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CDU-Vorsitzender Friedrich Merz Keine Witzfigur

Der neue CDU-Vorsitzende Friedrich Merz ist der Mann, der die Emotionen der Linksliberalen triggert. Aber billige Kritik wird nicht ausreichen, um ihm Paroli zu bieten.

Friedrich Merz, CDU dpa

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 21.12.21 | Es ist keine Überraschung, dass Friedrich Merz, 66, schon im ersten Wahlgang von 62,1 Prozent der CDU-Mitglieder zum neuen Parteivorsitzenden gewählt wurde. Ihn ihm bündeln sich vielleicht nicht die Hoffnungen der Funktionäre, aber sehr wohl die der Mitglieder einer überalterten Partei nach alter Größe.

Aber das ist es nicht allein: Merz war diesmal auch der richtige Kandidat im richtigen Moment. Er ist ein scharf denkender und oft arrogant formulierender Jurist. Anders als viele Politiker ist er auch an den Schaltstellen weltweit operierender Unternehmen tätig gewesen, und dies hoch anerkannt. Er hätte – ökonomisch betrachtet – für sein weiteres Leben die Politik nicht gebraucht. Aber er ist zurückgekommen. Trotz dreier und sehr bitterer persönlicher Niederlagen hat er an seinem Ziel festgehalten, die Geschicke der Bundesrepublik in führender Position mitzugestalten. Sei es als Partei- und Fraktionsvorsitzender, sei es als Kanzler.

Politische Verantwortung zu übernehmen, auch und gerade in schwierigen Situationen, immer wieder nach politischer Macht zu streben, ohne Widerständen auszuweichen, solche Tugenden zeichnen starke politische Persönlichkeiten aus. Solche gelebten Tugenden, mit allen damit verbundenen Risiken, generieren politische Gefolgschaft, aber auch immer wieder Scheitern. Merz verfügt über diese unverzichtbaren Tugenden eines homo politicus. Hier ist der Kern seines augenblicklichen Erfolges zu suchen.

Trotz reaktionärem Image muss man Merz ernst nehmen

Das schneidige Auftreten von Merz, seine rechtskonservativen Zumutungen, seine glasklaren, gelegentlich zynischen Ansagen, seine Härte und Schonungslosigkeit gegenüber politischen Gegnern in der Partei und in der Gesellschaft, seine scharfe, oft verletzende Redekraft sowie sein unbescheidenes Selbstbewusstsein haben ihm das Image eines Politikers eingebracht, der konservatives Denken und Handeln mit der einfachen Rückkehr ins Vorgestern verwechselt, einem „Vorwärts in die Vergangenheit“.

Mag sein, dass manches an diesen Charakterisierungen durchaus den Tatsachen nahekommt. Mindestens genauso wahrscheinlich aber ist es, dass viele Beobachter dieses Bild nur zu gern benutzen, um sich vor der Auseinandersetzung mit dem Politiker Merz zu drücken. Seine Haltung zur unkontrollierten Einwanderung in die EU oder seine ironisierende Ablehnung des „Genderns“ trifft in der Gesellschaft auf breite Zustimmung. Diese Haltung einfach als reaktionär abzutun, Merz als aktiven Herold der Reaktion zu denunzieren, kann die ergebnisoffene Auseinandersetzung mit den von ihm offengelegten Problemen nicht ersetzen. Eines sollte allen klar sein: Billige Kritik wird jedenfalls nicht ausreichen, um ihn auszubremsen.

Friedrich Merz tritt sein Amt in vollem Bewusstsein der Existenzkrise der CDU an. Er weiß, dass seine Partei, wie die gesamte Bevölkerung, rapide altert. Uncharmanter formuliert: Jedes Jahr verliert die CDU eine Million ihrer Wähler an den Friedhof. Und die jüngeren bürgerlichen Wähler orientieren sich zu FDP und den Grünen. Den demographisch bedingten Schwund der Gefolgschaft muss Merz also mit erneuerten programmatischen Angeboten an die Jüngeren ausgleichen, wenn er mit seiner CDU wieder regierungsfähig werden will. Da helfen viele der traditionellen CDU-Positionen nicht weiter, schon gar nicht in der Gesellschaftspolitik. Das ist die Herausforderung.

