piwik no script img

CAFESATZ

■ Das hätte BB beeindruckt

Das Cafésatz-Rezept: In einem Café jemand Fremdes ansprechen und sie oder ihn ganz persönliche Dinge fragen. Die Einstiegsfrage: Warum sitzen Sie hier?

„Mann-im-besten“, sagt man wohl zu diesem Alter. Auf dem Steg des Seecafés sitzt er, läßt seine grünen Sportschuhe überm Wasser baumeln und sich von mir nur ungern stören. Warum er dort sitzt? Wegen der Ruhe. Sein Beruf? Dokumentarfilmer. Was er daran liebt? Das Unterwegssein: Unter dem Vorwand des Films wie selbstverständlich in fremde Lebensbereiche vordringen und wieder gehen zu können.

Die Reise weg von seinem „engstirnigen“ ländlichen Elternhaus beginnt, als er 15 ist und zum Gymnasium geht: Dagmar ist 17, „wunderschön“ und, weil immer mit Mopedtypen zusammen, ein bißchen verrufen — der Vamp der nahen Kleinstadt. Im Tanzkurs lernt er sie kennen, seine „erste und riesengroße Liebe“, und fährt ab da jeden Morgen einen Bus früher. Ihre Wege kreuzen sich unter einer alten Pappel. Es ist Winter und noch dunkel. Sie reden zehn Minuten miteinander, bevor sie zur Realschule und er zum Gymnasium geht.

„Dagmar versuchte, so zu gehen wie Brigitte Bardot, kannte jeden Film auswendig, hatte Haare wie sie und so einen tollen Schmollmund. Sie konnte wahnsinnig küssen und ich gar nicht. Ihr ganzes Zimmer war mit BB-Bildern tapeziert. Sie hat mir oben das Küssen beigebracht, und unten machte der kleine Bruder seine Schulaufgaben.“

„Sie konnte mich unglaublich eifersüchtig machen. Ich hatte das Gefühl, diese Frau kannst Du nicht bändigen. Hätte ich aber gerne. Ich hätte die sogar geheiratet und alles Mögliche. Mit 15.“ Im Frühling fährt Dagmar mit Fahrrad und Freundin in Urlaub. Nicht weit, nur Richtung Bremen. Eine Karte kommt, „von einem Typen, ich solle endlich Dagmar in Ruhe lassen, sonst würde er vorbeikommen und mich zusammenschlagen. Das hat mich unglaublich verletzt: Die Frau hatte mit irgendwem anders über mich gesprochen.“ Und dann die „Kumpels“, die von der Verliebtheit wissen und ihren Mitschüler bewundern: „Mit 15 kannte ich ein unheimlich schönes Mädchen und konnte Zungenkuß, was die anderen nicht konnten. Mein Ruf hat nicht zugelassen, Dagmar zur Rede zu stellen. Ich wußte nicht, wie ich reagieren sollte. Ich bin ihr aus dem Weg gegangen.“

„Inzwischen hatte ich selbst angefangen, Bilder von der Bardot zu sammeln, wußte alles von ihr und auch von ihrer Villa ,La Madrague‘ an der Cote d'Azur. Ich kam auf die fixe Idee: Wenn ich schon nicht Dagmar haben kann, dann möchte ich wenigstens das Original. In Gedanken war ich immer öfter bei BB und dachte: Wenn du die kennengelernt hättest, hättest du Dagmar sowieso sausen lassen. In dem Sommer wollte ich mit der Schule aufhören, nach St. Tropez trampen und bei der Bardot als Gärtner anheuern. Das hätte BB beeindruckt. Der Gunther Sachs mit seinem Geld hätte da nicht gegen anstinken können.“

Aus Rücksicht auf die Mutter fährt der Sohn nicht ab: „Ich wollte nicht, daß sie als Versagerin dastünde.“ Er wird nicht Gärtner, sondern studiert Medizin. Wenn er vom Studium nach Hause kommt und seiner alten Liebe begegnet, spürt er „einen furchtbaren Schmerz“. Trotzdem betritt er eines Tages das Rundfunk- und Fernsehgeschäft, in das Dagmar eingeheiratet hat, und kauft eine Platte bei ihrem Mann. „Ich wollte, daß diese Frau was von mir erfährt, wo sie sagt: Wie konnte ich so blöd sein, daß ich nicht bei dem geblieben bin? Darum habe ich dem vorgemacht, ich arbeite jetzt bei Radio Bremen, obwohl ich damals mit Fernsehen noch nichts zu tun hatte. Ich wußte genau, das würde er der Frau weitererzählen.“

Nach dem Studium will der Doktor nichts wie weg, macht Entwicklungsdienst in fernen Ländern. Doch dort ist's ihm zu fremd. Er lebt „lieber unauffällig zwischen den Menschen“. Seither ist er fürs Fernsehen und meist in der BRD unterwegs. Regelmäßig am Silvestermorgen begegnet er Dagmar auf der einzigen Einkaufsstraße der Kleinstadt. Er bleibt immer auf dem anderen Bürgersteig. Bis vor vier Jahren: „Ich kam Weihnachten gerade aus dem Ausland zurück, war dort verliebt gewesen, fühlte mich stark.“ Er lädt Dagmar auf einen Kaffee ein. „Sie saß mir zum ersten Mal seit fast 20 Jahren gegenüber. Ich hab' mir den Mund angeguckt, den ich damals so toll fand, und sah die kleinen Fältchen an der Oberlippe und an den Augen. Das war beruhigend. Sie ist nicht mehr so schön wie vor 20 Jahren. Es ist nicht mehr so schmerzhaft. Das Leben hat sich auch in ihrem Gesicht niedergeschlagen.“ Was sie vom Hausbau im Nachbardorf und Segelschein erzählt, hört er kaum. „Ich habe nur von meinen weitesten Reisen erzählt. Und daß ich unglaublich glücklich bin, diesen Beruf zu haben. Habe ungeheuer geschäftig getan, als wär' ich schon wieder auf dem nächsten Flugzeug. Ich wollte ihr von der großen, weiten Welt erzählen, damit ihr das wehtut in ihren engen Kreisen.“ Er trinkt dabei Kakao, um ruhig zu bleiben.

DASHÄTTEBBBEEINDRUCKT

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen