: CDU streitet über Honecker-Angebot
■ Dregger und Rühe setzten unterschiedliche Prioritäten bei weiteren Abrüstungsverhandlungen/ „Deutsche Interessen“ kontra NATO-Fahrplan / Rühe ängstigt sich um Akzeptanz der Abschreckung
Berlin (ap/taz) – Einen Tag nachdem der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dregger, den Vorschlag von SED-Generalsekretär Honecker, die landgestützten Kurzstreckenraketen möglichst bald in den Abrüstungsprozeß miteinzubeziehen, begrüßt hatte, machte sein Stellvertreter, Volker Rühe, indirekt eine davon abweichende Meinung innerhalb der Union deutlich. Vor Journalisten sagte Rühe, Voraussetzung dafür sei ein innerhalb der NATO geklärtes Gesamtkonzept für die weiteren Verhandlungen. Nach Auffassung Dreggers bedrohen jedoch gerade die Kurzstreckenraketen nahezu ausschließlich die beiden deutschen Staaten. Er habe deshalb schon während des Besuchs des Generalsekretärs im Herbst in der BRD mit Honecker darin übereingestimmt, daß die Abrüstung in diesem Bereich fortgesetzt werden müsse.
In seinem Brief hatte Honecker vorgeschlagen, auf die Modernisierung der atomaren Kurzstreckenraketen zu verzichten und durch Abrüstung auch bei diesen Systemen zu einer weiteren Null- Lösung zu kommen. So weit wollte allerdings Dregger im Moment nicht gehen, da ein Mindestbestand der Kurzstreckenraketen zur Abschreckung eines konventionellen Angriffs erforderlich bleibe. Hintergrund der Auseinandersetzung sind die Differenzen innerhalb der NATO über die nächsten Schritte im weiteren Verhandlungsverlauf. Im Gegensatz zu Dregger wollen die USA zuerst über konventionelle Abrüstung und ein Chemiewaffenverzicht reden und kurzfristig die in der BRD stationierten Kurzstreckenraketen modernisieren. Um diesen Dissens herunterzuspielen, meinte Rühe gestern, nach Unterzeichnung des Abkommens über die Abschaffung der Mittelstreckenraketen sei eine neue Situation gegeben, auf die die NATO sich mit einem neuen Gesamtkonzept einstellen müsse. Dabei müsse definiert werden, durch welche Maßnahmen unter Berücksichtigung des konventionellen Kräfteverhältnisses, das in Europa verbleibende Nuklearwaffenpotential neu formiert und zugleich weiter reduziert werden könne. Ziel sollte es sein, die Rolle der Nuklearwaffen auf das qualitativ und quantitativ absolute Mindestmaß zu beschränken.
Im Sinne der Glaubwürdigkeit der Abschreckung müßten laut Rühe drastische Reduzierungen insbesondere bei den kürzesten Reichweiten wie bei der nuklearen Artillerie vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang warf Rühe auch die Frage auf, wieweit bei der derzeitigen Struktur des Nuklearwaffen-Potentials der NATO die Akzeptanz der westlichen Abschreckungsstrategie in der Bevölkerung langfristig noch gewahrt werden könne.
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