Selbstauftrag zur programmatischen Erneuerung der CDU

Unmittelbar nach Bekanntgabe seiner Wahl zum Vorsitzenden hat Merz drei Hinweise darauf gegeben, dass er das verstanden hat. Er hat einen neuen, solidarischen Generationenvertrag zwischen den vielen Alten und den zu wenigen Jungen eingefordert. Er will die Frauen in der CDU aktiv dabei unterstützen, auf allen Ebenen in Partei und Gesellschaft mehr Einfluss zu nehmen. Er hat klargestellt, dass die CDU mit der neuen Bundesregierung im Kampf gegen Corona konstruktiv zusammenarbeiten wird. Er zeigt sich sogar bereit, über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht zu verhandeln, wenn wie in Spanien und Italien zuvor ein staatliches Impfregister eingerichtet und wenn festgelegt wird, wie die Impfpflicht rechtsfest durchgesetzt werden kann. Er hat Bundeskanzler Scholz (SPD) Unterstützung zugesagt, wenn nun endlich entschlossen – und falls erforderlich auch mit verschärften Strafgesetzen – gegen die Staatsfeinde unter den Impfgegnern vorgegangen werden soll.

Natürlich weiß Merz auch, dass er mit einer nur wirtschaftsliberalen CDU nicht hinter die künftige deutsche und europäische Klimapolitik zurückkann, sondern sie konstruktiv mitgestalten muss. Wie es vor allem der Arbeitnehmerflügel der CDU verlangt, will er in diesem Kontext auch daran mitarbeiten, die sozialen Systeme neu zu justieren.

Auch wenn die Landtagswahlen im nächsten Jahr für die CDU im Saarland, in NRW und in Schleswig-Holstein verloren gehen sollten, auch wenn Merz den Parteifreund Brinkhaus nicht sofort vom Fraktionsvorsitz verdrängen kann, ändert das für ihn nichts an seinem Selbstauftrag einer programmatischen Erneuerung der CDU in der Oppositionsrolle. Damit hat er sich ein politisches Projekt vorgenommen, das man nicht einfach verhöhnen kann, sondern das ernst genommen werden muss.

Ein Oppositionschef auf Augenhöhe

In der deutschen Politik hat sich mit der Wahl von Olaf Scholz zum Kanzler und der Wahl von Friedrich Merz zum faktischen Oppositionschef ein neues politisches Zentrum aufgestellt. Es ist ein Gegenüber von zwei gleich starken, in vieler Hinsicht übereinstimmenden Persönlichkeiten auf Augenhöhe. Es verschafft den unter Modernisierungsdruck stehenden Volksparteien SPD und CDU ein gemeinsames Gesamtgewicht im demokratischen Streit um den richtigen Weg in die ökologische Moderne. Für die Grünen wird es dadurch schwerer werden, sich zu einer eigenständigen Volkspartei weiterzuentwickeln, die bei der nächsten Wahl doch noch in einen erfolgversprechenden Wettstreit um die Führung der Gesellschaft eintreten kann.

Friedrich Merz jedenfalls ist keine bloß peinliche Witzfigur, die beliebig in politische Schubladen gepackt und reflexhaft herunter geredet werden kann. Er verkörpert jetzt den Neuaufbruch in eine modernisierte CDU. Ob das nun gefällt oder nicht: Er hat Chancen und das politische Momentum auf seiner Seite, um damit erfolgreich zu sein.

Ich wünsche allen Lesern trotz der vielen Corona-Sorgen frohe Weihnachten.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen.