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CD–PLatte contra DAT: „Schlacht des Jahres“

■ Musikbranche fürchtet Geschäftseinbruch durch neuartiges Kopiersystem

Cannes (dpa) - In der Musikindustrie wird wegen des Erfolges der Kompaktplatten (CD) etwas voreilig der Tod der vor 100 Jahren erfundenen herkömmlichen Schallplatte verkündet. Dabei ist noch nicht einmal sicher, daß der CD–Boom anhält; die Internationale Vereinigung der Phono– und Videoindustrie (IFPI) läuft zur Zeit Sturm gegen das neue Digitaltonband (DAT) aus Japan. Auf der 21. Internationalen Musikmesse (MIDEM) in dieser Woche in Cannes konnte die IFPI den Erfolg der CD–Platten mit eindrucksvollen Zahlen belegen: 1985 wurden weltweit 50 Millionen CDs verkauft. 1986 sollten rund 120 Millionen erreicht werden, 1990 mindestens 700 Millionen. Für die Musikindustrie, deren Langspielplattenverkauf von 1978 bis 1984 von 75 Millionen auf 40 Millionen abgesackt war, gilt die 1979 von Philips erfundene und seit 1982 mit japanischer Gerätetechnik angebotene CD als Lebensretter. Die Laser–gelesenen digitalen CD–Platten sind bisher kaum kopierbar. Die neuen DAT–Kassetten und -Geräte dagegen werden - bei gleicher Qualität wie CD - Überspielungen einfach machen. IFPI–Präsident Nesuhi Ertegun warnte deshalb in Cannes heftig vor dem neuen Feind, der wieder zu mehr Piraterie durch illegale Überspielungen führen werde und damit eine „Bedrohung für die CD und die gesamte Musikindustrie“ sei. Im November lehnten es die japanischen Hersteller des DAT– Systems bei einem Treffen mit IFPI ab, den jetzt für den Sommer angekündigten DAT–Start noch weiter zu verzögern. Ertegun forderte die Musikindustrie deshalb in Cannes auf, ihr Repertoire nicht für DAT–Bänder zur Verfügung zu stellen, falls in Bänder und Geräte keine Kopiersperren eingebaut werden: „Boykottiert DAT, um die Schallplattenindustrie zu retten.“ Die CD brauche noch drei bis vier Jahre Zeit, um sich als Universalsystem zu etablieren. Erst wenn weltweit 30 bis 40 Prozent der Haushalte CD besitzen, dürfe man mit etwas Neuem kommen. Die CD hatte anfangs vor allem das Geschäft mit E–Musik belebt. Die Fans des reinsten Klanges stiegen um und kauften auch Einspielungen neu, die sie längst als herkömmliche LP besaßen. An Kapazitäten fehlt es nicht mehr. Die Zahl der CD–Fabriken ist weltweit auf etwa 25 gestiegen, 10.000 Titel werden angeboten. In Brasilien wird im März die erste CD–Fabrik in der Dritten Welt eröffnet, auch mit China wird verhandelt. Bei München sollen CDs ab Juni erstmals in Europa vollautomatisch gepreßt werden. Die Digital–Bänder könnten aber wieder zu einer neuen Verunsicherung der Benutzer führen. Vor allem jedoch herrscht in der Branche Angst vor den illegalen Profi–Kopierern und den Leerkassetten der Privatleute. Beide haben die Industrie seit 1967 nach eigenen Angaben rund 19 Milliarden Dollar gekostet. Die Branche fürchtet von DAT denselben Einbruch für CD, wie ihn die herkömmlichen Leerkassetten für die Schallplatte brachten. „Die Schlacht des Jahres“ erwartete deshalb das offizielle Organ der Midem–Musikmesse um DAT. Doch der Fortschritt dürfte sich kaum aufhalten lassen. Die französische Zeitung Le Monde merkte nach einem Blick in die CD–Kataloge kritisch an, der Plattenfreund ziehe der eigentlichen musikalischen Botschaft offenbar sowieso die „Verpackung“ vor: „Der CD–Boom hat vor allem gezeigt, daß der Mangel an musikalischer Neugier durch einen unstillbaren Heißhunger auf die technischen Neuerungen ausgeglichen wird.“ Ein weiteres Projekt wurde in Cannes nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit vorbereitet: In etwa einem Monat will Phonogram eine neue CD–Video–Platte zum Abspielen über CD–Gerät und Fernsehapparat vorstellen.

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