ausweichen können.

     

    Es gibt keinen Plan B, keine Alternativen, keine innovativen Ideen - es gibt nichts ausser verordneter geistiger Sklerose - auch Pragmatismus und Reform genannt.

     

    Dank 30 Jahren Kohl, Schröder und Merkel - siehe die Elogen, die über den mafiosen Lügner und Betrüger aus Hessen verfasst wurden, siehe die angebliche Begeisterung des Sub-Prekariats für einen aaglatten Abzocker wie Friedrich Merz -; nach 30 Jahren Entpolitisierung und Verlödung ist dieses Land eine intellektuell-politische Ruine.

     

    Und das lässt sich auch an diesem Blatt vorzüglich nachvollziehen.

  • QS
    "Dr. Siegfried P. Posch (Graz)"

    Ich ziehe hiemit meine zwei heute zu Ihren

    Artikeln "Umschalten auf den Partner-Modus"

    einerseits und "Weltlangweiler Afrika" ("Wahr-

    heit") andrerseits übersendeten Leserkommen-

    tare zurück, da mir nunmehr meine Frage vom

    "19.05.2009 10:43 Uhr" zu Ihrem Artikel "Pur-

    zelnde Preise" (noch einmal angeklickt vor

    weniger als einer Stunde)

     

    http://www.taz.de/1/sport/artikel/kommentarseite/1/purzelnde-preise/kommentare/1/1/

     

    zuletzt von größerem Gewicht scheint:

     

    19.05.2010

    ...

    WM-Tourismus in Südafrika

    Purzelnde Preise

     

    Viel weniger Besucher als erwartet werden zum Weltturnier nach Südafrika reisen. Aus afrikanischen Ländern werden hauptsächlich privilegierte Elite-Fans erwartet. VON MARTINA SCHWIKOWSKI

    ...

    Leserkommentare

    *

    19.05.2010 10:43 Uhr:

    von "unbekannt":

     

     

    Ist es nicht auch Rassismus, immer wieder zu

    insinuieren, afrikanische "Eliten" würden nun

    einem uns ganz fremden "aristokratischen" Be-

    wußtsein verfallen? Durch die Post zugestellt

    erhalte ich vor weniger als einer Stunde

    eine unter dem "16. Mai 2010" datierte

    Zusendung über eine Initiative von Chri-

    sten gegen den Rassismus in Lübeck und Jena:

    getragen von Christen aus "Uganda, Südafrika,

    Indien, Großbritannien und den USA". Wegen

    einer anderen Postsendung, die hier auf dem

    Tisch liegt und einen W e i ß e n zum "Mär-

    tyrer des Monats [Mai]" für Afrika erklärt,

    frage ich, ob nicht - gerade im Brüssel der

    Europäischen Union - Anlaß bestünde, der

    s c h w a r z e n Märtyrer der drei Jahre

    zwischen 1885 und 1887 in Uganda zu gedenken.

     

    Siegfried Paul Posch

  • R
    Rechenmeister

    "... vom Absturz seiner CDU um über zehn Prozent ist nichts mehr zu sehen... "

     

    Tatsächlich ist die CDU um ca. 25 Prozent abgestürzt! (von ca. 44% auf 34%). Zehn Prozent von 44% sind genau 4,4%. Gemeint war hier wohl ein Absturz um mehr als 10 ProzentPUNKTE!

     

    Schade, dass das in Journalistenköpfe (nicht nur bei der taz) offensichtlich nicht hereinpasst.

  • A
    Amos

    Ist doch klar, das Rüttgers Zugeständnisse macht-, schließlich will er an der Macht bleiben. Heraus dabei,wird wieder nichts kommen, außer Patchwork- Politik.

    Die SPD jedenfalls tut sich damit keinen Gefallen -besonders dem SPD- Wähler nicht, geht sie mit dem Wankelmütigen zusammen. Für Rüttgers gilt nur eins: "Ich"-, fast so ausgeprägt wie das Ego von Schröder.

    Seit Willy Brandt gibt es keine deutschen Politiker mehr.

  • R
    RegineM

    Müntefering frei zitiert: "was kümmert mich mein Wahlkampfgerede, hinterher tu ich eh, was ich will."

     

    Wer SPD wählte, bekommt nun evtl. die CDU (oder FDP) in die Regierung, zumindest als Partner. Vielleicht sogar weiter mit einem CDU-Ministerpräsidenten. Ob das von den SPD-Wählern so gemeint war? Für mich schwebt darüber ein Hauch von Wahlbetrug. Und die Bezeichnung 'KraftILANTI' hat Ypsilanti wirklich nicht verdient.

    Jetzt langsam zum mitschreiben: wer in diesem Lande soziales und/oder ökologisches wählen möchte und sein Kreuzchen routinemäßig bei SPD oder Grünen macht, weiß nicht, was er wirklich bekommt. Kraft hat süß und sozial gesäuselt. Sich gegen Dumpinglöhne medial 'empört', für die sie selber Mitverantwortung trägt.

    Sie steht weiter zur Agenda 2010. Jeder konnte wissen, wen er/sie hier wählt.Es geht um die Macht, nicht um Inhalte.

    Neuwahlen, der Ehrlichkeit zuliebe!

  • K
    Kontra

    Verzeihung bitte!

    Es geht hier nicht ums "Umschalten" sondern um

    "Gleichschalten der Parteien".

  • KD
    Karl der Große

    Hey.. - letztlich ist es mir egal.., was da alles unter den "Teppich" gekehrt wird.-

    die Leute sollen das Land voranbringen !!

     

    Das geht aber nicht mit den alten Fehlern von gestern.

     

    Zudem glaube ich nicht.., das es etwas bringen.., die Schmutzkampagnen unter den Teppich zu kehren.

     

    Aber bitte., wir werden ja sehen.

    Die FDP ist ja schließlich auch in kürzester Zeit wieder "back to earth".

     

    ..also,. Funkspruch an Hannelore..

     

    "Hannelore..- here is the earth. - please come back to earth"..slowly.., don`t meet

    Major Rüttgers...

     

    Aber

  • N
    Nigredo

    Warum hat die SPD eigentlich nicht ersteinmal das Demokratievertändnis der CDU unter die Lupe genommen? StaSi-Vergangenheiten von Unionisten, Nähe zu Rechtsradikalen, Verhältnis zu Nazideutschland?

    Wird da wieder der Mantel drüber gelegt, weil es sich diesmal nicht um eine Partei handelt, die nicht bereit ist, nach den Regeln der plutokratischen Mehrparteiendiktatur zu spielen?

     

    Mal ehrlich: Wenn in einer eingespielten Mehrparteiendiktatur wie der Deutschen so "plötzlich" eine Partei auftaucht, die derart Wahlerfolge feiert und allein schon hierdurch beweist, dass sie offenbar notwendig ist, dann sollte doch möglichst schnell der Einbindungsprozess beginnen - die Grünen hat man so doch auch klein gekriegt. Die bisherige Ausgrenzung zuletzt durch Frau Kraft führt doch bloß dazu, dass sich immer weitere Kreise dieser Gesellschaft demokratisieren und am Ende gehen die Menschen vielleicht tatsächlich auf die Barrikaden, wenn 200 Millionen den Großhoteliers rektal verabreicht werden, und dafür 250 Millionen gespart werden müssen bei Schulen, bei Blinden, bei Hochschulen (so, dass sogar die selbst eingesetzten Marionetten zurücktreten), anerkannten Minderheiten und anderen Kultureinrichtungen.

    Kiel scheint derzeit Testgelände zu sein für das christlich-liberale Gesellschaftsspiel "Wieviel Tiefschläge verträgt das Volk noch, ohne Land- und Bundestage anzuzünden?"

    Meine Einschätzung vor Ort: Keine mehr! Aber verbrennen würde ja auch nichts ändern...

  • D
    DiversityAndEquality

    Inzwischen hat es hoffentlich der Letzte gemerkt:

     

    Wer SPD und Grüne wählt, bekommt CDU und/oder FDP in der Regierung und in jedem Fall eine schwarz-gelbe Politik.

     

    Langsam wird die Demokratie-Show immer dumm-frecher.

     

    Aber die Menschen wollen es ja nicht anders!

  • K
    keetenheuve

    "und Rüttgers' Klientel könnte ihre Kinder weiter aufs Gymnasium schicken."

    Das stimmt doch gar nicht. Wie kürzlich die Nachfrage einer Zeitung (WELT) ergab, schicken ausgerechnet die MdLs von SPD, Grünen und Linkspartei ihre Kinder fast ausnahmslos auf das Gymnasium oder entsprechende Privatschulen.

  • A
    Albert

    "rückwärtsgewandten dreigliedrigen NRW-Schulsystems"

     

    Ich finde es bei Grünen und Linken heuchlerisch wenn sie die Abschaffung fordern und gleichzeitig ihre Kinder auf Privatschulen schicken damit sie nicht mit dem "Pöbel" lernen müssen. Danke liebe Rotweintrinker.

  • B
    bullshitdetector

    So viel Wertung, so wenig Info sollte ueberschrieben werden mit "Kommenatar".

  • DK
    Daniel Kuchler

    Das "längere gemeinsame Lernen" von dem jetzt immer die Rede ist, hat ja nur wenig mit der Gemeinschaftsschule zu tun. Ein Kompromiss zwischen "längerem gemeinsamen Lernen" und der CDU-Position wäre dann vielleicht noch Rückschritt hinter den Status Quo.

    Das besonders frustrierende ist, daß es ja mit Linken, Grünen und SPD eine Mehrheit für die Bildungsreform gibt, die sich nur in Detailfragen streiten würden...

  • M
    mystain

    eigentlich hoffte ich ja gelb UND schwarz abzuwählen.

    konsequent wäre eigentlich forderung nach neuwahlen und nicht die frage nach der zuständigkeit von unrechtstaaten

  • P
    Piefke

    "Strittige Fragen wie etwa die Zukunft des rückwärtsgewandten dreigliedrigen NRW-Schulsystems ..."

     

    Wie schön dass uns die freien Medien noch selbst überlassen wie wir über bestimmte Sachverhalte zu denken haben.